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Ausstieg aus der Atomenergie
pixabay / Qubes Pictures

Ausstieg aus der Atomenergie

Dr. Matthias Viertel
Ein Beitrag von Dr. Matthias Viertel, Evangelischer Pfarrer, Kassel
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Moderation: Heute Abend (15. April 2023) um 23.30 Uhr ist es so weit: Die letzten drei deutschen Atomkraftwerke werden runtergefahren. Es war ein langer Weg bis dahin. Und es ist auch jetzt noch umstritten, ob es richtig ist, ganz und gar aus der Kernenergie auszusteigen. Pfarrer Matthias Viertel von der evangelischen Kirche hat schon als Student gegen Atomkraft demonstriert. Trotzdem kann er sich heute nicht so richtig freuen. Warum nicht, das sagt er im hr1 Zuspruch.

Brokdorf. Grohnde. Das sind für mich nicht nur Ortsnamen auf der Landkarte. Dahin bin ich als Theologiestudent gefahren und habe mit Freunden gegen Atomkraft demonstriert. Einige von uns sogar im Talar.

"Atomkraft? Nein danke!"

Damals wollten wir den Bau der Atommeiler verhindern und wurden von Wasserwerfern vertrieben. Die lachende Sonne auf dem "Atomkraft? Nein danke!"- Buttons wurde berühmt. Die Atomenergie kam trotzdem.

Das ist fast 50 Jahre her. Heute werden die letzten drei deutschen Kernkraftwerke abgeschaltet. Eigentlich müsste ich mich freuen. Eine Ära geht zu Ende.

Ist der Ausstieg gerade jetzt wirklich richtig?

Trotzdem stellt sich bei mir kein Jubel ein. Es gibt zu viele Zweifel: Ist es wirklich richtig, gerade jetzt die Atommeiler stillzulegen? Wo es durch den Krieg in der Ukraine große Engpässe bei Gas und Öl gibt?

Und ist die Kernenergie in der Klimakrise nicht das kleinere Übel? Besser als Kohlekraftwerke, die viel mehr CO2 abgeben.

Ich frage mich auch selbst: Was habe ich in den vergangenen Jahrzehnten für das Klima gemacht? Auch meine Wohnung ist größer geworden, mein Auto stärker, und mein Energieverbrauch ist gewaltig gewachsen.

Die Welt ist wie ein Besoffener

An der Atomenergie merke ich: Die Welt kann man nicht so einfach in richtig und falsch einteilen. Martin Luther hat einmal gesagt, die Welt ist wie ein Besoffener, den man auf ein Pferd hieven will. Hebt man ihn von der einen Seite in den Sattel, so fällt er zur anderen gleich wieder runter.

Ähnlich ist es mit der Atomenergie. Vielleicht kann ich deshalb nicht so richtig jubeln. Ich finde den Ausstieg nach wie vor richtig – besonders weil nicht geklärt ist: Wohin mit dem Atommüll? Mit dem Abschalten sind die Probleme nicht gelöst, sie fangen erst an.

Das gehört zur Verantwortung

Martin Luther hat sinngemäß gesagt: Wir können nichts perfekt machen. Wenn wir entscheiden, müssen wir auch negative Folgen in Kauf nehmen. Das gehört zu der Verantwortung, die wir haben für uns selbst, für die Umwelt, für die Generationen nach uns.

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