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Spuren hinterlassen – Anfang und Ende
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Spuren hinterlassen – Anfang und Ende

Dr. Joachim Schmidt
Ein Beitrag von Dr. Joachim Schmidt, Evangelischer Pfarrer, Darmstadt

Unser Nachbarhaus wurde abgerissen. Wieder und wieder fraß sich die Baggerschere in die Hohlblocksteine, riss Fensterverkleidungen heraus, zertrümmerte mit wuchtigen Schlägen Betonbrocken, um dann die Stahlarmierung heraus zu ziehen. Die Erde bebte. Staubwolken zogen zu uns herüber. Dann gab es nur noch ein tiefes Loch, wo einst der Keller war.
Hier hat viele Jahre eine alte Dame gewohnt. Sie ist vor einem Jahr gestorben. Kinder gab es nicht. Wenn ich sie früher am Sonntag besucht habe, dann schimpfte sie über ihre Verwandten. Die kämen viel zu selten, meinte sie. Und in den Urlaub nähmen sie sie auch nicht mit. Sie glaubte, darauf ein Recht zu haben, wo die doch später alles erben würden. Sie verstand nicht, dass niemand einfordern kann, dass man sich später freundlich an ihn erinnert.
Die Erben verkauften das Haus. Die Planungen für den Neubau sind fertig. Bald werden hier neue Bewohner einziehen. Nichts mehr wird an die alte Frau und ihr Leben erinnern, und ich fürchte, auch bei der lieben Verwandtschaft nicht. Dass etwas Neues beginnt, diesen Gedanken mag jeder. Dass aber täglich auch jede Menge Vergangenheit stirbt, wird darüber gerne vergessen. Alles hat seine Zeit, heißt es in der Bibel, und diese Zeit ist eines Tages vorbei, für Wohnungen und lieb gewordenen Besitz und auch für jeden Menschen, für Sie und für mich. Welche Spuren, welche freundlichen Erinnerungen werde ich einmal hinterlassen?
Die alte Dame, die meine Nachbarin war, mochte darüber nicht nachdenken. Aber ich muss daran denken jedes Mal, wenn ich aus dem Fenster auf den Platz schaue, wo einmal ihr Haus gestanden hat.

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