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Mitgehen mit Jesus
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Mitgehen mit Jesus

Anke Haendler-Kläsener
Ein Beitrag von Anke Haendler-Kläsener, Evangelische Krankenhauspfarrerin, Flieden

Sie sollten einmal an einem Palmsonntag nach Jerusalem reisen und dort dieses Fest erleben! Vor vielen Jahren war mir das einmal vergönnt, und ich erinnere mich jedes Jahr wieder daran. Die Gläubigen unterschiedlichster Konfessionen - leider nicht die Orthodoxen, denn sie haben ja meist ein anderes Osterdatum - treffen sich am Ölberg mit Palmzweigen in den Händen und ziehen in einer großen Prozession langsam und gemessen von dort in die Altstadt hinein. Bis zu 20.000 Gläubige nehmen daran teil, erwartungsvoll und gespannt. Sie singen Lieder, sie sprechen Gebete, sie versetzen sich hinein in dieses Ereignis vor über 2000 Jahren, das heute wieder ganz lebendig wird. Mich hat das sehr berührt. Diese letzte Wegstrecke der Passionszeit, der erste Tag der Karwoche wird mit viel Bedacht und ebenso viel Bohei begangen, voller Erwartung und Hoffnung, und doch geht es dann unaufhaltsam auf den Karfreitag zu.

Palmsonntag in Jerusalem. Ich würde gerne die Uhren zurückdrehen können und schauen, wie es damals war. Bei diesem allerersten Palmsonntag. Der war immerhin den Evangelisten so wichtig, dass sie alle vier davon berichten. Und wie es so Art der jüdisch-christlichen Bibel ist: Markus, Matthäus, Lukas und Johannes setzen unterschiedliche Akzente. Sie malen das eine kraftvoller und farbiger aus, sie lassen das andere weg, sie wagen kleine Veränderungen – und diese vier Geschichten bleiben dann unzensiert nebeneinander im biblischen Kanon stehen! Ist den Endredakteuren denn gar nicht die Frage gekommen: Wie war es denn jetzt wirklich? Wer hat mehr Recht in seiner Darstellung? Nein, das ist tatsächlich nicht ihre Frage. Sie sind so gar nicht buchstabengläubig, nicht fundamentalistisch, sondern sie können mit viel Weite im Herzen Abweichendes nebeneinander stehen lassen. Weil es verschiedene Facetten des einen Glaubens betont. Weil im Glauben keine beharrliche Enge nötig ist, sondern weil er frei macht.

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Heute möchte ich mit Ihnen die Palmsonntaggeschichte nach der Darstellung des Johannes anschauen, die uns als Tagesevangelium gegeben ist. Ich erinnere mich: bei unserer Prozession in Jerusalem nahm die Bewegung ihren Ausgang am Ölberg. Dort sammelten sich alle und zogen in die Stadt hinein. Das ist die große Grundbewegung der Palmsonntagsprozession – und übrigens auch der Geschichte, wie sie die drei anderen Evangelisten erzählen. Jesus hält sich am Ölberg auf und lässt dort seine Jünger nach einem Eselsfohlen suchen, oder auch, bei Matthäus, nach Eselmutter und Eselfohlen, weil er nicht so gut hebräisch kann. Jesus steigt auf und reitet in die Stadt hinein, wo ihn die Menschen erwarten. Sie reagieren auf das, was er tut.

Bei Johannes ist es von Anfang an genau andersherum. Nicht die Menschen reagieren auf Jesus, sondern er reagiert auf sie: Als am nächsten Tag die große Menge, die aufs (Passa-) Fest gekommen war, hörte, dass Jesus nach Jerusalem käme, nahmen sie Palmzweige und gingen hinaus ihm entgegen und riefen: Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, der König von Israel! Jesus aber fand einen jungen Esel und ritt darauf...

Die Stadt Jerusalem ist voller Pilger, weil das Passafest gefeiert wird. Passa ist eines der großen Wallfahrtsfeste, zu dem ein gläubiger Jude sich gern in der heiligen Stadt und im Tempel aufhält. Die Stadt ist also voller Menschen, voller Besucher – vielleicht so um die 20.000 wie bei den heutigen Prozessionen. Jerusalem brodelt und ist voller Erwartung. Mitten in dieser angespannten Feierlaune, in der Menschen besonders offen sind, hört die große Menge, dass Jesus kommt. Von ihm haben schon viele gehört, er hat von sich reden gemacht, er hat sowohl Zustimmung als auch Ablehnung entzündet – und nun kommt er. Da müssen sie handeln.

