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Jetzt schlägt´s 13

Jetzt schlägt´s 13

Lars Hillebold
Ein Beitrag von Lars Hillebold

Der hr4 Radiogottesdienst zum 1. Weihnachtstag
aus der evangelischen Adventskirche in Kassel
am 25. Dezember 2019, 10.04 Uhr – 11.00 Uhr

 

Liturgie + Predigt:                   Pfarrer Lars Hillebold   

Weitere Mitwirkende:              Lotta Hillebold

Musik:                                       Jochen Faulhammer, Gesang
                                                   Joachim Pfannschmidt, Horn
                                                   Kerstin Bohländer, Handglocken
                                                   Charlotte Bellin, Handglocken 
                                                   Christine Spuck, Orgel                                

Musikalische Gesamtleitung:  Bezirkskantorin Christine Spuck

Kirchliche Redaktion:              Claudia Rudolff

Den Gottesdienst zum Nachhören finden Sie auf hr4.

Predigt

I. Jetzt schlägt‘s 13 für Josef

„Jetzt schlägt’s 13“, wird Josef gedacht haben. „Maria schwanger? Ohne mich?!“ Das war in der Tat die Frage und auch das Problem. Marias Erklärung „schwanger vom Heiligen Geist“ war schon damals in der Top Ten der Erklärungen nicht die überzeugendste. Und Josef will keine Szene. Bevor das Gerede unter den Leuten laut wird, würde er sie heimlich verlassen. Oder doch nicht? Ein Engel erscheint ihm im Traum. Nachts ging ihm immer schon vieles durch den Kopf. Nun auch noch Engelsworte. Manchmal, nach einer durchwachten Nacht, liegen Entscheidungen glockenklar auf der Hand: „und Josef nahm seine Frau zu sich.“ Keine Frage. Eine Entscheidung. Vielleicht gab es ein Schwanken? Hin und her, bis es klar war. Bis der Mut gefunden war. Bis die Worte gesagt waren; die für sie so wichtig sind in diesem Moment: Ich bin an deiner Seite. Ich steh zu dir. Ich geh den Weg mit.  

Jetzt schlägt’s 13 für Ohren, die es harmonisch wollen, perfekt und rund. Am Anfang der Geschichte der Heiligen Familie klingt es ziemlich chaotisch. Und wenn ich genau hinschaue, dann schlägt’s in dieser Familie gerne 13. Bei der perfekten Zahl 12 ist immer noch ein schräger Typ dabei. Oder es kommt immer noch etwas mehr dazu, womit keiner gerechnet hat. In dieser Heiligen Familie sind schon immer einige mit schiefen Tönen unterwegs. Josefs Stammbaum zeigt eine Familie, die in ihrer Zusammenstellung ganz und gar eigenwillig ist. Die ist so seltsam, dass ich gerne denke, schon allein darum muss die Geschichte wahr sein. Josef stammt aus gutem Haus. Königlich-adeliges Blut fließt durch alle Adern. Die Namen seiner berühmten Ururgroßväter sind unvergessen. Wie eingeritzt im Stammbaum: Abraham - der Vater aller, die glauben. David - der König schlechthin in Israel. So geht die Linie bis hin zu Josef, der Mann der Maria, von der geboren ist Jesus. Doch so brav, wie es bisher den Anschein hat, ist diese Ahnenreihe nicht. Die heilige Familiengeschichte kann ziemlich unheilig sein. Wenn es an Weihnachten wirklich ums brav sein ginge, hätten viele der josefischen Familienangehörigen keine Geschenke bekommen.

In Josefs Familie ist das ganze Leben wild verästelt. Glatt und rund klingt in dieser Familie wenig. Hier wird ums Erbe gestritten. Die einen werden leise hintergangen. Die anderen werden laut betrogen. Es wird kühl taktiert und leidenschaftlich geliebt. Josefs Stammbaum hat Äste mit Erbschleichern, Halbgeschwistern, Kuckuckskindern, Schurken und auch Helden. Hier gibt es alles und nichts, was es nicht gibt. Für alle die meinen, das Weihnachten eine perfekte Welt einläutet, für die schlägt’s 13.

