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Im Schatten großer Ereignisse …
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Im Schatten großer Ereignisse …

Hermann Trusheim
Ein Beitrag von Hermann Trusheim, Evangelischer Schulpfarrer, Hanau

Große Ereignisse, sagt man, werfen ihre Schatten voraus. Für das Großereignis des Protestantismus in sechs Jahren mussten aber erst mal die großen Schattenerzeuger weichen. Die Denkmäler für Martin Luther und Philipp Melanchthon, die seit 1821 den Marktplatz in Wittenberg bestimmen, wurden zur Restauration gebracht, damit sie 2017 richtig gut aussehen. Den Platz nahmen im Jahr 2010 Figuren ein, die weniger Schatten werfen, dafür aber gleich einen Massenauftritt hatten. Der Künstler Ottmar Hörl hatte 800 Kleinausgaben des Lutherstandbildes aus rotem, grünen, blauen und schwarzem Plastik geschaffen, die bald als ‚Lutherzwerge’ Blicke und Aufmerksamkeit auf sich zogen. Einen Meter hoch und auf ein Lattenraster montiert, sollten sie nach dem Willen des Künstlers ‚zu einer ganz persönlichen und undogmatischen Auseinandersetzung führen.’ –

z persönlichen und undogmatischen Auseinandersetzung führen.’ – Das Spiel mit Größe und Menge ist ein Markenzeichen des Kunstprofessors, er hat schon das hessische Wappentier, den Löwen, als weiße und rote Plastikfiguren aufgestellt und viele bunte, kleine Plastikeulen anlässlich der Olympiade nach Athen tragen lassen. Der Gartenzwerg selbst, jener Rasenschmuck, der nicht selten zur geistigen Beschaffenheit des Volkes der großen Vorgärtner herangezogen wird, scheint für Ottmar Hörl so etwas wie eine Inspiration zu sein, um damit dann selbst wiederum zu provozieren: Der Künstler schuf den betenden Gartenzwerg, es gibt einen Zwergenaufstand von kleinen bemützten Kerlen, die den Mittelfinger zeigen, großes Aufsehen erregte ein Zwerg, der die Hand zum Hitlergruß erhebt.

Und nun der Lutherzwerg: Natürlich rief er ein geteiltes Echo hervor. Die einen brachte er zum Nachdenken, für andere war er ein Ärgernis. Hier wird der Reformator und die Reformation klein gemacht und verhöhnt, urteilten die einen, anderen eröffnete sich eine Möglichkeit, sich dem großen Mann und dem großen Thema einmal ganz anders zu nähern und tiefer zu blicken.

Hätte das Original mit dem Tintenfass nach dem ‚Plaste-Luther’ geworfen? Hätte er sich über den offiziellen Titel der Figuren als ‚Luther-Botschafter’ gefreut? Oder hätte Luther gefragt, wo denn der Melanchthon-Zwerg geblieben sei? Ein kühner Entwurf oder zu kurz gesprungen? Oder sollte gar der Lutherzwerg ein wahrhaft protestantischer Umgang mit dem Slogan ‚Wir sind Papst’ sein?

In diesem Jahr ist er dann selbst gekommen – der Papst. Nein, nicht nach Wittenberg, in die Stadt der Reformation, aber nach Erfurt. Dort lebte Martin Luther im Augustiner-Eremiten-Kloster von 1505 bis 1512 noch als Mönch und war natürlich katholisch. Benedikt XVI. würdigte die Persönlichkeit Luthers. Für den Papst war es nach eigenen Worten ein bewegender Augenblick, die Stätte zu besuchen, an der Luther der Frage nach Gott in einem ‚leidenschaftlichen Ringen um sich selbst, um und mit Gott’ nachgegangen sei.

Den Papst hat die Begegnung mit der Luther-Stätte bewegt – nicht wenige hatten sich vom Besuch Benedikts in Deutschland auch Bewegung in der katholischevangelischen Ökumene erhofft. Hier wurde jedoch vor allem die Papstaussage wahrgenommen, er habe ‚keine Gastgeschenke’ mitgebracht, was zu Enttäuschungen führte.

Ich denke, diese Ent-Täuschung kann nützlich sein. Es geht nicht um Gastgeschenke. Es geht darum, dass alle ihr gemeinsames Geschenk wahrnehmen. Und das kommt nicht von Benedikt.

Wenn es um ein Geschenk geht, dann um den Glauben, der mir geschenkt wird. Und die Erkenntnis dieses Geschenkes ist eine, die Luther mit den GottSuchern aller Zeiten und an allen Orten verbindet.

