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Deutschland - Missionsland?
Bild: Pixabay

Deutschland - Missionsland?

Dr. Ursula Schoen
Ein Beitrag von Dr. Ursula Schoen, Prodekanin, Evangelisches Stadtdekanat Frankfurt

Ein Sonntagmorgen in einer kleinen Frankfurter Gemeinde: Der Gottesdienst hat schon begonnen – plötzlich geht die Tür auf. Eine Gruppe Afrikaner, ungewöhnlich gekleidet, betritt den Raum und setzt sich in die letzte Reihe. Aufmerksam folgen sie dem Gottesdienst. Beim anschließenden Kirchen-Café formulieren sie freundlich, aber klar den Grund ihres Kommens: „Wir sind hier, um Sie zu missionieren!“ Die überraschte deutsche Gemeinde zuckt zusammen. Deutschland – Missionsland?

Die Mehrzahl der Migrantinnen und Migranten in Deutschland haben einen christlichen Hintergrund. Sie bringen ihre Sprache und ihren Glauben mit. Viele von ihnen haben inzwischen ihre eigenen Gemeinden gegründet. Orte, an den sie Gottesdienste in ihrer Muttersprache mit ihrer Liturgie feiern. Die Zahl der Migrationsgemeinden und damit auch der Christen wächst stetig.

Seit vielen Jahren bin ich in diesen Gemeinden unterwegs, werde zu Gottesdiensten eingeladen, besorge Geld, helfe einzelnen bei Aufenthaltsproblemen und unterstütze bei praktischen Fragen. Die christlichen Gemeinden anderer Muttersprachen sind „Kraftorte“ für die jeweilige Gemeinschaft. Hier entwickeln sie Netzwerke, geben Ratschläge weiter.

Aber vor allem beten und singen sie miteinander in der Muttersprache. In einer neuen und fremden Umgebung machen Menschen die Erfahrung, dass Gott nicht der Ferne ist, sondern der Nahe. Dass Gott sie sieht und hört – dass er „ihr“ Gott bleibt auch im fremden Land. Die Botschaft des Neuen Testaments wird hier spürbar: In Jesus Christus kommt Gott den Menschen nahe.

Zunächst wollte ich als Repräsentantin einer deutschen Kirche mit viel mehr Mitteln vor allem helfen. Inzwischen merke ich, wie mir hier geholfen wird. Mich berührt die Selbstverständlichkeit, mit der viele Christen anderer Muttersprachen Gott als Gegenwärtigen anrufen. Auf diese Mission lasse ich mich gerne ein.

Die traditionellen deutschen Gemeinden sind herausgefordert, wenn die muttersprachlichen Gemeinden wachsen: Wie können Menschen einem deutschen Gottesdienst folgen, wenn sie die Sprache kaum sprechen? Wie reagiert die Nachbarschaft, wenn sonntags stundenlang gebetet und gesungen wird? Wie begegnen wir Gemeinden aus Osteuropa, die in die Konflikte in der Ukraine politisch verwickelt sind. Die Bild der Kirche wird farbiger – vielleicht auch unübersichtlicher. Aber, gerade wenn es unübersichtlich wird: Da brauchen wir genau diese Zuversicht, dass Gott uns nah ist und mit uns unterwegs.

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