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Sonntagsmusik
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Sonntagsmusik

Hermann Trusheim
Ein Beitrag von Hermann Trusheim, Evangelischer Schulpfarrer, Hanau

1.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass Sie diese Musik erkannt haben. Aber vielleicht waren Sie auch ein wenig irritiert. Denn diese Musik gehört nicht zum Sonntagmorgen, sondern zum Sonntagabend.

Wenn am Sonntagabend um 20.15 die Bläser mit einem Stakkato den Ton angeben, wenn die Geigen dann zu fliehen versuchen und die Trommeln die Hektik ankurbeln, dann ist das wie ein Startsignal. Die deutsche Fernsehgemeinde begibt sich auf Sofas und Sessel, um wieder andächtig gespannt mitzuerleben, wie versucht wird, auch schwierigste Fälle zu lösen.

Die Titelmelodie des Tatorts ist so bekannt, dass sie Reflexe auslöst. Sie ist für viele Teil eines Rituals am Sonntag. Auch ich nehme daran teil, ich habe auch meine Lieblingsermittler – es sind die zwei aus Münster. Die nehmen das Genre Krimi auch mal auf die Schippe, und manchmal ist das sogar das Werkzeug des Gerichtsmediziners.

Was vielleicht nicht alle wissen, der Tatort-Titel hat einen bekannten Komponisten: der Jazzmusiker Klaus Doldinger, in dessen Band bei der Einspielung dieser Musik sogar Udo Lindenberg am Schlagzeug saß. Für Millionen leitet diese Musik eine besondere Zeit am Sonntag ein. Es sind anderthalb Stunden, in denen man nicht gestört werden möchte. Auch ich wimmle in dieser Zeit Anrufer schnell ab, wenn ich denn überhaupt ans Telefon gehe. Wer mich kennt, ruft dann sowieso nicht an.

Damit ist die Musik für den Sonntagabend weitestgehend geklärt. Aber damit ist natürlich noch nicht alles zum Sonntag gesagt. Und wenn man es übersetzt, wird daraus eine Aufforderung. Sie lautet: Singt! Und auch: Macht Musik!

Musik zum Sonntag – welche passt? Welche ist angemessen? Die Zeiten scheinen vorbei, in denen selbstverständlich dem sonntäglichen Abendritual Fernsehkrimi ein Morgenritual gegenüberstellt werden konnte: Gottesdienst. ‚Was kann man am Sonntag sonst schon tun?’ So fragte provokativ eine Werbekampagne, die vor ein paar Jahren zur Autowäsche am Feiertag aufrief. Ja, was sonst? Vielleicht ins Kino gehen? ganz besonders nicht zur Sonntagsmusik. Der Sonntag heute heißt nämlich Kantate. 

2.

Bestimmt haben Sie diese Musik auch erkannt: es ist die Titelmelodie aus dem Kinofilm ‚Das Boot’. Auch das ein Trend: Sonntag ist Kinotag. Das geht gut am Nachmittag, nachdem man den Sonntagmorgen mit Ausschlafen und Frühstücken verbracht hat, denn für viele Zeitgenossen ist der Samstag so mit Aktivitäten gefüllt, dass es danach einen Tag zum Ausruhen und Entspannen braucht. So wurde der Sonntag, der nach christlichem Verständnis der erste Tag der Woche ist, zum Wochenende.

Überhaupt – da gibt es eine Auseinandersetzung um die Deutungshoheit der Feiertage. Wer bestimmt, was gemacht wird, was passt, oder nicht? Wer bestimmt die Musik? Am Sonntag Kantate ist Ostern schon länger vorbei, aber Pfingsten steht bevor. Erinnern Sie sich? Der Karfreitag dieses Jahres war Anlass für Streit. Das gesetzliche Tanzverbot wurde teilweise heftig attackiert und als nicht mehr dem gesellschaftlichen Konsens entsprechend abgelehnt. Es sei überhaupt nicht einsehbar, sich vorschreiben zu lassen, wie man seine freien Tage verbringt. Und außerdem schade es der Wirtschaft im doppelten Sinn des Wortes. Dass das Christentum überhaupt erst Anlass für die Feiertage ist, störte die Tanzfreunde nicht. Mir kam das Ganze ein wenig vor wie die Erwartungshaltung mancher.

Führerscheinneulinge, Papas Auto immer zur Verfügung zu haben, aber bitte auch vollgetankt.

