Bibelmarketing anno 1522 - Luhters Septembertestament
Mitte Juli hat er angefangen, heißt es, und dann elf Wochen gebraucht, um das griechische Neue Testament ins Deutsche zu übersetzen. Vielleicht hatte er schon ein bisschen vorgearbeitet. Aber Martin Luther muss damals auf der Wartburg Tag und Nacht am Schreibtisch gesessen haben. Von den Evangelien bis zur Offenbarung in 70 Tagen.
Das Tempo Luthers bei der Übersetzungsarbeit ist umso erstaunlicher, weil es die einheitliche deutsche Sprache damals noch nicht gab. Offizielle Texte waren lateinisch verfasst und zu Hause sprach man den jeweiligen Dialekt. Mit der Übersetzung des Neuen Testaments und später der ganzen Bibel hat Martin Luther einen entscheidenden Schritt hin zur deutschen Sprachkultur getan, ja er gilt manchen sogar als der Schöpfer der neuhochdeutschen Schriftsprache.
Luthers Arbeitstempo hat einen Grund: seine Verleger sitzen ihm im Nacken. Die wollen auf der Frankfurter Buchmesse im September 1522 möglichst viele Exemplare des Werks verkaufen. Und die Rechnung geht auf: Das Buch findet reißenden Absatz. Die erste Auflage, das ‚Septembertestament‘ mit 3000 Exemplaren geht komplett schon auf der Messe weg. Im Dezember wird eine überarbeitete Fassung nachgedruckt. Die Bibel wird zu einem Volksbuch.
Der Ruf Luthers als Mann, der vor Papst und Kaiser nicht eingeknickt war, mag das Geschäft mit dieser Bibelausgabe befördert haben. Aber ich denke, eine noch wichtigere Rolle spielt der Grundgedanke der Reformation, dass jeder einzelne Mensch mit seinem Glauben vor Gott steht. Dass er also nicht auf die Vermittlung anderer dabei angewiesen ist, auch nicht auf die Vermittlung von Priestern, die die Geschichten der Bibel mal so oder mal anders auslegen. Also gilt es nun, sich selbst ein Bild zu machen. Luther sei Dank können Hinz und Kunz seit damals nachlesen, was da geschrieben steht über Sünde und Gnade, über Petrus und Paulus und was Jesus gepredigt hat.
Manche tun das auch heute wieder! Neugierig fangen sie bei der Weihnachtsgeschichte an, entdecken die Bergpredigt, kämpfen sich durch den Römerbrief. Gerade in Zeiten, in denen sich Menschen verschiedener Religionen begegnen und wir uns über Unterschiede und Gemeinsamkeiten unterhalten, kann ein bisschen Basiswissen ja nicht schaden.
Gut, dass wir sie haben, die Bibel in unserer Sprache: um uns an ihr zu orientieren und aus ihr Kraft zu schöpfen, und am Ende uns selbst besser zu verstehen.