Solche Weihnachtsglocken kommen manchem schräg. Sie wecken auf, als ich mich heimlich aus dem Staube machen wollte. Sie schwanken mit uns Menschen hin und her. Sie wägen ab, bis die Entscheidung klar ist. Und dann klingt ihre Weihnachtsbotschaft über alle Dächer hinweg. Für alle Menschen hör- und sichtbar. Bei einem Menschen stehen. Für ihn eintreten. In guten und in schweren Zeiten an ihrer Seite. Alle dürfen das hören. Solche Glocken klingen nicht nur nach Religion, sondern sie klingen für Botschaften, die eine Gesellschaft gut hören kann:

Um 9 Uhr für den Tag, der für jeden und jede gelingen mag.

Um 12 Uhr für den Frieden und einen Moment unterbreche ich meinen Alltag. 

Um 15 Uhr für die Gerechtigkeit, die du heute vielleicht nicht erfahren hast.

Um 18 Uhr ein Glockenschlag für Bewahrung unsere Natur und Zukunft, gerade weil wir uns über die Wege dahin nicht einig sind.

II. Einläuten und Wegläuten

Als ich ein Kind war, läuteten die wichtigsten Glocken im Jahr für mich ganz leise. Das waren keine Kirchenglocken. Die Wohnzimmertür war geschlossen. Gleich würde eine goldene Glocke mit schwarzem Griff erklingen und ich wusste auch von wem sie geläutet würde. Dahinter wartet ein grüner Tannenbaum und das ganze Zimmer riecht nach seinem Holz. Rotglänzende baumelnde Kugeln schmücken ihn. An einigen oberen Ästen hängen Engel, mit kleinen singenden offenen Mündern. Dazwischen überall kleine Strohsterne als wäre der Baum auch Himmelszelt. Dann, ganz oben auf der Baumspitze, wo ich nie drankam, ein glänzender Stern, den es eben nur einmal gibt. Ungeduldig wartete ich. Trat von einem auf das andere Bein. Gleich musste es doch soweit sein. Und dann läutete es. Dann läutete mein Vater die Glocke. Humorvoll wie er war, 13 Mal. Jedes Jahr an Weihnachten. Ich zählte mit. 12 Mal und an Weihnachten darf es immer etwas mehr sein. Mit dem 13. Schlag öffnete sich die Tür und der Baum strahlte mich an und ich den Baum. Es war Weihnachten.

Das Essen konnte - zumindest aus meiner Sicht – jetzt gut warten. Denn meine Augen und Hände waren beschäftigt. Welches Geschenk war für mich? Das würde ich zuerst auspacken. Oder doch das. Oder doch das? Das goldene Glöckchen war verstummt. Doch es hatte den einen Moment einer anderen reich beschenkten Welt für mich eingeläutet.  

Viele Jahre später lernte ich, dass es auch ein „Wegläuten“ gibt. Als ich ein junger Erwachsener war, läuteten die traurigsten Glocken für mich ganz laut. Natürlich klangen sie eigentlich so laut wie immer. Doch dieses eine Mal hörte ich sie eben ganz für mich allein.

Es ist ein alter Brauch. Wenn jemand aus der Familie stirbt, läuten Kirchenglocken für einen Menschen. Sie klingen für ein ganzes Leben; über alle Häuser hinweg. Hin und her. Alles Gute schwingt mit und alles Schwere klingt nach. Die Glocken bewegen sich. Und sie bewegen Menschen als Zeichen dafür, dass niemand einfach sang- und klanglos verschwindet. Wenn die Totenglocke einmal schlägt wird jemand weggeläutet, sagte man früher. Da geht jemand weg aus dem Leben. Und an manchen Orten konnte man hören, ob ein Mann starb, eine Frau oder ein Kind. Dreimal einzeln läutete die Totenglocke für eine Frau. Bei einem Mann zweimal. Wenn ein Kind weggehen musste, läutete die Glocke nur einmal, als wäre sie selber traurig und kraftlos über das, was geschehen war.

