Ihr Suchbegriff
Beitrag anhören:
Decke über den Kopf oder: Eskapismus
Bild: Pixabay

Decke über den Kopf oder: Eskapismus

Beate Hirt
Ein Beitrag von Beate Hirt, Senderbeauftragte der katholischen Kirche beim hr, Frankfurt
Beitrag anhören:

Die Decke über den Kopf ziehen, nicht aufs Handy gucken, einfach weiterschlafen: Den Impuls hab ich jetzt morgens öfter. Ich war schon immer ein Morgenmuffel. Aber im Moment fällt es mir besonders schwer, mich aus den Träumen und aus der Bettdecke zu schälen und mich der Wirklichkeit zu stellen. Lieber möchte ich dieser Welt entfliehen und abtauchen in eine andere Welt. Eskapismus am Morgen gegen Kummer und Sorgen.

Das tut mir nicht gut

Ich hab dabei aber auch gleich ein schlechtes Gewissen: Natürlich soll und will ich mich dieser Welt stellen. Erst recht übrigens als religiöser Mensch, als Christin. Gläubigen Menschen wird ja immer wieder Eskapismus vorgeworfen: Wir flüchten uns angeblich in eine andere, jenseitige Welt oder vertrösten auf den Himmel, um uns nicht mit der diesseitigen Welt abgeben zu müssen. Eigentlich bin ich aber ganz und gar kein eskapistischer Mensch. Ich will die Welt verbessern, manchmal bin ich dabei sogar ziemlich nervig und unnachgiebig.

Aber in diesen Wochen gerade, da möcht auch ich oft der Welt einfach nur entfliehen. Es ist zu viel, was gerade passiert: Klima-Krise, Corona-Krise und jetzt auch noch der Krieg in der Ukraine. Die vielen schlechten Nachrichten und die furchtbaren Bilder sind kaum zu ertragen. Ich merke: Ich kann mich nicht ständig mit dieser Welt beschäftigen. Das tut mir nicht gut, das macht mich verrückt. Und wenn ich mich mit anderen unterhalte, hab ich den Eindruck: Das geht gerade vielen so.

Fliehe in eine andere Welt...

Also: Wie viel Eskapismus, wie viel Weltflucht dürfen wir uns gönnen? Ich habe damit angefangen, das Handy ganz konsequent von meinem Nachtisch fern zu halten. Damit es nicht das erste ist, was ich zur Hand nehme, wenn ich nachts wach werde oder morgens der Wecker klingelt. Und abends schau ich jetzt nicht mehr jeden Brennpunkt zum Krieg und die Spätnachrichten vor dem Schlafengehen.

Stattdessen flieh ich wirklich in eine andere Welt: Ich höre mittags beim Kochen meinen Lieblings-Podcast über Bücher in der ARD Audiothek. Oder klicke auf spannende Gespräche mit einer Popsängerin oder einem Pinguinforscher. Am Nachmittag lege ich mir manchmal für eine Viertelstunde Johann Sebastian Bach auf und spüre, wie mich seine Musik beruhigt. Abends vor dem Einschlafen lese ich Bücher, die nichts mit Krieg oder Pandemie zu tun haben. Und ich bete noch regelmäßiger als sonst.

Ich bekomme dadurch Kraft

In gewisser Weise stimmt es natürlich, dass religiöse Menschen zum Eskapismus neigen: Gebete, Meditationen, die führen erst einmal weg aus dieser Welt. Sie bringen mich auf Distanz zum Alltäglichen und Diesseitigen. Aber ich mache die Erfahrung: Ich brauche diese Distanz und diese kleinen Fluchten. Und es tut mir gut, mich mit Gott zu verbinden, mit einer transzendenten Kraft. Es macht mich ruhiger und ausgeglichener, gerade in diesen unruhigen Zeiten. Und ich bekomme dadurch die Kraft, mich wieder in diese Welt zu werfen. An ihr zu arbeiten, sie zu ändern und zu verbessern.

Auch morgens unter meiner Bettdecke spreche ich oft ein erstes Gebet. Gar nicht lang, eher ein Stoßgebet: Lieber Gott, gib mir die Kraft, aufzustehen und hilf mir und allen Menschen durch diesen Tag. Amen.

 

 

 

 

 

Weitere ThemenDas könnte Sie auch interessieren