Sie greifen sich Palmzweige und laufen ihm entgegen. Hier ist die Bewegung eine andere: nicht Jesus zieht in die Stadt hinein, sondern sie laufen aus der Stadt heraus ihm entgegen. Sie sind die Aktiven, die handeln, sie fordern ihn heraus. Und tatsächlich ist der Gesang, mit dem sie ihn begrüßen, eine echte Herausforderung: Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, der König von Israel! So wird nach biblischem Zeugnis der Messias begrüßt, der Friedensstifter. Sie wollen ihn als ihren König krönen, als Revolutionär, der das Land von den verhassten Römern befreit. Sie sind voller Hoffnung und setzen große politische Erwartungen auf ihn. Jetzt endlich können sie sich mit Jesu Hilfe befreien von der Besatzungsmacht. Jetzt ist die Stunde der Entscheidung. Jetzt kommt die Wende. Ich vermute, viele von uns können sich gut in sie hineinversetzen.

Ein ähnliches Gefühl von Erwartung hat sich in unserem Land verbreitet, als 1989 nach vielen Montagsgebeten und Protesten die Grenzen der DDR sich öffneten. Plötzlich frei! Endlich nicht mehr eingesperrt! Was für Möglichkeiten liegen da vor uns. Oder vor einigen Jahren, als nach langer Zeit der Ausgrenzung und Unterdrückung der erste schwarze Präsident in den USA gewählt wurde. Endlich nicht mehr versklavt oder auf die letzten Sitzplätze im Bus verbannt! Endlich selbstbewusst und gleichberechtigt! Da war die Begeisterung so groß, dass sogar ein verfrühter Friedensnobelpreis her musste. Fast messianisch mit Palmzweigen in den Händen war die Hoffnung. Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, der König (von Israel)!

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Und Jesus? Jetzt wäre der Augenblick, in dem er endlich das darstellen könnte, was viele von ihm erwarten. Jetzt könnte er auf einem Streitross königlich in die Stadt einziehen und ein Exempel statuieren. Er könnte leicht für viele die große Hoffnung ihres Lebens erfüllen und Frieden erkämpfen. Aber: Jesus fand einen jungen Esel und ritt darauf, wie geschrieben steht (Sacharja 9,9): „Fürchte dich nicht, du Tochter Zion! Siehe, dein König kommt und reitet auf einem Eselsfüllen.“

Der Symbolwert dieses Geschehens ist ein Witz. Kein edler Rappe, sondern ein kleiner, struppiger Esel. Lächerlich. Schon mit der Wahl seines Reittieres macht Jesus ihnen einen Strich durch die Rechnung. Er erfüllt ihre Erwartungen nicht, sondern setzt andere Akzente. Aber er will sie damit nicht brüskieren, sondern versucht gleichzeitig, sich zu erklären. „Fürchte dich nicht, du Tochter Zion! Siehe, dein König kommt und reitet auf einem Eselsfüllen.“ Ich bin kein König wie die anderen, ich habe meine ganz persönliche Note. Bei mir braucht ihr euch nicht zu fürchten. Ich erfülle das, was ihr nicht erwartet.

Die Menge der Pilger in Jerusalem hat klare Erwartungen: einen militärischen Aufstand und Frieden von den römischen Besatzern. Sie ordnen Jesus ein in die Koordinaten ihrer Zeit, in ihre geschichtlichen Auseinandersetzungen, und können darum auch nur dies von ihm erhoffen. Dass Jesus sich dem entzieht, wird die meisten von ihnen ratlos zurück gelassen haben. Ein politischer Führer, der eben diese Leitungsrolle verweigert, diskreditiert sich und hat kein Existenzrecht mehr. Einige Tage später sind sie es vielleicht, die deshalb am Karfreitag rufen „Kreuzige ihn!“

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Jesus enttäuscht die Erwartungen der großen Menge. Aber wie steht es dabei mit den Erwartungen seiner Jünger, die ja mit ihm auf dem Weg sind? In den Evangelien Markus, Matthäus und Lukas sind es die Jünger, die sich auf den Weg machen und das Eselfüllen suchen, um es Jesus zu bringen und mit ihm in die Stadt Jerusalem einzuziehen. Ob sie besser verstehen, was er hier tut? Ist ihnen klar, was sein Tun bedeuten soll? Johannes ist skeptisch. Das verstanden seine Jünger zuerst nicht; doch als Jesus verherrlicht war, da dachten sie daran, dass dies von ihm geschrieben stand und man so mit ihm getan hatte.

