Gott macht das Kleine groß!
„Schöne Weihnachten“ oder „Gesegnete Weihnachten!“, das wünschen sich in diesen Tagen Nachbarn, Arbeitskollegen und Bekannte. Auch wenn sie sich normalerweise nicht viel Persönliches sagen. In diesen Tagen entdecken sie, dass sie sich doch etwas bedeuten. Das wollen sie ausdrücken, wenn sie diese Worte sagen. Mir scheint, dass das auch ein Sinn von Weihnachtsmärkten ist. Menschen wollen zusammen zu sein. Deshalb berührt es besonders, wenn an einem solchen Ort Grausames geschehen ist. Wenn dort Hass ausgelebt wird und Menschen zu Schaden kommen. Schmerzlich wird man auf das gestoßen, was man eigentlich weiß: Das Sehnsuchtsfest der Liebe findet vor dem Hintergrund einer unheilen Welt statt. Gerade deshalb ist Weihnachten so stark und so wichtig. Deshalb finde ich es schön.
Denn Weihnachten ist das Fest, das Kleines groß macht. Da entdecke ich: Vieles von dem, was im Alltag eher unbeachtet und klein am Rande steht, ist eigentlich großartig – und mir wichtig. Wie der kurze Gruß des Nachbarn, oder die Begegnungen auf dem Weihnachtsmarkt. Weihnachten macht Kleines groß. Man hängt einen Stern ins Fenster. Eigentlich eine kleine Geste. Man hört Musik oder wird zuhause bei Kerzenschein mal still. Alles nicht spektakulär, aber es hat große Wirkung.
Die Zeit geht jetzt langsamer. Vieles, was mich umtreibt und was mir sonst so ungeheuer wichtig erscheint, bleibt jetzt liegen. Und es darf auch einfach mal liegen bleiben. Das schafft Zeit und Raum für die Familie, für Freunde und für mich. Natürlich: Die meisten Weihnachtsfeste sind nicht nur schön. Auch nicht im persönlichen Bereich. Deshalb mögen nicht alle diese Tage. Auch in meinem Leben gab es schon Weihnachtstage, an denen nicht alles harmonisch war. Oder nicht alle da waren, mit denen ich gerne zusammen gewesen wäre. Oder irgendein Kummer hat alles überschattet. Aber auch diese schwierigen Tage sind mir als eine besondere Zeit im Gedächtnis geblieben. Denn auch sie erinnern an das, was mir an Weihnachten wichtig ist.
Weihnachten ist ein Fest, das Kleines groß macht. Es rückt Dinge ins Zentrum, die sonst am Rande stehen. Das ist kein Zufall. Es passt gut zu den Weihnachtsgeschichten der Bibel. Zu ihnen gehören die schönen Krippenfiguren, die jetzt viele in ihrem Wohnzimmer aufgebaut haben. Auch bei uns ist die Krippe aufgebaut. Zuerst kommt natürlich der Stall. In seinem hinteren Teil finden Ochse und Esel ihren Platz. Vor ihnen Maria und Josef. Ganz vorne wird natürlich die Krippe mit dem Jesuskind platziert. Von links treten die Hirten mit ihren Schafen dazu. Und von rechts die Weisen aus dem Morgenland mit ihren Geschenken. Weihnachten ohne die Krippe kann ich mir kaum vorstellen.
Der Stall mit Ochse und Esel, Maria und Josef, Hirten und Weise. Im Wohnzimmer sehen diese Krippenfiguren so schön aus, dass man fast vergessen könnte, wovon sie wirklich erzählen. Maria ist in dieser Geschichte keine behütete Mutter im Babyglück, sondern eine junge Frau, die wegen einer Volkszählung ihr Leben riskieren muss. Die unheile Welt steht deutlich im Hintergrund dieser Geschichte und schreibt sie mit. Hochschwanger muss Maria den beschwerlichen Weg von Nazareth nach Bethlehem gehen, obwohl sie eigentlich ruhen sollte. Und dann findet sie in Bethlehem noch nicht einmal ein Zimmer.
Sie muss sich mit dem Stall begnügen –eine Behausung, in der sonst eben nur Ochs und Esel, Schafe und vielleicht Kamele Unterschlupf finden. Maria muss darin ihr Kind zur Welt bringen, ihr erstes Kind. Unterstützt wird sie dabei nur bei ihrem Mann Josef, ein Zimmermann, der von Geburtshilfe vermutlich auch nicht viel verstand. Beide mussten in dieser Situation über sich hinaus wachsen und taten es auch.
Mit dieser Weihnachtsgeschichte lässt uns der Evangelist Lukas teilhaben an den Mühen einer kleinen und unbedeutenden Familie. Eine, wie es ungezählt viele auf der Welt gibt, die im Verborgenen tapfer ihr Leben meistern. Sie werden in dieser Geschichte in den Mittelpunkt gestellt: Kleine Leute – ganz groß. Dazu passt auch der Ort der Geschichte: Bethlehem. Das war damals nicht gerade der Nabel der Welt, eher ein abseitiges Städtchen.