Jedenfalls bin ich gespannt auf die Argumentation der Unterhaltungs- und Gastronomiebranche, warum der Pfingstmontag weiterhin Feiertag bleiben soll, wenn doch die Mehrheit der Bevölkerung längst nicht mehr einen christlichen Sinn in den Feiertagen entdecken kann. Aber heute ist Kantate. Der Sonntag der Musik. Welches ist meine Sonntagsmusik und auch die im Alltag? Welche Musik bestimmt meine Zeit? Wo stimme ich ein? Welche Melodie trägt mich?

Die dramatische Musik, durch die man den Film ‚Das Boot’ sofort erkennt, stammt auch von Klaus Doldinger. Und es ist besonders das Motiv der aufsteigenden Töne im Achtel-Lauf, das die Wiedererkennung sichert. Das bleibt im Ohr. Es hat den Anschein, als hätte der Komponist hier auf eine Tonfolge zurückgegriffen, die aus einem ganz anderen Bereich der Musik kommt, aus der Kirchenmusik. Wenn ich dem Internetlexikon Wikipedia glauben darf, hat Klaus Doldinger hier das sogenannte ‚Dresdener Amen’ verwendet, eine Antwort, die der Chor im Gottesdienst auf ein Gebet singt: ‚Christus erhöre uns’ lautet sie.

Mitten in einem Stück weltlicher Musik klingen Töne des Glaubens an. Und es geht auch umgekehrt. Viele alte und neue Glaubenslieder haben ursprünglich weltliche Melodien – wussten Sie, dass das Passionslied ‚Jesu, meine Freude’ mal ein Liebeslied war? Johann Sebastian Bach hat seine Melodien häufig sowohl für weltliche als auch für Kirchenmusik verwandt. Glaubenslieder, die ‚Gospel-Songs’ der versklavten Afrikaner auf den Baumwollfeldern Amerikas, sind die Wurzeln von Blues, Rock und Pop. Und schließlich: Genauso, wie es eine Techno-Version der Titelmelodie vom Film ‚Das Boot’ zum Tanzen gibt, ist die Musik in der Kirche vielgestaltig, vielfarbig, vielfältig.

Gerade der Sonntag der Musik kann dazu beitragen, musikalische Brücken zu bauen; und Wege eröffnen, dass ich mich wieder aufmache – auch zur Kirche. Dazu noch einmal Musik von Klaus Doldinger:

3.

Wohl ein eher unbekanntes Stück, aber ich verwende es immer in meinen Sonntagsgedanken. Es trägt den Titel ‚Balance of Happyness’ – was sich etwas frei mit ‚Balance der Fröhlichkeit’ übersetzen lässt.

Fröhlichkeit nicht nur so leichthin – die Töne gehen auch tief, nicht alles ist Harmonie. Genau so ist das für mich ein Ausdruck für echtes Leben. Was Klaus Doldinger sich bei diesem Titel gedacht hat, weiß ich nicht. Für mich ist Balance – Ausgleich - ein wichtiges Stichwort. Ich möchte beidem sein Recht geben und beides verbinden. Den Sonntag nicht zum Alltag verkommen lassen und im Alltag den Sonntag nicht vergessen. Das Motto der Kirchenmusik - ‚Lobe den Herren’ - gilt für alle Tage. Und Jesus hat jeden Tag zum ‚Tag des Herrn’ gemacht. Das möchte ich an keinem Tag vergessen. Die Musik hilft mir dabei. Die, die ich höre, und die, die ich mache.

Heute ist Kantate. Ein Sonntag für die Musik. Musik, die Zeiten anzeigt, Zeiten erfüllt und gestaltet und auch hilft, Zeiten zu deuten. Musik ist Ausdruck und hilft, sich auszudrücken – mit und ohne Worte, mit und ohne Bewegungen.

Das Buch der Psalmen im Alten Testament der Bibel ist das Liederbuch Jesu, aus dem er sich noch am Kreuz Worte geliehen hat. So alt die Worte sind, so tragen sie noch heute, viele sind für uns vertont – von der tiefen Not, aus der ich schreie, von der festen Burg, vom guten Hirten, vom Lob Gottes, der mich aus der Tiefe holt und vom Aufruf: Singt dem Herrn ein neues Lied! Musik, die mich trägt. Musik, die mich tröstet und mir Mut macht. Musik, die mich angeht, Musik die mich weiterbringt in der Balance of Happyness.

Im Evangelischen Gesangbuch und im Gotteslob der Katholischen Kirche finden sich Melodien und Texte, die es zu entdecken lohnt – im Gottesdienst und darüber hinaus. Gehen Sie doch mal auf musikalische Entdeckungsreise, für sich und mit anderen. Und dann mag es sein, dass es für Sie zur Tatortmelodie auch einen Kontrapunkt gibt.

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