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Vorsicht Nähe?
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Vorsicht Nähe?

Helmut Wöllenstein
Ein Beitrag von Helmut Wöllenstein, Evangelischer Pfarrer, Marburg

So, Sie geben einem noch die Hand, sagt meine Ärztin etwas erstaunt an der Tür zum Sprechzimmer. Freundlich erwidert sie meinen Händedruck. Wieso, frage ich, was ist daran besonders? Viele sind da heute ganz vorsichtig geworden, sagt sie. Man will sich keine Infekte einfangen - jetzt im Frühling. Da grüßt man lieber von weitem, auf Zuruf. Ist aber gar nicht so gut, erklärt sie weiter. Gerade der Kontakt mit vielen Leuten stärkt die Abwehr. Außerdem bringt uns diese Ängstlichkeit nur weg voneinander. Wir kommunizieren doch immer mehr virtuell, in künstlichen Welten. Auf der anderen Seite steigt der Hunger nach Berührung. Man will sich spüren. Eine ganze Berührungsindustrie ist da im Entstehen. Wellness, Massagen, Kosmetik. Die Leute geben viel Geld aus, wenn jemand Hand anlegt.

So genau habe ich noch nie nachgedacht, über den schlichten Händedruck zur Begrüßung. Er gehörte einfach zu meiner Erziehung: Man sagt Guten Tag und gibt den Leuten die Hand. Aber bitte das schöne Händchen, hieß es, wenn man aus irgendeinem Grund die Linke anbot. Ehrlich gesagt finde ich gut, dass das vorbei ist, dieser steife Benimm der frühen 60er Jahre. Kinder geben einem heute die Hand, wenn sie wollen, und nicht weil sie müssen.

Und doch würde mir ohne den Handschlag etwas fehlen. Man kommt sich einfach näher, sieht sich in die Augen. Der Händedruck hat dabei noch eine ganz eigene Botschaft. Er kann fest sein, oder weich, hart oder locker. Ich erlebe eine bestimmende oder eine unsichere Geste. Jemand zieht oder schiebt oder bleibt in Balance mit mir. Er ist flüchtig oder etwas länger. Es kann sehr herzlich sein, ein Schütteln, ein Umarmen mit Händen, oder ein wirkliches Umarmen. Wie gut kann ich mich erinnern an den Händedruck vieler Menschen: Da waren früher bei uns im Dorf die schwieligen Hände, hart und rau von Landarbeit. Oder es gab feine, schlanke Hände, sensible, geschmeidige, athletisch muskulöse. Nicht zu vergessen ist für viele der Händedruck von Prominenten. Die Leute strahlen, wenn sie den Bundespräsidenten beim Bad in der Menge treffen, den Papst oder ihre Lieblingsschauspielerin.

Kaum zu toppen ist das Zeichen, wenn zwei sich gezankt haben, einen Schlussstrich ziehen und sich dazu die Hand geben. Abgemacht. Wir wollen uns wieder vertragen. Uns grüßen und in die Augen sehen, wenn wir uns treffen. In einem Kirchenlied (EG 365,1)heißt es: Gott reicht mir seine Hand, den Abend und den Morgen, tut er mich wohl versorgen, wo ich auch sei im Land.

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