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Der kleine Vogel
pixabay/G.C.

Der kleine Vogel

Jelena Wegner
Ein Beitrag von Jelena Wegner, Evangelische Pfarrerin, Siegbach
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Aufgeregt kommt mein Sohn zu mir ins Arbeitszimmer. ‚Mama, du musst mal mitkommen. Ein Vogel hat sich im Keller verirrt.‘ Gemeinsam gehen wir nach unten. Und tatsächlich: Im Wäschekeller sitzt eine kleine Blaumeise auf der obersten Sprosse einer Leiter. Sie macht keine Anstalten wegzufliegen.

Die kleine Meise wird befreit

‚Vielleicht müssen wir sie einfach nach draußen bringen und dann fliegt sie bestimmt los,‘ überlegen wir. Langsam nähere ich mich dem Vogel. Er bleibt sitzen. Behutsam schiebe ich meinen Zeigefinger unter die winzigen Vogelbeine, bis er sich an meiner Hand festkrallt.

Draußen, vor der Kellertür halte ich die Hand hoch in die Luft. Wir warten, dass er losfliegt, aber der Vogel bleibt sitzen. ‚Bestimmt ist er krank,‘ meint mein Sohn.

Auch die Nachbarin hilft

Mir fällt die Nachbarin ein, die Vögel hat. Vielleicht hat sie ja noch einen alten Käfig, in dem wir die Meise sicher unterbringen und aufpäppeln können.

Die Nachbarin ist skeptisch. ‚Das wird bestimmt nichts mit dem Vogel,‘ sagt sie. ‚Der ist zu klein und zerbrechlich. Der wird euch eingehen.‘ Dennoch will sie auf dem Dachboden nach einem alten Käfig schauen.

Ein Rettungsversuch

Vorerst nehmen wir eine Katzenbox, polstern sie mit einem Handtuch aus und setzen die Meise hinein. Ein Schälchen mit Wasser stellen wir dazu und in der Vorratskammer finden wir noch Vogelfutter. Jetzt hat die Meise erst einmal ein sicheres Plätzchen und Nahrung. Wir wollen zumindest versuchen diese kleine Kreatur in der großen Schöpfung Gottes am Leben zu erhalten. Vielleicht schafft sie es ja. Nur weil sie klein und schwach wirkt, muss sie ja noch lange nicht verloren sein. Darauf wollen wir setzen.

Zu Kräften gekommen

Später kommt meine Tochter von der Schule nach Hause. Sie hört von dem Vogel und will sofort nachschauen. Vorsichtig hebt sie den Deckel von der Box. Da kommt ihr die Meise auch schon entgegengeflogen. Geistesgegenwärtig öffnet meine Tochter die Kellertür und der Vogel fliegt hinaus ins Freie.

Mit Zeit kann neue Kraft wachsen

Im ersten Moment bin ich traurig. ‚Wieso hast du denn einfach den Deckel abgenommen?‘ frage ich. Dann merke ich: Genau das wollten wir doch eigentlich. Die kleine Meise hat es geschafft. Darüber bin ich froh. Noch etwas zeigt sie mir: Manchmal bist du klein und schwach. Aber gib die Hoffnung nicht auf. Du musst nicht immer stark sein und du musst auch nicht alles aus eigener Kraft schaffen. Dir kann neue Kraft zuwachsen. Manchmal reicht ein bisschen Zeit und Pflege. Und dann kannst du neu losstarten.

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