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Du bist nicht alleine
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Du bist nicht alleine

Stephan Krebs
Ein Beitrag von Stephan Krebs, Evangelischer Pfarrer, Langen

Die größte Angst kleiner Kinder ist, alleine gelassen zu werden. Das wichtigste Bestreben von Eltern ist es, ihren Kindern genau das zu ersparen. Sie wollen den Kleinen die Gewissheit zu geben: Du bist nicht allein. Wir sind zusammen, und zusammen sind wir eine Familie. Dabei spüren Eltern insgeheim: Diese umfassende Geborgenheit können sie ihren Kindern gar nicht allein geben. Denn das Leben bleibt letztlich unverfügbar. Niemand ist sicher vor dem Gefühl, von Gott und der Welt verlassen zu sein.

Zum Glück lassen sich die meisten Eltern davon nicht entmutigen. Sie geben einfach ihr bestes – und hoffen auf Gottes gutes Geleit. Viele feiern das für ihre Kinder auch mit einem fröhlichen Fest, einem Nicht-Allein-Fest, also mit der Taufe. Am Taufbecken kommen viele zusammen, die Familie und die Kirchengemeinde. Gemeinsam zeigen sie dem Täufling: „Du bist nicht allein, denn wir sind bei dir.“ Dabei erinnern sie sich auch an ein Versprechen, das Jesus gegeben hat: „Siehe, ich bin bei euch, alle Tage bis an der Welt Ende.“

Wir sind auf Dialog ausgelegt. Wir brauchen ein Gegenüber, das wir lieben können und das uns liebt. Ein Gegenüber, von dem wir uns anregen lassen oder uns abgrenzen können. Im Dialog erkennt man leichter, wer man selbst ist. Das bringt die Bibel mit einem kleinen Satz auf den Punkt: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“. Das sagt Gott, als er den ersten, frisch geschaffenen Menschen anschaut. Sogleich kreiert er ein Gegenüber: die Frau und damit die Keimzelle der Familie.

„Nicht allein“ – dieses Wort greift die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau in den nächsten Wochen auf. Mit Briefen, Plakaten und Veranstaltungen regt sie dazu an, das Familienleben bewusst zu pflegen. Damit macht sie auf die Bedeutung der Familie aufmerksam. Jeder Mensch hat eine. Aber keine gleicht der anderen. Die Familie kann groß oder klein sein. Sie kann kaputt oder heil erscheinen. Harmonisch oder zerstritten. Liebevoll oder distanziert. Kinderreich oder kinderlos. Sie kann unter einem Dach leben oder weit verstreut. Familien sind so bunt wie die Menschen, die sie bilden.

Und das gilt auch für die Kräfte, die sie zusammen halten. Bei manchen sind es die Gene, bei anderen die Gefühle. Vielleicht auch die Finanzen. Oder die Tradition. Oder nur die Angst vor dem Alleinsein. Auch darin zeigt sich: Familien sind vielfältig.

Eines ist allerdings allen Familien eigen: Sie sollen Geborgenheit bieten – für die Kinder, für die Alten, für die Erwachsenen. Familie ist eine Verantwortungs-gemeinschaft in guten und in schlechten Zeiten – und über Generationen hinweg. Davon handelt auch das Lied „You’ll never walk alone“ – Du wirst niemals alleine gehen.

Musik: Refrain von “You’ll never walk alone“ von Gerry and the Pacemakers

Sanft und melancholisch klingt dieses Lied. Geradezu zärtlich. Hier wurde es gesungen von der Popgruppe Gerry And The Pacemakers. Ursprünglich stammt es allerdings aus dem Musical Carousel. Es wurde im April 1945 auf dem Broadway uraufgeführt. Erzählt wird darin vom Schicksal einer armen Familie. Ein Kind kommt, aber die Eltern haben kein Geld, es ordentlich zu versorgen. Deshalb macht der Vater bei einem Einbruch mit. Doch die kriminelle Aktion geht schief, der Vater kommt dabei sogar ums Leben. Nun steht die Mutter mit dem Kind ganz alleine da, in hoffnungsloser Lage.

Der getötete Mann kommt zu Gott in den Himmel. Von dort aus sieht er seine verzweifelte Frau und ihr Kind. Unbedingt will er den beiden Mut machen. Also erlaubt ihm Gott, noch einmal kurz zurück auf die Erde gehen. Er darf seiner Familie einen kleinen Stern bringen, als Zeichen, dass die beiden nicht alleine sind. Der himmlische Vater ist bei ihnen. Gottes Versprechen klingt an: „Siehe, ich bin bei euch, alle Tage bis an der Welt Ende.“ In dem Musical begibt sich der Vater also auf seine Mutmach-Reise. Dazu erklingt das Lied: „You´ll never walk alone“.