Die Jünger, die ihm doch schon seit Jahren nahe sind, die ihn tagein tagaus begleiten und mit ihm leben - sie verstehen seine Handlungsweise nicht wirklich. Immer wieder tappen sie in die Falle und zeigen durch ihr Verhalten, dass ihnen doch vieles verborgen bleibt. Sie wollen die ersten sein, die mit ihm im Himmelreich zu Tisch sitzen. Sie schicken die Kinder weg und fangen sich so einen heftigen Rüffel ein. Sie versuchen, ihn mit der Kraft des Schwertes vor den Soldaten zu retten. Immer wieder missverstehen sie ihn und seine Absichten. So auch hier: Die Jünger hatten anscheinend ganz andere Erwartungen als die, dass Jesus auf einem Esel in Jerusalem einzieht. Nähe zu Jesus ist keine Garantie dafür, ihn zu verstehen. Das verstanden seine Jünger zuerst nicht. Sie bleiben in dieser Geschichte ziemlich blass.

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Erwartungen an Jesus. Erwartungen an Gott. Erwartungen an die Kirche. Wenn ich diese Geschichte höre, werde ich ein bisschen neidisch. Ich möchte mich gern eingliedern in die Reihe der Menschen und ihm voller Hoffnung und mit brennendem Herzen entgegenziehen. Gleichzeitig spüre ich: diese große, ganz konkrete und fast unverschämte Erwartung an Jesus habe ich oft nicht. Ich bin da eher lau und gleichmütig, nehme Schicksalsschläge hin und verhalte mich unaufgeregt. Wenn ich Konflikte mit anderen Menschen durchleide, erwarte ich nicht unbedingt von Jesus, dass er mir den Weg zum Frieden aufzeigt. Wenn ich ausgegrenzt werde und mich allein fühle, erwarte ich von ihm nicht, dass er mir aus diesem Schlamassel heraushilft. Und wenn ich krank bin? Welche Erwartungen habe ich an Gott und an meinen Glauben?

Dabei ermutigt Jesus mich immer wieder, ganz klar meine Wünsche zu äußern. Er berichtet von der Witwe, die ohne Scheu und unverschämt bittet und nervt. Und sagt: Bittet, so wird euch gegeben. Klopfet an, so wird euch aufgetan.

Wir dürfen uns einreihen in die Menge der Pilger, ihm mit Palmzweigen in den Händen entgegengehen und rufen: Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, unser König!

Natürlich kann es auch sein, dass Jesus uns korrigiert, dass er uns nicht eins zu eins gibt, was wir von ihm erwarten. Einige meiner Konflikte werde ich noch länger mit mir herumtragen. Das Gefühl, allein zu sein, wird mich nicht sofort verlassen. Und manche Krankheit wird mir bleiben. Ja, wahrscheinlich gibt es manche Erwartung, die enttäuscht wird. Aber das ist ein Lernprozess auf dem Weg des Glaubens und zeugt von einer lebendigen Beziehung. Jesus verspricht, uns ernst zu nehmen und uns Antwort zu geben.

Ich erinnere mich an die Wunschzettel meiner Kinder, als sie noch klein waren: Playmobilhaus und Schaukel und ein eigenes Pferd. Natürlich stand das am Geburtstag nicht alles genauso da zur Bescherung. Besonders die Pferde ließen auf sich warten. Aber sie spürten aus dem, was da ausgewählt und ihnen erfüllt wurde, dass uns eine Beziehung voller Liebe verband. Und sie wuchsen mit den Enttäuschungen.

Die Geschichte endet bei Johannes mit den wunderbar ironischen Worten:

Die Pharisäer aber sprachen untereinander: Ihr seht, dass ihr nichts ausrichtet; siehe, alle Welt läuft ihm nach. Das möchte ich gern als Aufforderung hören. Ich möchte in dieser letzten Woche der Passionszeit Jesus nachlaufen. Ich möchte heute den Weg mit ihm gehen in die Stadt Jerusalem, dann zum letzten Abendmahl und zur Fußwaschung am Gründonnerstag, am Karfreitag auf den Berg Golgatha zum Kreuzestod und zuletzt zur Auferstehung am Ostermorgen. Alle Welt läuft ihm nach. Ich möchte Jesus auf diesem Weg begleiten und jeden Schritt des Weges mit ihm gehen. Und ich möchte dabei Großes von ihm erwarten.

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