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Eine Frage der Perspektive
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Eine Frage der Perspektive

Dr. Sabine Gahler
Ein Beitrag von Dr. Sabine Gahler, Pastoralreferentin im Katholischen Bildungszentrum nr30, Darmstadt
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So unterschiedlich die Menschen, so unterschiedlich kann ein und die selbe Sache verstanden werden. Ich finde es bereichernd, dass wir Menschen die Dinge unterschiedlich sehen.
Manchmal ist es aber auch verstörend. Ich erlebe das vor allem, wenn Menschen sich streiten. Ich höre dann die eine Geschichte und die andere Geschichte. Beide sind aus der jeweiligen Perspektive richtig. Und doch führt die unterschiedliche Sicht zum Streit. Mir geht das in einem Streit oft so: Ich wünsche mir dann manchmal, die Sicht des anderen besser zu verstehen. Professionell, als Mediatorin gelingt mir das leicht. Persönlich betroffen bin ich dann ja nicht.
Die Sicht des anderen einzunehmen ist für mich dann schwer, wenn ich persönlich betroffen bin. Professionell lade ich gerne zu einem Perspektivwechsel ein. Das heißt, ich lade die Menschen ein, einmal in die Rolle des anderen schlüpfen und mit den Augen des anderen sehen. Ein paar Schritte in den Schuhen des anderen gehen.
Manchmal erzähle ich auch eine Geschichte. Zum Beispiel folgende Geschichte von Sherlock Holmes und Dr. Watson, die ich in einem Buch gefunden habe. Die Geschichte geht so: Sherlock Holmes und Dr. Watson machen einen Ausflug in die Natur. Am Abend schlagen sie ihr Zelt unter freiem Himmel auf und schlafen ein. Mitten in der Nacht wacht Holmes auf und weckt Watson mit einem unsanften Stoß in die Rippen. „Watson, was siehst du“ fragt er ihn. „Ich sehe Sterne“, antwortete Watson, „ganz viele Sterne.“ „Und was sagt dir das Watson?“ Watson überlegt kurz und sagt dann: „Das sagt mir, dass es da draußen unzählige Sterne und Galaxien gibt, tausende und abertausende von Planeten. Ich schaue in den Himmel und bin ganz demütig angesichts dieser Weiten. Und was sagt es dir Holmes?“
„Watson, du bist ein Narr! Mir sagt es, dass jemand unser Zelt gestohlen hat!“ (frei erzählt nach Joseph O'Connor: Extraordinary Solutions For Everyday Problems).
Die Geschichte macht auf lustige Weise deutlich: Die eigene Perspektive wird leicht als die einzige richtige gesehen. Und doch liege ich manchmal voll daneben.
Mir gefällt, dass wir Menschen die Welt so unterschiedlich sehen. Und ich finde, es lohnt ab und an, in die Haut des anderen zu schlüpfen. Professionell gelingt mir das. Privat würde ich mir wünschen, dass es mir auch gelingt. Bei einem Streit in der Familie oder mit Freunden und Freundinnen fällt es mir sehr schwer. Meistens gelingt es mir nicht. Wenn es mir gelingt, ist es für mich persönlich immer bereichernd.
Und das nicht nur im Konflikt. Leichter ist es bei den guten Eindrücken im Leben. Da übe ich für mich persönlich. Was siehst Du? Was empfindest Du? Was ist Dir wichtig? Ich möchte deine Perspektive verstehen. Vielleicht gelingt mir das auch heute.

 

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