Wohlwollensregel nach Ignatius von Loyola
„Das ist ja schön, dass du dich endlich mal wieder meldest!“, hab ich zu meiner Bekannten gesagt, als sie mich nach langer Zeit anrief. Es gab eine kurze Pause auf beiden Seiten. Sie hatte den Vorwurf deutlich gehört, der sich in meine Begrüßung hineingeschlichen hatte. Ich war wirklich enttäuscht, dass sie sich so rar gemacht hatte. Nach einer weiteren kleinen Pause sagte sie in freundlichem Ton: „Ja, ich freue mich auch, dich zu hören!“ Damit hatte sie mich entwaffnet. Sie ist nicht auf meinen Vorwurf eingegangen. Sie war entschlossen, mich im Guten zu verstehen.
„Wohlwollensregel“ nennt das Ignatius von Loyola. An der Schwelle zur Neuzeit hatte er sogenannte Geistlichen Übungen entworfen. Dazu gehört: Jeder gute Christ,soll bereit sein, die Aussage des Nächsten eher zu retten als zu verurteilen. Meine Bekannte war wohlwollend mit mir und hat meine Begrüßung gerettet. Und so war mein Groll verflogen und wir konnten unbelastet anfangen zu erzählen.
Die Aussage eines anderen zu retten, das geht nur, wenn sie mehrdeutig ist. Das Aggressive steht zwischen den Zeilen und schwingt mit. Wenn mir jemand etwas wirklich Böses sagt, dann gibt es daran nichts zu retten. Wenn es aber noch eine Möglichkeit gibt, dann lohnt sich der Versuch. Dann schaukelt sich ein Gespräch nicht hoch und der Ton bleibt friedlich. Ich habe gemerkt, dass ich mir bewusst vornehmen muss, wohlwollend zu reagieren. Wenn ich mich nicht dazu entschließe, bin ich ganz schnell auf hundertachtzig und greife an. Hinterher ärgere ich mich über mich selber, weil das Gespräch in eine Sackgasse geraten ist.
Bei dem Telefonat mit der Bekannten habe ich gespürt: sie schafft es, in mir meine besten Möglichkeiten anzusprechen. Sie lässt mich nicht in meinem Groll, sondern packt mich bei der Freude. Das hat mir gut getan. Zu grollen, ist ja nicht schön. Weder für sie noch für mich. In der Bibel heißt die Wohlwollensregel so: „Vergeltet nicht Böses mit Bösen oder Scheltwort mit Scheltwort.“ (1. Petr 3,9a) Die Mahnung ist berechtigt: Der Krieg der Worte ist schnell erklärt und schwer zu stoppen.
Ich habe Sehnsucht nach einem friedlichen Miteinander. Dafür muss ich selbst etwas tun. Mit der Wohlwollensregel kann ich anfangen: Das Gute annehmen und das Beste für möglich halten; dem anderen weiterhelfen und ihn nicht an die Wand fahren lassen. Das hört sich leicht an, ist aber manchmal sehr schwer. Denn die Worte eines anderen zu retten und ihnen die Bösartigkeit zu nehmen – das ist jedes Mal ein Entschluss und anstrengend ist es auch. Da muss mir mein Gegenüber schon am Herzen liegen. Vielleicht weil ich ihn mag. Auch weil ich weiß, dass Gott ihn mag.