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Willkommen sein
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Willkommen sein

Sabine Kropf-Brandau
Ein Beitrag von Sabine Kropf-Brandau, Evangelische Pröpstin, Sprengel Hanau-Hersfeld
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Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer,

herzlich willkommen, liebe Hörerinnen und Hörer. Herzlich willkommen.  Wahrscheinlich hören Sie alle diesen Ausspruch häufig. Vielleicht hören sie auch deshalb gar nicht mehr so richtig hin. Er ist vertraut und sogar ein wenig langweilig. “Herzlich willkommen“ eben.

Was heißt eigentlich genau: „Willkommen sein“? Ich frage das ganz ehrlich. „Herzlich willkommen!“ ist längst zu einer gängigen Begrüßungsfloskel geworden. Und wie es die Natur von Floskeln ist, wird sie in der Regel gedankenlos dahingesagt: Wenn eine Feier beginnt oder eine Reise, wenn Besuch kommt oder eine Einladung ausgesprochen wird; wenn eine Vortragsveranstaltung losgeht, ein Gottesdienst oder eben eine Radiosendung. „Herzlich willkommen!“ „Willkommen“: Ein seltsames Wort. Genau genommen bedeutet es: Jemand will, dass du kommst. Ist das aber immer damit gemeint, wenn es gesagt wird?

Ich glaube, wir haben alle ein sehr feines Gespür dafür, ob wir irgendwo willkommen sind. Ob die Menschen, auf die wir treffen, wirklich wollen, dass wir da sind. Ob sie sich darüber freuen und gern mit uns zu tun haben. Manchmal spürt man sehr deutlich: Hier gehöre ich nicht hin. Die lachen heimlich über mich. Oder: Die gucken mich komisch an. Oder: Die machen hämische Bemerkungen. Oder: Die ignorieren mich einfach. Tun so, als sei ich Luft. Niemand redet mit mir. Oder: Sie lassen mich richtig auflaufen. Das ist ein jämmerliches Gefühl. Ich bin überzeugt, dass es beinahe alle Menschen kennen. Auch die, die immer so tun, als seien sie ganz selbstsicher und stark. Auch die, die so wirken, als könnte sie niemand und nichts verunsichern.

Musik 1  Keith Jarrett, „Shenandoah“, bis ca. 2'

Dazugehören, willkommen sein: Das ist mit das Wichtigste, was wir im Leben erfahren können. Ausgegrenzt werden, weggeschubst, gemobbt: Das tut richtig weh, wenn man das erleben muss. In der Familie, in der Schule, bei Freundinnen und Freunden, später im Beruf. Eine Frau aus meiner alten Gemeinde hat mir folgendes erzählt: „Im 2.Weltkrieg musste meine Familie aus Königsberg, das heute in Russland liegt flüchten. Nach einer langen Zeit im Flüchtlingslager in Dänemark kamen wir schließlich in dem Dorf nahe bei Kassel an. Wir spürten genau: „Hier will uns keiner. Wir sind hier nicht willkommen.“ Die Menschen in dem Dorf waren keine bösen Leute. Ich glaube, sie hatten nach dem Krieg genug mit sich selbst zu tun. Da wollte man mit uns, die wir nicht viel mehr besaßen als unsere Koffer mit ein paar Habseligkeiten, nicht auch noch das Wenige, was man selbst noch hatte, teilen. Wir störten einfach. Wir hatten keine Arbeit, keine Wohnung, wir waren in der Schule für unser Alter erheblich zurück, wir waren auch noch katholisch – und überhaupt wusste man nicht so genau, was man sich mit uns einhandelte. Und das ließ man uns spüren. Durch kleine Gesten, abfällige Bemerkungen oder einfach indem man so tat, als wären wir nicht da.“

„Wir sind nicht willkommen.“ Das Gefühl saß bei dieser Frau tief. Und ganz schlimm wurde es, als ein junger Landwirt, so ein richtiger Einheimischer, sich in sie verliebte und sie heiratete. Die Schwiegereltern machten ihr das Leben echt zur Hölle. Sie hatten sich jemand anderes, kein Flüchtlingsmädchen, für ihren Sohn vorgestellt. Das gemeinsame Leben war schwer. Viele Jahre sollte das so gehen und eigentlich endete es erst mit dem Tod der alten Leute. Du bist uns nicht willkommen. Ein elendes, jämmerliches Gefühl. Unwürdig auch. Es verunsichert zutiefst. .

