Ihr Suchbegriff
Wenn Gott mit mir betet

Wenn Gott mit mir betet

Ein Beitrag von Helwig Wegner-Nord, Evangelischer Pfarrer, Frankfurt

Sarah ist sechs, abends betet ihre Mutter mit ihr. Das kleine Mädchen sitzt dann in ihrem Bett, die Mutter daneben. Sarah hat die Hände gefaltet und spricht recht ungezwungen zu Gott, zu ihrem Gott. Nur selten sind es noch die auswendig gelernten Worte, Kindergebete in Versform. An einem Tag, nach Gebet und Gute-Nacht-Kuss, ruft Sarah die Mutter aus dem anderen Zimmer nebenan noch einmal zu sich zurück ins Kinderzimmer. Sie ist nicht besonders aufgeregt, aber doch ein bisschen erstaunt, als sie sagt: „Eben hat er zurückgebetet. Gott hat gerade zurückgebetet!“

Damit hatte die Mutter nicht gerechnet. Dass man zu Gott beten kann, ihm alles anvertrauen kann, ihn bitten und ihm danken kann – das alles wollte sie ihrem Kind mitgeben. Als Sarah noch ganz klein war, hat die Mutter das Gebet gesprochen. So wie sie es selbst als Kind erlebt hatte. Als Sarah dann sprechen konnte, haben sie zusammen gebetet, oder auch nacheinander. Und oft einen der schönen Liedverse gesungen. „Nun ruhen alle Wälder“ oder „Abend ward, bald kommt die Nacht“.

Und nun das: „Gott hat gerade zurückgebetet!“ Hat er zurückgebetet? Betet Gott zurück, wenn Menschen sich an ihn wenden? Oder ist das ein phantasievoller Gedanke aus einem märchenvollen Kinderkopf?

Der große Theologe und Philosoph Søren Kierkegaard hat einmal beschrieben, dass im Laufe seines Lebens sein Gebet immer andächtiger und innerlicher geworden ist. Und dann fährt er fort: „Zuletzt wurde ich ganz still. Ich wurde, was womöglich noch ein größerer Gegensatz zum Reden ist, ich wurde ein Hörer…. Ich lernte, dass Beten nicht bloß Schweigen ist, sondern Hören.“

Sarah befindet sich – so scheint es – in guter Gesellschaft. Und auf einem guten Weg. Sie weiß nichts vom verborgenen, dem schweigenden Gott. Wenn sie zu ihm sprechen kann, dann wird er doch wohl auch mit ihr sprechen, sich ihr zuwenden, sie trösten und ihr antworten. Sarah bringt eine Menge Selbstbewusstsein in ihr Gebet mit ein. Sie erwartet, von Gott ernst genommen zu werden. Warum sollte sie denn sonst zu ihm beten? Und: sie hört Gott zu sich sprechen.

Vielleicht, denke ich, ist der verborgene Gott manchmal nur ein Ergebnis unserer fehlenden Bereitschaft, ihn zu Wort kommen zu lassen?

Das wäre ja mal einen Versuch wert: sich im Schweigen zu üben. Und im Hören auf das, was andere uns sagen. Und – wer weiß – was Gott uns zu sagen hat.

Weitere ThemenDas könnte Sie auch interessieren