Musik: “You’ll never walk alone“

Der Vater unterwegs zu seinem Kind, um ihm Mut für das Leben zu machen. Das ist ein Moment der zu Tränen rühren kann. Damals, 1945, in den letzten Monaten des zweiten Weltkrieges, traf das den Nerv vieler Mütter. Sie bangten um ihre Söhne und Männer, die an der Front waren. Aber genau genommen tragen alle Menschen zu allen Zeiten die Fragen des Musicals mit sich herum: Bin ich allein? Und: Wer macht mir Mut? Das Lied gibt darauf eine Antwort. Deshalb ist es nur logisch, dass das Lied schon früh zum Popsong wurde.

Die Gruppe Gerry and The Pacemakers brachte es 1963 heraus. Da lernte die Popmusik gerade erst das Laufen. Die Band stammte aus Liverpool – wie auch die Beatles. Nun ist diese englische Stadt nicht nur die Wiege der Popmusik, sondern auch die Heimat des Fußball-Clubs FC Liverpool. Und der ist berühmt für seine besonders fanatischen Fans. Die hörten damals vor den Spielen im Stadion die aktuellen Popsongs. Musik zum Einstimmen. Auch den Song von Gerry and the Pacemakers. Dabei ereignete sich jener historische Moment, der als die Geburtsstunde aller Fußballgesänge gilt. Die Musikanlage fiel aus. Da offenbarte sich, dass alle Fans den Song laut mitsangen. Und nicht nur das. Sie sangen ihn ohne Lautsprecher einfach weiter. Eine großartige Erfahrung von ureigener Kraft und Gemeinschaft!

Das Lied wurde zur Hymne, die die Fans fortan vor jedem Spiel anstimmten. Heute kennen es Fans weltweit. Inzwischen ist es eine Art eiserne Ration für den humanitären Ernstfall geworden. Gebraucht wurde sie vor ein paar Wochen im Dortmunder Stadion. Während des Spiels verstarb dort ein Mann an einem Herzinfarkt. Die Fans beider Mannschaften reagierten gemeinsam. In kollektiver Trauer sahen sie dem Tod ins Auge. Gemeinsam sangen sie sich ihr Mitgefühl und ihren Schrecken von der Seele. Die Kraft des Miteinanders – viele erleben dieses großartige Gefühl weniger in ihrer Familie, sondern eher woanders, etwa in ihrem Fußballverein. Wer kein Fan ist, kann darüber nur staunen.

Aber echte Fans erleben ihren Verein wie eine große Familie. Dabei ist es in einem Verein nicht so, dass sich alle Fans gegenseitig toll fänden. Nein, da gibt es massive Reibereien, etwa zwischen weltoffenen und rechtslastigen Fans. Und wenn die aufeinander prallen, dann knallt es – wie in der Familie ja auch. Dabei hält man allerdings viel aus, bevor es zu einem endgültigen Bruch kommt. Denn die Familie – oder auch den Verein – gibt man nicht leichtfertig auf. Zu wichtig und zu schön ist es, darin eingebettet zu sein. In der großen Gemeinschaft des Stadions erlebt man die Höhen und Tiefen des Spieles. Und gemeinsam singt man von der Hoffnung, nie allein zu sein.

Musik: “You’ll never walk alone“

Das sind starke Bilder – nicht nur für den Fußball, sondern für das ganze Leben. Besonders für Familien, denn davon handelt das Lied, vom Schicksal einer Familie in Not. Davon gibt es weltweit unzählige, nicht nur in den Kriegs- und Elendsregionen dieser Welt. Oder auf den gefährlichen Fluchtrouten von dort. Familien in Not gibt es auch in den besser geordneten Ländern. Auch in Hessen leiden Familien unter materieller oder seelischer Not. Was kann ihnen Mut machen, nicht aufzugeben, sondern weiterzugehen? Hoffentlich zunächst einmal die Familie selbst. Wenn sie beieinander ist, dann ist niemand ganz allein.

Und dann – hoffentlich – entfaltet auch das Versprechen Gottes seine Kraft: „Siehe ich bin bei alle Tage bis an der Welt Ende.“ Es ist das letzte Wort Jesu, überliefert ganz am Ende des Matthäus-Evangeliums. In diesem Jesus-Wort steckt eine Kraft. Sie kann einen hoffen lassen, wo es eigentlich keine Hoffnung mehr zu geben scheint. Auch dann gilt: Du gehst nicht allein durch dein Leben.

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