Und ähnlich fühlt sich die Mutter, die in diesem Jahr ihr Kind verloren hat. „Die Leute wechseln die Straßenseite, um nicht mit mir sprechen zu müssen.“ So erzählt sie mir. Trauernde sind in unserer Spaßgesellschaft nicht sonderlich willkommen. Das geht  auch vielen so, wenn sie die Todesnachrichten in der Zeitung lesen: Sie haben zwar Mitleid und sind auch entsetzt und berührt, wenn sie die furchtbaren Todesnachrichten lesen, aber sie halten sich das Leid doch lieber vom Hals. Nicht willkommen - gilt auch hier.

Und ich denke an die jungen Leute, deren Lebensweg nicht kerzengerade verläuft, die gar manche Niederlage in Schule und Ausbildung wegstecken müssen. Schnell fühlen sie sich als Versager in unserer Leistungsgesellschaft. Ihre Probleme wahrzunehmen und nach individuellen Lösungen zu suchen, braucht oft mehr Zeit als wir uns nehmen wollen oder können. Da gilt auch schnell - zu kompliziert und deshalb nicht willkommen.

Und vielleicht sitzt gar mancher oder manche jetzt am Radio, der und die sich im Familienkreis, mit dem man traditionell Weihnachten feiert, nicht mehr so recht willkommen fühlt. Da tauchen Kränkungen und Verletzungen in der Erinnerung wieder auf. Vielleicht haben sich auch einfach die Lebensweisen total verändert. Nicht willkommen denkt man - das tut weh.

Musik 2  Tom Odell, „Sense“ bis 1'40''

Nicht willkommen. Dieses Gefühl kennt auch schon die Bibel. Und erstaunlicherweise kommt es gerade in der Geschichte besonders zum Ausdruck, die zu der Lieblingsgeschichte vieler Menschen gehört und die man in den nächsten Tagen auch noch oft hören kann. Die Weihnachtsgeschichte der Bibel erzählt:

Gott, der die Erde geschaffen hat und der uns allen unser Leben gab, wird selber ein Mensch. Er wird geboren. Wie wir alle. Als Säugling. Gott will erleben, was Menschen so erleben. Alles. Und er erlebt als allererstes genau dieses elende, jämmerliche, unwürdige Gefühl: „Ich bin nicht willkommen.“ Bereits vor seiner Geburt: Alle Türen werden seinen Eltern vor der Nase zugeschlagen. Alle Zimmer belegt. Kein Platz für diese Menschen. Und kaum ist er auf der Welt, da wollen sie ihn töten. Unerwünscht. Lästig. Die Weihnachtsgeschichte des Johannesevangeliums sagt es so: Gott kam inseine eigene Schöpfung, aber die Menschen, die er geschaffen hatte, nahmen ihnnicht auf. (Johannes 1,11)

Wir werden in der Kirche oft gefragt: Warum mischt ihr euch eigentlich politisch ein? Warum redet ihr bei vielen gesellschaftlichen Fragen so lautstark mit? Warum kümmert ihr euch um die, denen es nicht gut geht? Sorgt ihr doch bitte dafür, dass die Menschen fromm werden und an Gott glauben. Das ist eure Aufgabe. Damit habt ihr genug zu tun. Das andere könnt ihr den Politikern überlassen. Zu Weihnachten wird deutlich: Das geht nicht! Denn dieser Jesus, der ebenfalls nicht willkommen war, und aus Liebe zu uns Mensch wurde, dieser Mann ruft uns in die Verantwortung, Dinge zu verändern. Er fordert uns auf, genau hinzuschauen. Es gilt seine Liebe weiter zu geben und für andere da zu sein. So sind Himmel und Erde für Christen untrennbar verbunden. An Gott glauben und mit wachen Sinnen in die Welt blicken gehört zusammen. Wer darauf vertraut, dass Gott die Menschen liebt, muss sich aufregen und Widerstand leisten, wenn Menschen Unrecht geschieht. Egal aus  welchen Gründen. Und vor allem immer, wenn Menschen ausgegrenzt werden. Wenn das Leid die Trauernden auch noch einsam macht. Wenn die Ungerechtigkeit zum Himmel schreit.

