Ihr Suchbegriff
Beitrag anhören:
Blaumann oder Schwarzkittel
Bildquelle: Skeez/Pixabay

Blaumann oder Schwarzkittel

Hermann Trusheim
Ein Beitrag von Hermann Trusheim, Evangelischer Schulpfarrer, Hanau
Beitrag anhören:

„Dann müssen wir mal schauen, ob wir einen Blaumann für Sie finden.“ Das sagt Herr Hotz, als ich mich anmelde. ‚Blaumann‘ ist die Arbeitskleidung für die, die sich schon mal die Hände schmutzig machen. Typisch für Handwerker eben.

Ich trage im Dienst was anderes. Manche nennen das Kleidungsstück ein wenig despektierlich ‚Schwarzkittel‘, ich sage dazu Talar. In meinem Dienst als Pfarrer mache ich mir die Hände meistens nicht schmutzig.

Blaumann statt Schwarzkittel – wie es zu diesem ‚Trikotwechsel‘ kam? Nach über 40 Jahren war unser Bad in genau diese gekommen – in die Jahre. Unter ‚Beckenbauer‘ sucht man im Branchenbuch vergeblich, aber unter ‚Handwerksbetriebe‘ findet man sie, die Fachleute für Fliesen, Wannen, Heizung und Wasser. Wir ließen uns beraten, wälzten Prospekte und nach einer längeren Planungsphase waren sie bei uns im Haus – die Handwerker.

Es ging natürlich nicht ohne Staub ab, und es gab auch mal was nachzubessern. Aber immer, wenn ich nach Hause kam, empfing mich ein kleiner Fortschritt, den man sehen konnte. Das ist bei meinem Dienst nicht immer der Fall.

Ob es das war, was mich auf den Vorschlag des Firmenchefs eingehen ließ? „Sie können ja mal einen Tag bei uns Praktikum machen und sehen, wie das im Handwerk so zugeht.“ Vielleicht hat es meinem Stolz auf den Plan gerufen, als würde ich das wahre Arbeitsleben nicht kennen - immerhin stamme ich selber aus einer Schreinerei.

Oder war das Angebot als Scherz gemeint? Ich jedenfalls nehme es ernst und rufe eine Zeitlang später an, um mich zu meinem „Eintagespraktikum“ zu melden.

Um viertel nach sieben bin ich auf dem Betriebshof. Zollstock und Bleistift gibt’s als Grundausstattung, ein richtiger Blaumann wurde es dann doch nicht, dafür eine moderne Monteurjacke. (Naja, ich hatte meinen Schwarzkittel ja auch nicht mitgebracht, um ihn für einen Tag in den Spind zu hängen.)

Dann geht‘s aber los, mit Heizungsfachmann Denis, im Firmenbus auf Kundenbesuch.

Kurz vor acht sind wir beim ersten Kunden. Eine Heizungsanlage muss gereinigt werden. Wir werden erwartet und freundlich hineingebeten. Das passiert mir auch als Pfarrer, aber ich komme meistens nicht in den Keller. Dort stehen aber die Heizkessel. Keller sind typische Aufbewahrungsräume. Genau wie bei mir zu Hause, stehen da die Erinnerungen, von denen man sich noch nicht trennen konnte.

Der Hausbesitzer schaut uns zu und stellt Fragen. Denis erklärt, was wir machen. Bei jemandem ins Haus kommen und arbeiten ist Vertrauenssache. Nach ein paar Tipps zur Einstellung der Heizanlage, schließlich soll sie noch lange halten, geht’s bald weiter. Beim zweiten Kunden bekommen wir einen Kaffee angeboten, das ist sehr nett. Denis sagt, dass sei gar nicht mehr üblich. Handwerker freuen sich über freundliche Kunden, wie Kunden über freundliche Handwerker.

Ich kann unterdes unter Anleitung Verbrennungskammern entrußen, wobei ich viel lerne. Was aber genauso wichtig ist – ich gewinne einen neuen Blick. Ich bin hier nicht der ‚Herr Pfarrer‘, der als solcher Menschen häufig in besonderen Situationen und zu besonderen Anlässen begegnet. Ich werde anders angeschaut und ich gewinne selbst eine andere Perspektive. Mir macht’s Spaß, mal normal angesprochen zu werden, und ganz konkret was zu tun, das Probleme löst. Es geht nicht um sonntägliches, sondern um den Alltag. Was hat das beides miteinander zu tun?

