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Rache ist süß?

Rache ist süß?

Stephan Krebs
Ein Beitrag von Stephan Krebs, Evangelischer Pfarrer, Langen

„Two Black Cadillacs“ – zwei schwarze Cadillacs – so heißt ein Popsong der US-amerikanischen Sängerin Carrie Underwood. Er ist das Gegenteil von einem Liebeslied. Im Mittelpunkt stehen zwei Frauen, die einen Mann umbringen. Aus Hass, denn die beiden Frauen sind tief gekränkt. Ungehört bleibt die biblische Mahnung „Vergeltet nicht Böses mit Bösem“. Die Frauen folgen lieber dem Prinzip: Rache ist süß.

Grausame Racheakte passieren in der Realität selten – zum Glück. Aber zuschauen, wie es andere tun, das wollen viele schon – zumindest im Fernsehen. Gerade in amerikanischen Hollywood-Filmen spielt das Motiv der Rache eine herausragende Rolle. Auch in dem Lied von Carrie Underwood.

Der Song beginnt mit jenen zwei schwarzen Cadillacs, die ihm seinen Namen geben. Cadillac – das ist eine amerikanische Automarke. Wer in den USA so einen Wagen fährt, zumal noch in Schwarz, der zeigt damit: Ich gehöre zu den besseren Kreisen.

In dem Song fahren zwei dieser Cadillacs über einen Friedhof, wie er in den USA üblich ist: Eine große, grüne Wiese mit Bäumen. Unter ihnen stehen in lockerer Ordnung weiße Grabsteine. An einem versammeln sich gerade schwarz gekleidete Menschen – eine Beerdigung.

Zwei schwarze Cadillacs fahren in einem langsamen Konvoi hintereinander her. Scheinwerfer strahlen hell in die Mitte des Tages. Einer ist für seine Ehefrau, der andere für die Frau, die ihn in der Nacht geliebt hat. Zwei schwarze Cadillacs treffen sich zum ersten Mal.

Die zwei Limousinen stehen für die zwei Frauen. Die eine ist die Ehefrau eines Mannes und die andere ist dessen Geliebte. Das kann eigentlich kein gutes Ende nehmen. Aber die Beerdigung nimmt ihren geregelten Verlauf.

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Und der Prediger erzählt, er sei ein guter Mann gewesen. Und sein Bruder sagt, er sei ein guter Freund gewesen. Aber die Frauen in ihren zwei schwarzen Schleiern geben sich keine Mühe zu weinen. Bye, bye, bye. Ja, sie stehen Schlange um eine Rose niederzulegen. Sie werfen eine Handvoll Erde in das Grab. Er ist nicht der einzige, der ein Geheimnis zu hüten hat. Bye bye, bye bye, bye Bye. Zwei schwarze Cadillacs, Zwei schwarze Cadillacs.

Spätestens jetzt fällt die eisige Kälte auf, mit der Carrie Underwood die Szenerie beschreibt. Da stimmt etwas nicht. Äußerlich wahren zwar alle ihre Haltung, aber dahinter ist die Situation offenbar vollkommen verlogen. Doch nicht der Prediger lügt, wenn er den Verstorbenen als guten Menschen preist. Er weiß es nicht besser. Verheimlicht wurde ihm, was zu sagen gewesen wäre. Was das ist, erzählt das Lied in einer Rückblende.

Musik

Zwei Monate vorher hatte die Ehefrau d i e Nummer in seinem Telefon angerufen. Sie legte offen, dass er sie beide nun schon so lange anlügt. Dann entschieden sie, dass er ihnen das nie wieder antun wird. Zwei schwarze Cadillacs warten auf den richtigen Zeitpunkt, den richtigen Moment.

Die Ehefrau ruft die Geliebte an und verbündet sich mit ihr. Beide fühlen sich von ihm hintergangen. Sie sind enttäuscht, eifersüchtig, wütend – aber nicht aufeinander, sondern auf ihn. Ihre Liebe schlägt um in Hass. Den, den sie zuvor umsorgten, wollen sie nun vernichten.

Wer liebt, macht sich verletzlich. Und manche Liebe wird so verletzt, dass sie in einem Rosenkrieg eskaliert. Oder in Scheidungsverhandlungen, die eher einem Kalten Krieg ähneln. Oder in einem zermürbenden Grabenkampf um die gemeinsamen Kinder.

Oder es kommt noch schlimmer – das beschreibt Carrie Underwood in ihrem Lied. Sie tut das merkwürdig distanziert und kühl. Dramatisch ist das, was geschieht. Aber es läuft ab wie eine belanglose Normalität.

Das verwundert – zumindest diejenigen, die Carrie Underwood kennen. Sie ist ganz bewusst eine Christin. Sie ist Anfang 30 und stammt aus einer Kleinstadt in Oklahoma. Ihrer ländlichen Heimat und den bodenständigen Menschen fühlt sie sich auch als Popstar noch sehr verbunden. Das Singen hat sie in einem Kirchenchor gelernt. Und diese Grundhaltung gibt sie auch in ihren Liedern zu erkennen. Sie handeln oft von sehr ernsthaften Themen.

Nun überrascht sie mit den schwarzen Witwen im Cadillac. Ihr Song ist rabenschwarz wie ein Gangsterfilm, aalglatt wie eine Upper-Class-Parodie und eiskalt wie ein Rachefilm. Mir scheint: Eine Satire. Aber eine, bei der einem das Lachen gefriert.