Aber genau das ist der Ort, an dem Gott etwas Großes geschehen lässt. Ein Stern macht darauf aufmerksam. So erzählt es der Evangelist Matthäus. Auf diesen Stern werden weise Männer in einem fernen Land aufmerksam – Wissenschaftler, Sternendeuter. Sie folgen dem Stern nach Bethlehem. Sie verlassen also ihre gewohnte Umgebung, sie bringen eine weite Reise hinter sich, nur um am Ende ihren Kopf einzuziehen, damit sie in einen staubigen Stall eintreten können. Sie tun es, weil sie erwarten, dort Zeugen eines besonderen Ereignisses zu werden.
Aber was da genau geschieht, das verstehen andere zuerst. Es sind die Hirten. Sie waren damals einfache Leute, harte Kerle, sie fürchteten weder die Kälte noch wilde Tiere, noch die dunkle Nacht. Der Evangelist Lukas erzählt es so: Gerade liegen die Hirten draußen im Freien und passen auf ihre Schafherden auf. Da, mitten in der Nacht, wird der Himmel über ihnen hell. Und zu ihnen, den Hirten, diesen kleinen Leuten, treten Engel, Himmelswesen, Boten Gottes. Einer von ihnen nimmt den Hirten die Angst. Er sagt:
„Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird, denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.“ (Lukas 2,10)
Ein Kind, eine Windel, ein Stall – das sind die Zeichen, an denen die Hirten erkennen sollen, dass die Engel die Wahrheit sprechen! Das sind die Zeichen Gottes dafür, dass sich etwas ganz Großes ereignet hat. So unglaublich das klingt, die Hirten trauen dem, was der Engel sagt. Offenbar verstehen sie bereits in diesem Moment etwas von dem, was sich im Stall von Bethlehem anbahnt. Sie lassen ihre Herden zurück und eilen dorthin. Und was finden sie dort vor? Nur ein kleines neugeborenes Kind, das die Eltern in einem Futtertrog abgelegt haben. Aber die Hirten erkennen weit mehr als das. Sie sehen Jesus, den Heiland, den Retter der Welt.
Die Hirten sind Juden. Zu ihrem Glauben gehört, dass sie auf den Messias hoffen: Ein Herrscher, den Gott schickt, die Welt zu retten. Nun stehen die Hirten vor dem kleinen Jesuskind, von dem der Engel gesagt hat: Das ist er, der Heiland, der Retter der Welt. Sollen sie ihm glauben? Können sie ihm überhaupt glauben? Denn dieser Heiland ist ganz anders, als sie es erwartet haben. Alle erwarten ihn eigentlich als eine starke Figur, die aktiv in die Geschichte eingreift, die alles zum Besseren wendet. Ein König, der die Weltgeschichte in die Hand nimmt, stärker als alle anderen Herrscher, gerechter und friedlicher als alle anderen.
Wo lebt so einer? Wo wird er geboren? Sicher in der Hauptstadt – in Jerusalem. In einem Palast, von Soldaten umgeben, ausgestattet mit Geld und Macht. So haben viele gedacht. Jedenfalls wird er nicht Bethlehem geboren. Jedenfalls ist er nicht das kleine Kind einer unbedeutenden jungen Frau. Jedenfalls sind seine Erkennungszeichen nicht eine Windel, eine Krippe und ein Stall. Oder doch? Die Hirten verstehen es so. Vielleicht ahnen sie auch nur, dass hier etwas ganz Besonderes geschehen ist. Der Messias, der starke Bote Gottes, kommt als schwaches Kind zur Welt. Im kleinen Bethlehem. Als Sohn armer Leute. Bezeugt von Hirten und Fremden. Hier wird alles auf den Kopf gestellt. Der unfassbar große Gott zeigt sich im ganz Kleinen.
Der unfassbar große Gott zeigt sich im Kleinen. Der große Gott wird Mensch. Und weil Gott klein wird, rückt das, was am Rand ist, in die Mitte. Gottes Interesse gilt allen Menschen. Deshalb geht Gott zu kleinen Leuten, zu denen, die sonst schnell vergessen werden. Wer Gottes Liebe besonders braucht, soll etwas von ihr erfahren. Gerade in den Momenten meiner Schwäche lässt Gott mich nicht los. Und Gott hört nicht auf, mit seiner Liebe immer wieder seine Menschenkinder zu suchen. Diese Botschaft gehört zu den Grundlagen des jüdischen und des christlichen Glaubens. Das hat bis heute handfeste Folgen. Im Namen dieses Glaubens haben immer Menschen Sterbende getröstet, Kranke gepflegt, sozial Schwache unterstützt, Fremde aufgenommen und Verzweifelten beigestanden. Diese Glaubenshaltung ist eingegangen in die Kultur Europas, in das Sozialsystem, in das Rechtssystem, in das Wertesystem. Auch Schwache haben eine Würde, sie haben Rechte, sie haben ein Recht auf Hilfe.
