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Gott ist verliebt in mich

Gott ist verliebt in mich

Dr. Ansgar Wucherpfennig
Ein Beitrag von Dr. Ansgar Wucherpfennig, Jesuitenpater, Professor für Neues Testament an der Hochschule Sankt Georgen, Frankfurt
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Vor vielen Jahren habe ich mich einmal mit einem älteren Mitbruder unterhalten, als ich über beide Ohren verliebt war. Verliebt zu sein, ist romantisch, manchmal hat es aber auch mein Herz ganz schön Achterbahn fahren lassen. Lange Zeit habe ich gedacht, wenn ich als Jesuit ehelos leben will, darf ich mich nicht verlieben. So bin ich also zu dem älteren Jesuiten und hab‘ ihm vertrauensvoll von meinen bewegten Gefühlen erzählt. – Der aber blieb ganz gelassen. Er zog sein Portemonnaie heraus, öffnete es und hat einen kleinen geknickten Zettel hervorgenestelt. Darauf stand in seiner eigenen Handschrift: „Kein Ding ist hier noch dort, das schöner ist als ich, weil Gott, die Schönheit selbst, sich hat verliebt in mich.“ Ein Vers von dem Barockdichter Angelus Silesius. Der ältere Jesuit meinte: Wenn selbst Gott sich in Menschen verliebt, dann kann es doch nicht so dramatisch sein, dass auch du dich in einen Menschen verliebst. Das hat mir damals geholfen.

Seitdem denke ich immer wieder mal über dieses Wort von Angelus Silesius nach. Erst habe ich etwas gebraucht, um mit dem Anfang zurecht zu kommen: „Kein Ding ist hier noch dort, das schöner ist als ich…“ Schon wenn ich morgens in den Spiegel schaue, fällt mir schnell etwas auf, das ich nicht so schön finde; auf manchen Fotos finde mich peinlich, und auch anderes Unschöne an mir fällt mir ein.

Aber es heißt ja nicht, dass ich mich schön finde, sondern: Gott, die Schönheit selbst, hat sich in mich verliebt. Klingt eigenartig: ein verliebter Gott, und verliebt grade in mich! Lange habe ich mich dagegen gewehrt, das so persönlich zu sehen und gedacht: Das gilt doch für jeden Menschen. Stimmt auch! Alle Menschen finden verschiedene Sachen schön: Sie haben ihre Lieblingsspeisen, ein Lieblingskleid oder ein Lieblingshemd. Jeder Mensch ist frei und denkt und fühlt in seiner Weise. Und jeden Menschen hat Gott in seiner ganz persönlichen Weise lieb. Auch wenn Gott verliebt ist, Gottes Weise, verliebt zu sein, ist gerecht, weil er jede und jeden liebt.

Aber wenn ich den Satz so verstehe, dann wird er zu einer allgemeinen Wahrheit, die mich kaum noch bewegt. Es berührt mich, wenn ich das Wort auf mich beziehe: „Kein Ding ist hier noch dort, das schöner ist als ich, denn Gott die Schönheit selbst hat sich verliebt in mich.“ Gerade in mich hat Gott sich verliebt, mit dem, was ich jetzt mag und was mir heute bevorsteht.

Mittlerweile habe ich dazu eine kleine Übung gefunden, mit der ich morgens den Tag beginne: Ich stelle mich hin, schließe die Augen, und stelle mir dann ein paar Augenblicke vor, wie Gott mich mit Liebe anschaut. Mit all dem, was in mir ist und zu mir gehört, meiner Liebe, meiner Wut, meiner Müdigkeit oder meinem Tatendrang. Ich betrachte, wie Gott mich mit Liebe anschaut. Mit dieser Übung kann ich den Tag viel besser beginnen und auch die Menschen mit Liebe anschauen, die mir begegnen.

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