Diese Satire hat – wie jede – einen ernsthaften Kern. Denn es stimmt ja: Jeder gekränkte Mensch hat Rachegefühle. Jeder kennt diese inneren Stimmen: „Das zahl ich dir heim!“ „Das lass ich nicht auf mir sitzen“ Rache – das ist ein ungeheurer Antrieb. Eine Energiequelle, die Menschen Dinge tun lässt, die sie ansonsten niemals tun wollten und könnten. Zum Glück werden die meisten dieser Gefühle nur in Phantasien ausgelebt. Das kann sogar richtig lustvoll sein – Rachegelüste eben.

Diese wilde, destruktive Leidenschaft entsteht aus einer Kränkung. Manchmal einseitig, oft gegenseitig. Man fühlt sich missachtet. Dafür soll derjenige büßen, der daran schuld ist. Das, so die Erwartung, lindert den eigenen Schmerz und es stellt die eigene Würde wieder her. Außerdem soll auch Unrecht gesühnt werden, der Täter selbst soll zum Opfer werden. Damit, so das Ziel, soll die Welt wieder in Ordnung gebracht werden.

Ob das gelingt? Der Schmerz in einem selbst ist so groß, da fällt die Vergeltung oftmals schlimmer aus als das ursprüngliche Vergehen. Dann eskaliert die Lage, weil sich Rache, Gegenrache und Gegengegenrache immer weiter überbieten. So entstehen immer neue Verletzungen.

An diesem Punkt setzt die Bibel an. Dabei ist sie ganz realistisch, indem sie das Bedürfnis nach Rache schlicht voraussetzt. Aber dafür setzt sie Regeln: „Auge um Auge, Zahn um Zahn.“ Und zwar nur Auge um Auge, nicht mehr. So ist dieses berühmte Wort gemeint. Die Vergeltung soll nicht schlimmer sein als die ursprüngliche Tat. Das ist der erste Schritt: Ausstieg aus der Eskalationsspirale.

Die Bibel geht noch einen Schritt weiter. Sie fragt: Wem hilft diese Vergeltung? Macht sie irgendetwas wieder gut? Bringt sie etwas zurück? Heilt sie eine Wunde? Lindert sie den Schmerz? Nein, nichts von alledem. Bestenfalls bringt sie eine kurzfristige Genugtuung. Deshalb sagt die Bibel: Überlass deine Rachegelüste Gott. Gott hat seine Wege, Schuldige zur Rechenschaft zu ziehen und Gerechtigkeit zu schaffen. Befreie du dich von der Last der Rache, denn sie wird dich nicht heilen.

Ganz genau verstanden hat das Ameneh Bahrami, eine junge Frau im Iran. Sie hat Schreckliches erlebt. Ein Mann hat ihr Gesicht mit Säure verätzt. Sie ist für immer entstellt. Das Gericht sprach ihr das Recht zu, nun ihrerseits dem Mann Säure ins Gesicht zu schütten – Auge um Auge. Doch sie tat es nicht. Sie sagte zu ihm: Ich verzichte, aber nicht deinetwegen, sondern meinetwegen.“ Sie hatte verstanden: Der Weg der Vergeltung würde ihren Schmerz nicht heilen, sie aber in neuen Schmerz verwickeln. Sie wählte den Weg der Achtung vor sich selbst und damit auch vor jedem anderen Menschen. Wenn es Heilung gibt, dann auf diesem Weg. Der Weg, den die beiden Cadillac-Frauen einschlagen, führt woanders hin.

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Es war das erste Mal und das letzte Mal, dass sie sich von Angesicht zu Angesicht sahen. Sie teilten ein verschwörerisches Lächeln und gingen dann einfach weg. Und ließen ihr Geheimnis am Grab.

Die Rache ist vollendet. Das Lied sagt: Die Frauen lassen ihr Geheimnis am Grab zurück. Stimmt das? Äußerlich ja: Offenbar hat niemand etwas bemerkt. Und das heißt: Sie müssen sich vor niemandem rechtfertigen. Nur vor sich selbst. Das wird ihnen im Moment vielleicht noch nicht schwerfallen. Noch tragen sie den frischen Schmerz in sich. Aber den müssen sie fortan immer am Leben erhalten. Denn sie brauchen ihn als Rechtfertigung für ihre Tat. Das bedeutet: Keine Heilung. Stattdessen Schmerz für immer, bis zum jüngsten Tag.

Es geht besser. Wie, dafür macht die Bibel einen Vorschlag: Räche dich, indem du den anderen beschämst. Der Apostel Paulus sagt: „Vergeltet nicht Böses mit Bösem…Vielmehr: Wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen…Wenn du das tust, wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln.“

Diese Methode wenden auch moderne Psychologen an. Sie nennen sie Paradoxe Intervention. Mit ihr erreicht man sein Ziel, indem man scheinbar das Gegenteil von dem tut, was man erreichen will.

So wird Rache zu einer Kraft, mit der wir leben können. Sie hat sogar das Potenzial, die Welt ein wenig zu verbessern – eine Antieskalationsspirale nach dem Bibel-Prinzip: Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“

Mir scheint: Diese Methode wendet auch Carrie Underwood in ihrem Lied an: Sie beschreibt scheinbar vollkommen emotionslos, welches schreckliche Ende der Weg des Hasses nehmen kann. Und löst damit beim Hören den dringenden Wunsch aus, mit dem Hass anders umzugehen. Rache ist eben nicht süß, sondern bitter. Sie heilt die Wunde der gekränkten Liebe nicht. Die kann heilen, wenn man sich aus Liebe zu sich selbst auf einen mühsamen Weg macht – hin zum Annehmen des Geschehenen. Und dann, wenn es gut geht, weiter zum Verzeihen.

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