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Menschliches Klima: So überhitzt wie unterkühlt…
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Menschliches Klima: So überhitzt wie unterkühlt…

Stefan Herok
Ein Beitrag von Stefan Herok, katholischer Pastoralreferent i.R. in der Pfarrei St. Bonifatius, Wiesbaden
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Guten Morgen und einen schönen Sonntag!

Ich habe heute ein „heißes Thema“ für Sie! Es kann einen aber auch „eiskalt erwischen“. Es geht um „Klimawandel“. Schon auch den in Sachen Wind und Wetter. Aber doch auch noch ganz anders…

Großes Thema Klimawandel

Der meteorologische Klimawandel ist ja in aller Munde. Auch ich halte ihn für ein großes Problem. Ursachen und Folgen sind komplex, einfache Lösungen nicht in Sicht. Es wird heftig um ihn gestritten. Erderwärmung hin oder her. Ich kann es zwar kaum fassen, aber schon die Frage, ob es ihn überhaupt gibt, erhitzt immer noch die Gemüter. Manche Leute versuchen tatsächlich zu beschwichtigen: solche Wetterschwankungen und Extremwetterlagen wie heute habe es schon immer gegeben. Ich gehöre eher zu denen, die von Klimakrise und -katastrophe sprechen. Auch weil die Veränderung ja nicht nur das Wetter betreffen, sondern für viele Menschen weltweit das pure Überleben gefährden…

Was also muss man für das Klima tun? Und welchen Preis darf das kosten? Welche Energien und Rohstoffe sollen stärker genutzt werden, welche wären lieber zu vermeiden? Fragen über Fragen, heftige Debatten. Den einen geht alles zu langsam und sie fürchten um ihre und ihrer Kinder Zukunft. Die anderen halten diese Sorge für übertrieben. Sie fürchten sich mehr vor wirtschaftlichen Nachteilen durch zu teuren Umweltschutz in nationalen Alleingängen…

Soweit die meteorologische Seite des Klimawandels. Für sich betrachtet, schon schwierig genug.

Wandel des „sozialen Klimas“

Mich beschäftigt zurzeit ein Phänomen, das ich „sozialen Klimawandel“ nennen möchte.

Auch im „Klima“ unserer zwischenmenschlichen Beziehungen sehe ich nämlich Veränderungen, „StarkwetterEreignisse“: teilweise extreme Überhitzung und gleichzeitig im Gegenteil – direkt daneben - radikale Unterkühlung.

Gesellschaftliche Auseinandersetzungen, z.B. bezüglich angemessener Umwelt- oder AsylPolitik, werden viel heftiger geführt als noch vor wenigen Jahren; weniger sachlich, oft polarisierend, kaum lösungsorientiert. Mich schmerzt und erschreckt dabei besonders, wie viel Radikalität da oft im Spiel ist, Beleidigungen, Bitterkeit und dann tatsächlich auch blanker Zynismus und so viel Hass.

Besonders überhitzt zeigt sich dabei dann oft die Kommunikation in den digitalen Medien. Aus diesem Grund bin ich längst nicht mehr geneigt, sie „soziale Medien“ zu nennen. Eher im Gegenteil. Die weitgehende Anonymität des Digitalen macht es wohl besonders leicht, „niedrigste Gefühle“ sehr anschaulich und natürlich mit hoher Breitenwirkung viral zu verbreiten. CyberMobbing und DigitalStalking sind da für mich krasse Beispiele, vor allem wohl unter jungen Leuten. Aber auch die HassPostings gegenüber Akteuren des politischen Lebens, wirklich schlimm.

Musik 1

Hass und mangelndes Mitgefühl

Ich sehe allerdings auch die direktere Kommunikation infiziert und betroffen, vor allem in öffentlichen Räumen: in Fußgängerzonen und Parks, wo vermehrt verbale bis handgreifliche Übergriffe passieren; beim Einkaufen und besonders im Straßenverkehr. Und immer wieder höre ich von gewaltsamen Angriffen auf Politiker oder auch auf Rettungskräfte. Zornig heiße Emotionen, wütende Empfindlichkeit, niedrige Hemmschwelle, überhöhte Reizbarkeit. Ein Anstieg des gesellschaftlichen Pegels von Frustration und Aggression, der auch wissenschaftlich belegt werden kann. (Quelle 1)

Gleichzeitig zeigt sich dabei oft ein erstaunlicher Mangel an Empathie und Mitgefühl für andere überhaupt, erst recht gegenüber den Opfern. Ungerührt und eiskalt! So z.B. meine Wahrnehmung auch bei zunehmender Gewaltbereitschaft unter Kindern und Jugendlichen.