Musik 3  Lorraine Hunt Lieberson, „Deep river“, 2'40''

Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen...: So singen die Engel zu Weihnachten. Ihr Gesang lässt keinen Zweifel daran: Gott will nicht geehrt werden, wenn dabei der Einsatz für die Menschen außen vor bleibt. Wer an diesen Gott glaubt der als unerwünschter Flüchtling Mensch wurde, dem ist kein Mensch gleichgültig der ausgegrenzt wird. In der Schule, am Arbeitsplatz, in der Familie – und vor den Toren Europas und Deutschlands.

Wo das Vertrauen auf Gott, der Mensch wurde uns bestimmt, da stehen wir neben den Trauernden und erzählen ihnen von unserer Hoffnung, dass Tod und Leid nicht das letzte Wort haben.

Die frohe Botschaft, dass Gott Mensch wurde, erzählen die Engel zuerst den Hirten. Menschen, mit denen keiner was zu tun haben wollte. Darin erkenne ich, wie sehr Gott die Hirten wertschätzt. In seinen Augen sind sie so wertvoll wie jeder von uns auch. Das lässt auch uns in jedem Menschen das Besondere sehen und für ihn eintreten. Ob zu Hause, in der Schule, an der Uni, in der Arbeit.

Nicht dazugehören, keinen Platz haben, außen vor bleiben: Das ist das Schicksal Jesu. Das Schicksal des Kindes in der Krippe. Gottes Schicksal. Umgekehrt haben an der Krippe dieses göttlichen Menschenkindes alle Platz. Da wird niemand weggeschickt. Jeder und jede ist willkommen. Und zwar als erste diejenigen, die in unserer Gesellschaft kaum eine Chance haben.

Die Hirten. Bei uns heute wären das Menschen aus der schwächsten sozialen Schicht. Menschen ohne Bildung und Schulabschluss.

Oder die Weisen aus dem Morgenland. Intellektuelle aus dem Osten. Sterndeuter, Magier. Dubiose Leute, die mit dem Glauben an Gott nichts am Hut haben. Ausgerechnet die sind als erste an der Krippe, von denen wir denken würden: Eher nicht willkommen. Dieses Geheimnis feiern wir zu Weihnachten.

Er, der selbst nicht willkommen war, stößt seinerseits niemanden weg. Wer weiß, ob wir sonst eine Chance hätten. In diesem Jahr erhielt ich mit der Weihnachtspost eine Karte von einem alten Kollegen. Eine traditionelle Krippendarstellung ist darauf zu sehen: Der Stall mit Maria und Josef, der Krippe und dem Kind; dazu Hirten, Könige, Engel. Nichts Besonderes also, irgendwie vertraut und unspektakulär, aber auf die Rückseite der Karte hatte der Kollege geschrieben: „Vorne links ist Platz für dich!“ Ein schlichter Satz. Er hat mich sehr berührt. Vorn links ist Platz für Dich.

Musik 4  Away in a manger 2'21''

„Herzlich willkommen!“ Für uns alle, die wir in den nächsten Tagen auf Weihnachten zugehen, hat Gott Platz bei sich. Niemand wird weggeschickt. Niemanden gibt es, für den gilt: Du gehörst hier nicht dazu!

Daran gilt es zu denken an diesem 4. Adventssonntag.

Daran gilt es zu denken, wenn wir in dieser Woche zu Hause den Weihnachtsbaum  aufstellen.

Daran gilt es zu denken, wenn wir überall die vielen Krippenmotive bestaunen.

Daran gilt es zu denken, wenn wir in vertrauter Familienrunde Weihnachten feiern.

Wir sind Gott selbstverständlich willkommen – dann gilt es daran zu denken, wenn Menschen mit Problemen unsere Hilfe brauchen.

Daran gilt es zu denken, wenn Menschen bei uns Schutz und Heimat suchen.

Darum nochmal: Herzlich Willkommen, liebe Hörer und Hörerinnen. Ich wünsche  Ihnen einen gesegneten 4. Advent und ein einladendes Weihnachtsfest.

Musik 5  Timothy Sexton „What sweet music“ 3’

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