Gerade wer wie Luther mit Leidenschaft und nicht selten sogar verzweifelt nach Gott sucht, wer wie viele Gottsucher mit der Erfahrung ringen muss, dass ich mir den Glauben nicht selbst machen kann, dass ich nicht mit den Mitteln menschlicher Erkenntnis zu der Sicherheit gelangen kann, dass es Gott gibt und dass der es gut mit mir meint, für den und die ist es eine wahrhaftige Erlösung, den Glauben als Geschenk annehmen zu dürfen. Denn so wahr es ist, dass ich nicht von mir aus zu Gott kommen kann, so wahr ist er von sich aus zu mir gekommen.

Das ist das Geschenk: in Jesus kommt Gott zu mir und wird mein Erlöser, mein Christus. Mit dieser guten Nachricht vom Reich Gottes war Jesus in Galiläa unterwegs, das ist die frohe Botschaft der Evangelien: Gott kommt zu mir. In Jesus macht er sich den Menschen zum Geschenk.

Jetzt kommt es darauf an, wie ich mit diesem Geschenk umgehe. Nicht immer werde ich Geschenken gerecht. Im Kleinen nicht und auch nicht im Großen. Geschenke überhaupt erkennen, sie annehmen, sie würdigen, mich bedanken und Geschenke dann auch anwenden, benutzen, gelingt mir nicht immer. Manchmal verliere ich sogar welche, manche will ich gar nicht haben, erkenne nicht ihren Wert. Der Umgang mit Geschenken will geübt sein.

Ich denke, mit dem Geschenk des Glaubens und dem, was dieser Glaube an Leben schenken kann, ist es ebenso. Es gibt sie, die ökumenische Bewegung, und sie findet wie die Entstehung des Christentums und auch die Reformation nicht zuerst an der Spitze, sondern vor Ort statt. Ich freue mich darüber, dass das Ereignis der Reformation von ganz vielen nicht mehr vordergründig als Kirchenspaltung, sondern als Bereicherung wahrgenommen wird. Deshalb muss man sich nicht gegenseitig angleichen und erst recht nicht alles gleich machen. Ich kann gut damit leben, dass evangelische Kirche nicht Kirche im katholischen Sinn ist. Darauf bestehe ich sogar, denn die hierarchische Ordnung der römisch-katholischen Kirche verträgt sich nicht mit protestantischen Prinzipien – sonst hätte es ja keine Reformation gegeben.

Das hält mich aber nicht davon ab, fröhlich und fromm ökumenische Gottesdienste zu feiern, einen ökumenischen Bibelkreis zu gestalten, Jugendarbeit ökumenisch zu gestalten und Brot und Trauben im Gemeinschaftsmahl zu teilen. Es macht Spaß, Geschenke gemeinsam auszupacken und zu genießen – der Glaube gehört dazu. Und das meint auch der Papst.

Es ist ein Geschenk und eine Gabe, den Glauben kreativ in die Tat umzusetzen. Im vorigen Jahr waren es die Lutherzwerge. In diesem Jahr wird zur Aktion ‚Segensflieger’ eingeladen. So soll das werden: Sie gehen am Reformationstag um 15.17 Uhr über den Marktplatz. Auf einmal kommen von oben, von einem Balkon, aus einem Fenster oder aus dem Kirchturm Papierflieger vom Himmel herab. Sie fangen einen und falten ihn auf – ein Bibelvers als Segenswort steht darauf und die Information: ‚Reformationstag 2011’. Die Aktion wird bundesweit zeitgemäß als ‚Flashmob’ organisiert und hoffentlich zu himmlischen Begegnungen führen.

Das Lutherbonbon als süße und geistreiche Alternative zu den manchmal fragwürdigen Umtrieben des Events Halloween am gleichen Tag gibt’s schon länger, und wer weiß, vielleicht irgendwann auch einmal den evangelischen Segenskeks - bis zum 500. Tag des Thesenanschlages 2017 darf noch einiges an Kreativität geschehen.

Die Lutherzwerge kann man übrigens käuflich erwerben und im eigenen Vorgarten aufstellen. Nicht nur die anderen Gartenzwerge würden sich wundern. Der kleine Luther-Botschafter ist sicher mehr als ein Blickfang, er regt auch zu Glaubensgesprächen über den Gartenzaun an und ist auf jeden Fall eine echte Alternative zum Buddha aus der Gartenabteilung des Baumarktes.

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