Zur deutlich unterkühlten Kommunikation gehört für mich auch, dass man oft nur unfreundliche oder überhaupt keine Antworten bekommt, wenn man Kontakt sucht, Nachfragen hat oder Hilfe braucht. Uns ist es persönlich in letzter Zeit mit LokalpolitikerInnen, mit Zeitungsredaktionen, aber auch mit Handwerkern und Ärzten so ergangen. Und ich höre von anderen, wir sind da keine Einzelfälle…

Ich möchte unseren Sonntagmorgen nun allerdings nicht weiter mit schlechten Nachrichten überschatten. Und eigentlich bin ich überhaupt kein Typ für massiven Kulturpessimismus. Ja, ich beklage diesen „sozialen Klimawandel“ mit „HassTsunamis“ und „emotionaler Eiszeit“. Aber ich möchte auch gerne etwas dagegensetzen!

Musik 2

Freundlich sein…

Ich sage hier mal ein großes Dankeschön an alle, die in ihrem Denken und Handeln weiter für die klassischen Werte eines sozialen Klimas im Zwischenmenschlichen einstehen: zum Beispiel für Höflichkeit oder Geduld und Rücksicht und die Bereitschaft zu deeskalieren. Auch mal zurückzustecken oder einfach nur - freundlich zu sein…

Der große soziale Kämpfer und politische Dichter, Bertolt Brecht, hat in seinem berühmten „Gedicht an die Nachgeboren“ schon in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts für gesellschaftliche Debatten mehr Freundlichkeit angemahnt. Ich zitiere: „Dabei wissen wir ja: Auch der Hass gegen die Niedrigkeit verzerrt die Züge. Auch der Zorn über das Unrecht macht die Stimme heiser. Ach, wir, die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit, konnten selber nicht freundlich sein.“ (Quelle 2)

Und sogar noch etwas früher als Brecht formuliert der Schweizer Schriftsteller Robert Walser die Freundlichkeit als ein geradezu paradiesisches Moment menschlichen Zusammenlebens: „Freundlich sind dort die Menschen. Sie haben das schöne Bedürfnis, einander zu fragen, ob sie einander unterstützen können. Sie gehen nicht gleichgültig aneinander vorbei, aber ebenso wenig belästigen sie sich. Liebevoll sind sie, aber sie sind nicht neugierig. Sie nähern sich einander, aber sie quälen sich nicht. Wer dort unglücklich ist, ist es nicht lange, und wer sich dort wohl fühlt, ist dafür nicht übermütig.“ (Quelle 3)

Fürsorge, Sanftmut, Empathie

Um mein Werben für mehr Freundlichkeit nicht nur literarisch und im letzten Jahrhundert anzusiedeln, kehre ich noch einmal zum – durchaus auch meteorologischen – Klimastreit der Gegenwart zurück: Die ÖkoBewegung „Fridays for future“ hat ihren UmweltAktivismus inzwischen so radikalisiert, dass sie sich dafür gesellschaftlich mehr Anfeindung als Zustimmung einhandelt, auch viel Hass. Eine der zentralen Gestalten dieser Bewegung ist Luisa Neubauer. Vor zwei Jahren hat sie im Berliner Dom eine Fastenpredigt gehalten. Sie lud dazu ein, dass wir alle aus Sorge und Sorgen mehr „Fürsorge“ werden lassen, für einander und für die Welt. Und dass wir empathisch bleiben. Ich nenne das mal „sozial wohltemperiert“ zwischen Überhitzung und Unterkühlung. In diesem Herbst hat sie für diese Predigt, aber auch für ihren Gesamteinsatz den Ökumenischen Predigtpreis zugesprochen bekommen: Sie setze sich umfassend für Kraft, für Hoffnung und Mut ein. Nun hat sie sich in einem beachtenswerten Interview mit der „Zeit“ von Greta Thunbergs problematischen Äußerungen zum Nahostkonflikt abgrenzt. Sie plädiert dort für eine „nuancenreiche Diskussionskultur“ insgesamt und vor allem dafür, sich die Sanftmut zu bewahren, damit man nicht verhärtet… (Quelle 4)

Was das mit mir macht? Ich will jetzt den ganzen Schmerz über den „sozialen Klimawandel“ in meiner Seele zusammennehmen und ihn verwandeln in die Kraft, trotzdem oder gerade deswegen, selbst freundlich zu bleiben und sanftmütig. Ich will mich freuen, dass mein Herz gottseidank nie zum Hass neigte. Aber den Anflug von Bitterkeit, den muss ich noch besiegen. Schön, wenn das möglichst viele Menschen versuchen. Da können wir einander bestärken.

Gegen jede aggressive Überhitzung wie unterkühlte Ignoranz warmherzig und mit nüchternem Verstand die Probleme bekämpfen! Da werde ich jetzt noch aktiver mitwirken.

Schönen Sonntag!

Musik 3

Quelle 1:https://www.ardmediathek.de/video/alles-wissen/haben-aggression-und-gewalt-in-der-gesellschaft-zugenommen/hr-fernsehen/Y3JpZDovL2hyLW9ubGluZS8xODY1OTE

Quelle 2:https://www.lyrikline.org/de/gedichte/die-nachgeborenen-740

Quelle 3:https://literarischermonat.ch/phantasieren/#

Quelle 4:https://www.zeit.de/zeit-magazin/leben/2023-10/luisa-neubauer-greta-thunberg-israel-gazastreifen/komplettansicht)

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