Zwar bleibt neben der Konzentration auf die Arbeit nicht viel Zeit, darüber nach zu denken, aber eins ist mir schnell klar: Was am Sonntag gepredigt wird, findet seine Bewährungsprobe im Alltag. Offenheit, Freundlichkeit, Verantwortung, Ehrlichkeit, genau das, wofür für mich der Glaube steht, gibt den Ausschlag. Wenn das umgesetzt wird, läuft der Laden.

Dann ist Mittagspause. Denis und ich reden über Gott und die Welt. An einem Montag – nicht am Sonntag. Ob ich sonst so die Gelegenheit mit ihm dazu hätte? Wir erzählen. Na klar, wer arbeiten muss, redet vom Urlaub. Wir mögen beide die Toskana. Lachen über Erlebnisse in Pisa mit den Straßenhändlern am schiefen Turm. Tauschen Geheimtipps aus, wo man unbedingt hin muss: Die Steinbrüche in Carrara und den Strand von Lucca. Denis erzählt auch von dem jungen Flüchtling, der in der Firma erste Schritte auf den Arbeitsmarkt machen darf – das finde ich toll.

Wenn man sich gut versteht, geht das mit dem Arbeiten gleich auch besser. Vielleicht hat Denis deswegen auch viel Geduld mit mir, als es später darum geht, Wasseruhren einzustellen.

Am Ende des Tages sind wir bei neuen Kunden. Da gilt’s erstmal, sich bekannt zu machen, und Ängste zu nehmen. ‚Wird das jetzt sehr teuer?‘ ist eine der ersten Fragen. Das kann Denis natürlich auch nicht auf den ersten Blick sagen, aber er erklärt alles, was er macht, das schafft Vertrauen. Und bevor wir mit der Reparatur beginnen, rufen wir erst noch den Familienvater an, der an der Arbeit ist. Das dauert dann ein wenig länger, aber alle sind zufrieden.

Ich bin’s am Ende dieses Arbeitstages auch. Und das Ergebnis dieses Rollentausches? 

Es geht um einen Perspektivwechsel und um eine Verbindung.

Mir hat es gut getan, mal aus meiner Rolle zu schlüpfen und etwas mit der Hand und nicht nur mit dem Kopf zu machen. Den Alltag der anderen mit zu erleben. Das macht den Blick frei und stellt den Glauben auf die Füße.

Mir ist eine Verbindung wieder wichtig geworden. Die Verbindung zwischen Glauben und Alltagsleben. Ich musste nicht aus meiner Rolle fallen. Die Werte, die meinen Glauben bestimmen, tragen mich an jedem Tag. Was Jesus sagt und vorlebt, hat Hand und Fuß. Es tut gut, das zu erfahren.

‚Seid aber Täter des Wortes und nicht Hörer allein‘ – so steht es im 1.Kapitel des Jakobusbriefes im Neuen Testament. Das macht mir bewusst, dass ‚Glauben‘ ein Tätigkeitswort ist, im wahrsten Sinne. Glauben und handeln in Übereinstimmung bringen – Glauben zeigen, darauf kommt’s an in den Herausforderungen unserer Zeit, in Politik und Gesellschaft, in meinem ganz privaten Umfeld, sonntags und werktags. Dann ‚läuft der Laden‘, das habe ich erlebt. Dann gibt’s zwar immer noch Probleme, aber auch echte, handfeste Lösungen. Gut, wenn ich mal die Perspektive wechsle, um Glauben und Handeln neu zu verbinden.

Perspektivwechsel und Verbindung sind für mich Stichworte gerade für den Advent. In Jesus kommt Gott zu mir, in meine Welt. Gott wird Mensch. Er nimmt meine Perspektive ein – so nahe kommt er mir. Und Jesus verbindet Glaube und Leben auf einzigartige Weise. Weil er mein Leben teilt, kann ich teilhaben an Gottes Reich. Was Jesus sagt und tut, ist alltagstauglich. Durch Offenheit, Freundlichkeit, Verantwortung, Ehrlichkeit und Vertrauen wächst Gottes Reich.

Zum Abschied meines Eintagespraktikums habe ich ein T-Shirt mit dem Firmenlogo geschenkt bekommen. Vielleicht trage ich‘s ja auch mal unter dem Talar. Das wäre eine stimmige Verbindung von Blaumann und Schwarzkittel.

Weitere ThemenDas könnte Sie auch interessieren