Sie begleiten Leben: Glocken. Sie läuten unter uns Menschen. Sie stehen an hohen Orten über unseren Dächern. Ihr Klang geht über unsere Köpfe hinweg. Dabei läuten und deuten sie nur an: Geschichten von ganz fröhlichen Kindern, die nicht nur erwachsen, sondern auch traurig werden können. Geschichten von einem Menschen, der hin und her schwangt, bis seine Entscheidung klar ist. Für die einen von uns klingen sie wie immer und stören auch wie immer. Für die anderen sind sie in dem einen Moment Einklang mit mir selbst. Da klingt etwas anderes, etwas Größeres für mich klingt weiter. Diese Glocke stimmt für mich an. Sie nimmt mich mit in Schwung, wenn ich träge bin. Sie erzählt von dem Ort, an dem sie hängt und einer Kirche, die mich nicht allein lässt. Ja, auch eine Kirche, die stört. Sie stört meinen Alltag auf. Wenn alles so sicher läuft. Wenn mich nichts aus dem Konzept bringen soll, geschweige denn aus dem Schlaf. Wenn ich nicht an den Tod erinnert werden will. Sie stört mich am Sonntagmorgen liebevoll gegen 10.45 Uhr. Wenn andere in der Kirche das Vater unser Beten, an andere denken, auch an mich. Selbst wenn ich damit nichts anfangen kann und will. Die lassen sich das nicht nehmen. Wir lassen als Kirche uns das nicht nehmen, dass wir an die denken, die damit nicht rechnen, die das auch nicht brauchen und wir tun das es doch. Wir läuten unter allen Leuten.

III.

Das klingt nach Leben. Mögen das Klingen auch gelingen. Was zu Weihnachten klingt, im Alltag gelingt. Ich hoffe, wir sind uns mehr oder weniger einig in der Botschaft: „Die Welt braucht Frieden.“ Manche unterscheiden sich im Glauben daran und welche Wege dahinführen. Und doch kann so vieles gemeinsam Klingen und gelingen. Die Glocken unter uns Leuten. Sie läuten für die, die beten wollen und für die, die ohne Gebet mitschwingen können: für einen gelingenden Tag, für Frieden, Gerechtigkeit und die Natur.

Wir hängen die Weihnachtsbotschaft an die „große Glocke“: „Euch ist der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr in der Stadt in Davids.“ Zum Zeichen haben damals keine Glocken geläutet und auch der Engelchor klang erst später. Zum Zeichen, dass Gott als Mensch sichtbar wird, „findet ihr ihn Windel gewickelt und in einer Krippe liegen“. Ein Gottesbild, das manchmal schief sitzt und nicht nur harmonisch riecht. Sein Frieden liegt in der Krippe und wird in die Welt gehen. Manche haben daraus Krieg gemacht. Andere schöpfen daraus Kraft: Jetzt schlägt’s dreizehn. Das passt nicht zum Üblichen. Das klingt nicht nach Gleichklang. Beim Frieden muss ich manchmal etwas mehr dazugeben: mehr Vertrauen, mehr guten Willen und manchmal auch noch mehr Nerven. Und es kann sein, es bei den 13 einer der dabei, der zweifelt und stört und manchmal auch verrät.

Doch jetzt war die Zeit des Anfangs. Josefs, der Zimmermann, schaute auf Krippe und Kind und lächelte: „Beides könnte von mir sein“. Dieses eigene Kind von Gott in einer fremden Krippe im Stall. Aus besonderem Holz sind sie geschnitzt: Menschen, mit denen Frieden wird. Da erinnerte Josef sich an seine schräge Familie. Da hat es manchmal dreizehn geschlagen, wer da alles in Gottes Namen gewirkt hat. Das Schiefe und Schräge kommt in der besten, heiligen Familie vor. Und in meinem Leben mit und ohne heilige Familie, läutet eine neue Zeit ein. Sie klingt nach Mut für den Frieden in meinem Leben. Jeden Tag erinnert mich der Glockenschlag. Um 9: „Leute heute“, um 12: „Da klingt die Welt in Frieden“ und um 15 Uhr „nach Gerechtigkeit“, damit um 18 Uhr aus Abend und Morgen ein neuer Tag wird und bald ein neues Jahr. Darum ist Weihnachten ganz in dieser Welt unter allen Leuten. Und wenn die nächsten Glocken läuten, dann für die Menschen, die feiern und die leben und die sterben und die wir lieben. Gesegnete Weihnacht. Amen.

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