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Ausnahmezustand
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Ausnahmezustand

Rüdiger Kohl
Ein Beitrag von Rüdiger Kohl, Evangelischer Pfarrer, Frankfurt-Bockenheim

Heute Abend wird die Fußball-Europameisterschaft in Frankreich angepfiffen. Ich freu mich drauf, aber diesmal habe ich auch Angst vor Terror. Denn die Anschläge vom November in Paris sind noch präsent, als so viele Menschen starben und verletzt wurden. Seitdem herrscht in Frankreich ein staatlich verordneter Ausnahmezustand. Gesetze wurden verschärft. Versammlungen können verboten werden und Wohnungen durchsucht werden. Alles für mehr Sicherheit. Es scheint, die Angst wäre der große Favorit bei dieser EM. Und die Euphorie hätte nur Außenseiterchancen.

Alain Bauer hat bei der EURO einen Job, um den ich ihn nicht beneide. Er ist von Beruf Kriminologe und verantwortlich für die Sicherheit auf den Fanmeilen. Eine gewaltige Aufgabe. Zehn Millionen Fans werden nach Frankreich reisen. 10.000 Polizisten werden während des Turniers im Einsatz sein. Wenn heute Abend das Eröffnungsspiel angepfiffen wird, schaut Alain Bauer nicht aufs Spielfeld. Sondern auf Monitore, die die Innenstadt von Paris zeigen. Er wird Absperrungen sehen,

Personenkontrollen mit Leibesvisite, Spürhunde. Ob er hofft, dass alles gut geht? Seine Antwort: "Hoffnung? Das ist ein Wort, das mit meinem Job nicht kompatibel ist." Ich kann ihn verstehen. Seine Verantwortung ist groß. Es ist eine EM im Ausnahmezustand. Doch als Fußballfan möchte ich an der Hoffnung auf ein friedliches Fußballfest festhalten.

Auch in der Bibel spielt Hoffnung eine große Rolle. Gerade in unsicheren Zeiten, in denen Menschen um ihr Leben fürchten mussten. Der Apostel Paulus schrieb einmal an Christen in Rom: „Seid fröhlich als Menschen der Hoffnung, bleibt standhaft in aller Bedrängnis, lasst nicht nach im Gebet.“ Diese Worte haben für mich große Kraft, nicht nur in diesen Tagen. Sie erinnern mich daran: Bei aller Angst vor dem Schrecklichen, das passieren könnte, soll ich die Zuversicht nicht verlieren. Damit nicht die Angst gewinnt.

Direkt nach den Anschlägen von Paris schöpften viele Menschen Kraft aus dem Gebet. „Pray for Paris“, Betet für Paris“, dieser Appell wurde millionenfach im Internet geteilt. Wer betet, hat noch Hoffnung. Es lohnt sich, nicht nur nach einem traurigen Ereignis zu beten. Sondern auch vor einem Fest. Ich vermute: Auch Alain Bauer hat irgendwo ein bisschen Hoffnung. Hätte er sonst die Kraft, seine Aufgabe anzugehen? Er denkt an Zeiten, als sich alle noch sicherer fühlten. Er sagt: „Die Stimmung in Frankreich jetzt hat nichts zu tun mit der Euphorie der Weltmeisterschaft von 1998, die wir Franzosen ausgetragen und gewonnen haben.“ Er wird hart arbeiten, damit die Freude nicht schon in der Vorrunde scheitert, sondern auch diesmal wieder siegt.

Damit auch bei dieser EM jedenfalls für die Fußball-Liebhaber vieles anders ist als sonst im Alltag: Dass viele Menschen in Europa mit ihren Mannschaften mitfiebern, von Spiel zu Spiel, von Runde zu Runde. Sie schauen sich mit anderen die Spiele an, bis in die Nacht hinein. Millionen diskutieren über Tore, Fouls, Abseits, Favoriten und Außenseiter. Der Fußball bestimmt den Lebensrhythmus. Auch wer den Fußball nicht glühend liebt, muss zugeben: Dem kann man sich nicht völlig entziehen. Eine Art schöner Ausnahmezustand. Ich habe die Hoffnung, dass es auch diesmal so sein wird.

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