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Für sich selbst sprechen

Für sich selbst sprechen

Dr. Peter Kristen
Ein Beitrag von Dr. Peter Kristen, Evangelischer Pfarrer und Studienleiter, Religionspädagogisches Institut Darmstadt

„Luthers Deutsch, bis heute in aller Munde“. Das steht auf einer Postkarte, die ich mir aus dem Bibelhaus Erlebnismuseum in Frankfurt mitgebracht habe. Dort ist noch bis Ende des Jahres eine Ausstellung über Bibeldrucke aus dem Mittelalter zu sehen. Im Zentrum steht die Übersetzung der Bibel in die Alltagssprache. Die Besucher und Besucherinnen können dort nicht nur bunt verzierte, alte Meisterwerke hinter Panzerglas anschauen. Sie können auch selbst etwas tun und erleben.

Man kann eigenhändig ein kleines Buch mit Psalmen falzen und binden wie zu Luthers Zeiten oder sich auf eine Postkarte Ausdrücke stempeln, die durch Luthers Bibelübersetzung direkt in unsere Alltagssprache gelangt sind. Da gibt es auch einen Stempel mit „Für sich selbst sprechen“.

Das soll ungewöhnlich sein? Hab ich gedacht. Ist doch normal, dass Menschen das Recht haben, für sich selbst zu sprechen. Also hab ich mir diesen Stempel auf eine Postkarte gedrückt und zu Hause noch etwas nachgeforscht.

Der Ausdruck steht in einer Geschichte im Johannesevangelium: Die Eltern eines Jungen, der blind war und den Jesus geheilt hat, sagen: Ihr Sohn soll für sich selbst sprechen. Er soll erzählen, warum er wieder sehen kann.

Für sich selbst sprechen. Luther hat aus dem Neuen Testament auch diese Geschichte ins Deutsche übersetzt und so diesen Gedanken Jesu für die Menschen seiner Zeit zugänglich gemacht. In Luthers Zeit galt eher die Regel: "Wenn Erwachsene sprechen, haben Kinder zu schweigen". Kinder wurden keineswegs dazu aufgefordert, selbst zu denken und für sich selbst zu sprechen. Arbeit und Prügel waren in ihrem Leben allgegenwärtig.

So hat Luthers Bibelübersetzung – auf lange Sicht – dazu beigetragen, dass jedes Kind und jeder Mensch sich eine Meinung bilden und für sich selbst sprechen konnte.

Die Menschen hatten nun die gemeinsame Sprache dafür, sich wirksam auszudrücken – bis heute. Erwachsene, die junge Menschen für sich sprechen lassen – und auch zuhören, was sie zu sagen haben. Daran erinnert mich meine Postkarte aus dem Bibelhaus, auf die ich gestempelt habe: „für sich selbst sprechen“

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