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Gott auf der Straße finden?
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Gott auf der Straße finden?

Uwe Groß
Ein Beitrag von Uwe Groß, Katholischer Diakon, Pfarrei St. Peter und Paul, Wiesbaden

„Gott finde ich auf der Straße.“ Seit 18 Jahren bietet Jesuitenpater Christian Herwatz Kurse an, in denen Menschen selbst diese Erfahrung machen können. „Exerzitien auf der Straße“ heißt das. Menschen, die sich hier anmelden, suchen Gott nicht in der Stille eines Klosters, sondern auf Streifzügen durch eine Stadt: In Berlin. Hamburg, München, Frankfurt, Duisburg oder Paris. Eine Teilnehmerin der Exerzitien liegt auf einer alten Matratze im Souterrain einer Kirche. Durch die vergitterten Fenster sieht sie die vorbeilaufenden Passantenbeine, im Halbdunkel verrichten Männer ihre Notdurft. Es ist richtig eklig. Kann man hier wirklich Gott finden? Die junge Frau aus München fragt sich: Worauf habe ich mich hier bloß eingelassen? Und was kommt in den nächsten Tagen auf mich zu?

Pater Christian Herwartz aus Berlin ist der Leiter dieser Gottessuche. Für ihn ist die Antwort klar: Die Teilnehmer der Exerzitien auf der Straße suchen Obdachlose und Drogenabhängige auf, sie gehen ins Arbeitsamt oder eine Moschee. Es muss ein Ort sein, an dem man ein Gefühl der Fremdheit und der Neugierde spürt. Dort bleiben die Teilnehmer der Exerzitien eine Weile, stellen sich ihren Ängsten und Fragen: „Warum habe ich bisher diesen Ort gemieden? Was macht mich hier neugierig?“ Pater Herwartz sagt: „Wir wollen uns Gott nähern, wo er auf uns wartet, in Hungernden, Durstigen und in den verdrängten Themen unserer Lebensgeschichte“. Jede Besserwisserei über das Leben der anderen soll zurückgestellt werden. Im Vordergrund steht die Erfahrung mit sich selbst.

Die junge Frau aus München nimmt zum ersten Mal an solchen Exerzitien teil: „Ich bin zwar katholisch, aber eigentlich eine Rebellin,“ sagt sie. Vor kurzem ist ihr Vater gestorben und jetzt hat ihre Schwester auch noch Krebs. Sie fühlt sich nackt und dünnhäutig, lässt sich treiben. Sie spürt in der Gruppe: „Ich bin nicht allein mit meinem Schicksal. Jeder hat sein Päckchen zu tragen“. Und darum sind die Teilnehmer auch alle unterwegs in der Stadt. Einer setzt sich für einige Stunden ins Arbeitsamt, konfrontiert sich mit seiner Angst, den Job zu verlieren. Ein anderer geht zur Obdachlosenspeisung in eine Kirche. Er spricht dort mit einigen Obdachlosen über ihr Schicksal, konfrontiert sich mit seiner Angst vor sozialem Abstieg. Abends kommen dann alle Teilnehmer der Exerzitien zusammen und reden. Jeder erzählt von seinem Tag, von der Begegnung mit seinen Ängsten, vom Aushalten und Loslassen. Pater Herwatz sagt: „Wenn wir an Orten, die uns Angst machen, nicht mehr wegsehen und uns nicht mehr schämen, dort gesehen zu werden, dann bemerken wir, wie Frieden in uns wächst.“ Ich glaube, ich hätte Lust, das mit den Exerzitien auf der Straße mal auszuprobieren. An welche Orte würde ich gehen? Welcher Angst würde ich mich stellen? Ich frage mich auch – ob ich wirklich Gott in meiner Angst finde. Ob ich Frieden finde, wenn ich mich meiner Angst stelle… Gott auf der Straße finden, finde ich ziemlich spannend…

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