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Mama, du nervst
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Mama, du nervst

Dr. Annette Wiesheu
Ein Beitrag von Dr. Annette Wiesheu, Theologische Referentin des Bischofs von Mainz
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„Mama, du nervst.“ – Je älter meine Kinder werden, desto öfters höre ich diesen Satz. „Mama, du nervst“ sagt meine Tochter, wenn ich sie morgens darauf hinweise: Die Socken, die sie ausgesucht hat, sind zu kalt für dieses Wetter. „Mama, du nervst“ sagt mein Sohn, wenn ich ihn wiederholt daran erinnere: Eine Klassenarbeit steht an und er möge doch endlich mit der Vorbereitung beginnen. „Mama, du nervst“ sagen meine Kinder, als ich ihnen bei einem Ausflug eine kleine Kirchenführung geben will und zu Erläuterungen über Geschichte und Architektur anhebe.

Ich meine es ja gut

Wenn meine Kinder das sagen, dann ärgere ich mich erst einmal. Weil ich der Meinung bin: Ich habe recht mit meinen Fragen und Einwänden. Schließlich bin ich erwachsen und habe mehr Erfahrung. Wenn man 10 und 12 Jahre alt ist, kann man sich von seiner Mutter schon noch etwas sagen lassen. Es geht ja auch um wichtige Dinge: kalte Füße, die Schulleistungen und ein bisschen Bildung sollte schon sein. Und überhaupt: Ich meine es ja gut.

„Mama, du nervst“. Aber je öfter ich das höre, desto mehr frage ich mich: Was nervt die Kinder eigentlich so? Ich habe nachgefragt, und meine Tochter hat mir dann erklärt: „Ich weiß selber, welche Socken ich anziehen will.“ Und mein Sohn sagt: „Ich hab ja schon für die Klassenarbeit gelernt, auch wenn du es nicht glaubst“. Und beide Kinder meinen: „Wir interessieren uns halt nicht so für Geschichte wie du. Wir wollen lieber Eis essen gehen.“

"Das musst du lernen, Mama"

Wenn ich über diese Antworten nachdenke, dann merke ich: Es scheint da gar nicht so sehr um die Sache zu gehen – ums Lernen, die warmen Socken, die Kirchenführung. Genervt scheinen mir die Kinder von dem zu sein, was unterschwellig mitschwingt: Da meint jemand, es besser zu wissen als sie selbst, da traut ihnen jemand wenig zu. Oder es nimmt sie jemand anders wahr, als sie sich selbst wahrnehmen. „Wir sind halt jetzt schon größer, das musst du lernen, Mama“, erklären sie mir.

Sicherlich, solche Konflikte gehören zum Familienleben dazu. Aber trotzdem machen mich die Bemerkungen der Kinder nachdenklich. Ich finde zwar immer noch: Ich muss manchmal nerven, wenn‘s darum geht, die Kinder zu schützen. Aber ich will auch nicht über ihre Köpfe hinweg reden und wahrnehmen, was sie wollen und schon selber können.

Das sehen andere genauso

Ich merke: Wie schwer ist es, hier das richtige Maß zu finden. Wie leicht gehe ich davon aus: Ich weiß, was gut für euch ist oder unterstelle stillschweigend: das, was ich vernünftig finde, das sehen andere genauso. Und was für die Familie gilt, das gilt wohl auch für den Umgang mit anderen Menschen, im Freundeskreis oder am Arbeitsplatz.

Wahrscheinlich lassen sich solche Missverständnisse nie vermeiden, niemand sieht ins Herz seiner Mitmenschen. Aber vielleicht macht schon die Haltung einen Unterschied: Ich kann mich zumindest bemühen, auf den oder die andere zu hören, und bereit sein, meine eigene Meinung zu hinterfragen.

Das macht es den anderen vielleicht auch leichter, einmal Verständnis zu haben. Als ich ihr neulich Gute Nacht sagte, hat meine Tochter gesagt: „Mama, heute warst du wirklich wieder sehr nervig.“ Und sie hat dann tröstend hinzugefügt: „Aber mach dir nichts draus, ich weiß, du meinst es gut.“

 

 

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