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Streit mit Gott
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Streit mit Gott

Dr. Klaus Dorn
Ein Beitrag von Dr. Klaus Dorn, em. Dozent am Kath.-Theol. Seminar, Marburg
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Warum hast du mich verlassen? Warum hilfst du nicht, wenn ich schreie, warum bist du so fern? Tag und Nacht rufe ich um Hilfe, warum antwortest du nicht?

Bleibe bei mir, denn ich bin in Not! Niemand sonst kann mir helfen! Ich sehe mich schon im Grab liegen – und du lässt das alles zu! Trost von Menschen kann mir nicht helfen! Denke ich an dich, so muss ich stöhnen. Komme ich ins Grübeln, so packt mich Verzweiflung. Du hinderst mich, die Augen zuzumachen. Die ganze Nacht verbringe ich mit Grübeln, immer wieder bewegen mich dieselben Fragen: Hast du uns für immer verstoßen? Willst du dich nicht mehr erbarmen? Bist du nie wieder gut zu uns? Gilt dein Versprechen in Zukunft nicht mehr? Von deiner Macht ist nichts zu sehen, du tust nichts mehr für uns – das ist es, was mich quält!

Diese Texte sind inhaltliche Auszüge aus den Psalmen 22 und 77. Derartige Klagepsalmen gibt es in der Bibel noch etliche. Die Beter nehmen dabei kein Blatt vor den Mund. Deutlicher können sie nicht sagen, was sie von Gott halten: Auf ihn ist kein Verlass, er hört nicht, selbst in höchster Not nicht, ja er ist ein Lügner, wenn er sein Versprechen für die Zukunft jetzt plötzlich ohne erkennbaren Grund zurücknimmt. Was taugt ein solcher Gott, der es zulässt, dass ein Mensch, der ohnehin der Verzweiflung nahe ist auch noch zum Gespött wird?

Wer in den Psalmen liest, muss damit rechnen, dass die z.T. brutale Sprache in den Übersetzungen geschönt ist. So kann doch niemand mit Gott reden, wird sich so mancher gläubige Mensch denken, und vielleicht auch mancher Übersetzer. Doch, wir können – und wir dürfen sogar. Der Mensch darf Forderungen an Gott stellen, er darf klagen und sich darüber beklagen, dass er keine Hilfe bekommt. Was nützt es, wenn Gott früher geholfen hat, damals, den Vätern, damals, dem Volk am Meer und in der Wüste.

Aber diese Rückblicke haben eine ganze Reihe von Funktionen: Sie zeigen, dass Gott keineswegs ohnmächtig ist, dass er helfen kann – wenn er nur will. Sie zeigen die Hoffnung des Beters: Damals hast du doch auch geholfen! Ich möchte gerne darauf vertrauen, dass du es wieder tust! Es sind kritische Anfragen: Kann ich mich denn wirklich nicht auf dich verlassen? Und schließlich erwachsen daraus Forderungen des Beters: Hilf mir doch endlich. Du warst doch schon früher auf meiner, auf unserer Seite, unser Halt, unser Anker.

Und so ist es kaum erstaunlich, dass sich der Psalm am Schluss in der Regel zum Guten wendet und der Betende eine Antwort bekommt. Vielleicht wird meine Geschichte mit Gott nicht so weiter gehen, wie ich mir das vorstelle, wünsche oder erbitte. Er wird mir aber vielleicht sagen: Du magst bisweilen denken, ich ändere es nicht. Sei jedoch versichert, ich bin bei dir. Immer.

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