Dass das in unserer Gesellschaft gilt, ist nicht selbstverständlich. Es ist auch eine Folge dieses Blickes des Glaubens auf die Welt und die Menschen. Oft bleibt die Realität hinter diesem Anspruch zurück – leider. Da ist Angst stärker als Hilfsbereitschaft, Hass manchmal stärker als Liebe. Ich sehe mit großer Sorge, wie heute Menschen verunsichert sind, was die Zukunft bringen wird. Und in der Unsicherheit meinen sie, dass es besser sei, sich abzuschotten und abzugrenzen, um erst einmal eigene Interessen zu sichern. Das ist im Kleinen so, aber eben auch in Gesellschaft und Politik. Ich denke nach wie vor: Es war gut, Flüchtlinge in ihrer Not in Deutschland aufzunehmen. Das entspricht dem Grundverständnis eines Landes, das sich von der jüdisch-christlichen Tradition geprägt weiß. Daran möchte, ja muss ich festhalten, auch wenn deutlich ist, dass einige Menschen, die gekommen sind, auch Verbrechen begehen können. Viele, viele sind dankbar, in Frieden und Freiheit hier sein zu können und stehen genau dafür ein. Zusammen mit ihnen dürfen wir uns die Werte unseres Zusammenlebens nicht kaputt machen lassen.
Weihnachten feiert den Kern des christlichen Glaubens: den Heiland, der in einem Stall geboren wurde. Er rückt die ins Blickfeld, die sonst außen vor bleiben. Damit appelliert der Glaube nicht nur an unser gutes Herz für die Schwachen, sondern zeigt: Dort ist Gott! Wer Menschen in Not hilft, handelt nicht nur mitmenschlich, sondern wendet sich auch Gott zu. Die Hirten in Bethlehem ahnten nicht, was aus ihrem Erlebnis später werden würde. Sie hatten erst einmal nur das, was sie im Stall selbst erlebt hatten, und das, was ihnen der Engel zuvor gesagt hatte:
„Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird, denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.“ (Lukas 2,10)
Die Geschichte dieses Kindes geht weiter. Aus dem Kind im Stall von Bethlehem ist der erwachsene Jesus geworden, der mit seinen Reden und Taten viele Menschen bewegte. Und der die Mächtigen in Jerusalem in Aufruhr versetzte. Dort wurde Jesus verhaftet, getötet und begraben. Der kleine Jesus aus dem Stall war bekannt geworden. Aber man kann nicht gerade sagen, modern gesprochen, er hätte eine sagenhafte Karriere hingelegt. Er war erbärmlich ins Leben gestartet und war erbärmlich geendet. Aber man hörte davon, sein Grab sei leer gewesen und dass er auferstanden sei von den Toten.
Denen, die das erlebt haben, wurde allmählich klar: Jesus war ein Mensch und zugleich mehr als das. Er war auch anders als der erhoffte Messias. In ihm war Gott selbst ein Mensch geworden! So versuchten sie, das Besondere, was sie mit Jesus erlebt hatten, zu beschreiben. Das ist bis heute ein großer, auch ein geheimnisvoller Gedanke. Der unendliche Gott in einem endlichen Menschenleben. Denn immer wurde Gott gedacht als die allmächtige und alles umfassende Macht, die Schöpferkraft des Himmels und der Erde. Wenn Menschen Gott suchen, dann meist in der Weite des Himmels oder in der Schönheit der Welt, in der Härte des Schicksals oder im Glück des Zufalls. Aber nicht in einem Kind, nicht in einem Stall.
Das genau ist das Wunder der Weihnacht: Der verborgene Gott zeigt sich. Gott, der Schöpfer, wird Geschöpf. Gott, der Ferne, kommt auf die Erde. Der Ewige macht sich sterblich. Der Allmächtige macht sich schwach. Wer also Gott finden will, schaut besser nicht nach oben, sondern nach unten: mitten hinein in unser Leben. Hier ist seine Liebe zu finden. Hier begegnet sie uns. Das ist wunderbar. Aber auch eine Zumutung. Denn Gott rückt ja nicht nur die ins Zentrum, die am Rande sind. Gott ist selbst am Rande zu finden. Dort, wo niemand gerne hinschaut, dort ist Gott.
Wir feiern Weihnachten in einer Welt, die der Liebe nach wie vor wenig zutraut. Viele vergessen immer noch die, die am Rande stehen. Und damit vergessen sie auch Gott.
Das Fest der Liebe legt den Finger in die Wunden der Welt. Viele spüren den Schmerz. Nicht alle mögen das. Sie halten sich Weihnachten mit ironischen oder skeptischen Sprüchen vom Hals. Andere flüchten am liebsten ganz – irgendwohin. Aber auch dort ist Gott. Auch dort ist seine Liebe. Und diese Liebe ist stark wie der Tod, so heißt es in der Bibel. Jesus zeigt, sie ist sogar stärker ist als der Tod. Sie macht neues Leben möglich. Das feiern wir an Weihnachten. Und so gut es geht, leben wir das auch – nicht nur in diesen Tagen. Das macht Weihnachten so schön, finde ich.