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Schwäche zeigen - Hilfe erfahren
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Schwäche zeigen - Hilfe erfahren

Ute Zöllner
Ein Beitrag von Ute Zöllner, Evangelische Pfarrerin i.R., Pastoralpsychologin, Kassel
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In dieser Woche läuft alles auf das Ende zu. Die Karwoche ist der Anfang vom Ende. Jesus ist auf dem Weg nach Jerusalem. Was ihn dort erwartet? Ob er es selber weiß? Noch ist alles ungewiß. Das Volk jedenfalls hat sich für lauten Jubel entschieden. Die Menschen laufen Jesus entgegen und rollen ihm den roten Teppich aus. Diese Szene hat Tilmann Riemenschneider vor über 500 Jahren in feines, weiches Lindenholz geschnitzt. In Rotenburg ob der Tauber habe ich mich an seinem Altar nicht satt sehen können. So wundervoll hat er ihn gearbeitet. Auch nach Jahrhunderten hat der Altar nichts von seiner Anziehungskraft verloren. Wie von selber bleibe ich minutenlang stehen und schaue. Ich lasse mich anrühren von dem, was ich sehe.

Auf der linken Seite des Altars reitet Jesus auf einer Eselin auf die Stadtmauer zu. Massige Steine erkenne ich, hoch aufgetürmt. Darin versteckt, etwas im Hinter­grund, entdecke ich ein kleines Stadttor. In dieses Tor ist oben ein Fallgitter einge­arbeitet. Gleich wird Jesus durch das Tor reiten. Dann fällt es zu, die Falle ist geschlossen. Es gibt kein zurück. Das ist der Anfang vom Ende. Der Tod sitzt ihm schon im Genick.
Kerzengerade sitzt Jesus auf dem Tier. Sein markantes Gesicht fällt mir auf. Der kurze Bart betont das vorgereckte, spitze Kinn. Den rechten Arm hält er leicht ange­winkelt. Und dann diese langen, schmalen Finger, von denen er drei hochstreckt. So fein gearbeitet! Ich kann sogar die Adern auf dem Handrücken erkennen. Kein Zweifel - hier kommt ein  Herrscher. Drum herum das Volk. Die Menschen rufen und johlen: „Hosianna! Hosianna!“ Das heißt: „Er hilft!“ Oder auch: „Hilf doch!“
Wie kann das sein? Wie kann einer helfen, der selber am Ende ist? Die Menschen erwarten Hilfe von einem, der seinen Tod vor Augen hat. Ist das möglich? Hilfe erwarte ich doch eher von einem, der selber stark ist. Der mir zu verstehen gibt: „Bleib mal locker. Ich mach das schon. Ich habe alles im Griff.“

Bei Jesus ist das anders. Er kommt wie ein König, stirbt aber elend am Kreuz. Er hat selber nach Hilfe gerufen. Das bestärkt mich darin, mich selber verletzlich zu zeigen. Meine Erfahrung ist: Es hilft nur scheinbar, sich hinter einer coolen Fassade zu verstecken. Tränen im Gesicht und zugleich lächeln, das überzeugt mich nicht. „Ist doch nichts, alles gut.“ Damit mache ich mir und den anderen nur etwas vor. Sicher, es ist immer riskant, über die eigenen Wünsche und Gefühle zu sprechen. Ich werde vielleicht zurückgewiesen, fühle mich beschämt. Aber daraus kann Gutes entstehen. Im Ende steckt auch immer die Kraft für einen neuen Anfang.

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