Ihr Suchbegriff
Da sein
Foto: Pixabay

Da sein

Prof. Dr. Gerhard Stanke
Ein Beitrag von Prof. Dr. Gerhard Stanke, Domkapitular

„Die schwersten Wege werden alleine gegangen, die Enttäuschung, der Verlust, das Opfer, sind einsam.“… So beginnt ein Gedicht der Schriftstellerin Hilde Domin, und sie fährt fort„Die Hände der Lebenden, die sich ausstrecken ohne uns zu erreichen sind wie die Äste der Bäume im Winter. Alle Vögel schweigen. Man hört nur den eigenen Schritt und den Schritt, den der Fuß noch nicht gegangen ist, aber gehen wird. Stehen bleiben und sich umdrehen hilft nicht. Es muss gegangen sein.“ Hilde Domin wurde als Kind jüdischer Eltern 1909 in Köln geboren. Im Frühjahr des Jahres 1939 floh sie mit ihrem Mann von Italien über Paris nach Großbritannien und im Sommer des nächsten Jahres über Kanada nach Santo Domingo. Von dort kehrte sie 1953 nach Deutschland zurück und nannte sich Hilde Domin – angelehnt eben an Santo Domingo, dem Ort, an dem sie zur Dichterin wurde. 2006 starb sie in Heidelberg.

In einer Biografie über sie steht hinter ihrem Namen das Wort: „Dichterin des Dennoch“. „Es muss gegangen sein. Stehen bleiben und sich umdrehen hilft nicht.“ Etwas salopp heißt es heute bisweilen: Da muss man durch. Ich verwende dieses Wort auch manchmal. Und dann gibt es Situationen, wo es mir im Hals stecken bleibt. Dann nämlich, wenn Menschen in aussichtslosen Situationen sind.“ Da musst du durch“ – das klänge mir dann zu zynisch. „Die schwersten Wege werden allein gegangen“ – Vor allem auch der letzte. Aber Menschen, die Sterbende begleiten, machen die Erfahrung: Es tut den Betroffenen gut, wenn sie nicht allein sind. Ein Hospizdienst hat sein Tun unter das Leitwort gestellt: „Da – sein“. Eine Hospizhelferin, die oft zu Vorträgen eingeladen wurde, wählte dazu als Überschrift den Satz: Wenn nichts mehr zu machen ist, ist noch viel zu tun.

Wichtig ist das Da – sein, die Hand zu halten und bereit zu sein, besondere Wünsche zu erfüllen, die Erleichterung verschaffen. Auch bei der Trauer ist es gut, wenn Menschen da sind - wenn auch manchmal nur als Klagemauer -. Sie müssen nichts sagen, sondern nur zuhören – manchmal das Zuhören aushalten. In einem Kurs für Trauernde sagte die Leiterin: Trauer ist wie ein Weg durch die Wüste. Und sie fügte hinzu: Durch die Wüste geht man nicht allein. In der Wüste gibt es auch Oasen, und die Wüste hat einmal ein Ende.

Hilde Domin schreibt in ihrem Gedicht dann weiter: „Nimm eine Kerze in die Hand wie in den Katakomben, das kleine Licht atmet kaum. Und doch, wenn du lange gegangen bist, bleibt das Wunder nicht aus, weil das Wunder immer geschieht, und weil wir ohne die Gnade nicht leben können.“ Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der Abschlusssatz des Matthäusevangliums: "Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Zeit." Für mich ist es eine Gnade, dem Wort Jesu trauen zu können. Immer und überall. Vor allem aber in schwierigen Zeiten."

Weitere ThemenDas könnte Sie auch interessieren