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"Macht euch die Erde untertan!" Plädoyer für eine neue Schöpfungstheologie
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"Macht euch die Erde untertan!" Plädoyer für eine neue Schöpfungstheologie

Dr. Matthias Viertel
Ein Beitrag von Dr. Matthias Viertel, Evangelischer Pfarrer, Kassel
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Sprecher der Zitate: Bastian Korff

 

Am Anfang der Bibel steht die Erzählung, wie Gott die Welt erschaffen hat. Dieser Text wirkt bis heute nach. Er hatte Einfluss darauf, wie Menschen mit der Natur, mit den Tieren, mit dem Klima umgehen. Darum ist es wichtig, sich die biblische Schöpfungsgeschichte noch einmal genauer anzuschauen. In der Bibel steht:

"Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde"

„Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über die ganze Erde und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht. Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau.“

Und dann segnet Gott die Menschen und sagt zu ihnen:

„Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht.“ (1. Mose 1,26-28)

"Macht euch die Erde untertan!"

„Macht euch die Erde untertan!“ Dieser Auftrag führte dazu, dass sich der Mensch als die Krone der Schöpfung verstanden hat. Und das ist nicht ohne Folgen geblieben. „Mehrt euch, füllt die Erde, herrscht!“ Das haben wir Menschen nur allzu wörtlich genommen. Immer deutlicher zeigen sich die Folgen eines ungehemmten Wachstums.

"Mehret euch!" Das war in frühen Zeiten Überlebensstrategie

Rund 7,9 Milliarden Menschen zählt die Bevölkerung der Welt aktuell. Zur Geburt Jesu, als Maria und Josef zur Volkszählung nach Bethlehem zogen, waren es lediglich um die 300 Millionen.[i] Noch früher, also als die biblische Schöpfungsgeschichte entstanden ist, waren es noch weniger. Die Probleme damals waren ganz andere. Wenige Menschen mussten in einer bedrohlichen Umwelt bestehen. „Mehret euch! Macht euch die Erde untertan!“ Das war eine Überlebensstrategie. Nur unter diesen Umständen wird der Auftrag verständlich.

Was haben wir Menschen aus der Schöpfung Gottes gemacht?

Aber welchen Sinn ergibt die Schöpfungsgeschichte heute noch? Die Menschen machen sich hemmungslos breit und vernichten immer mehr anderes Leben. Sie herrschen über die Tiere, indem sie sie ausrotten. Alle Probleme, die daraus folgen, die Umweltzerstörung, die Klimakrise, die Ressourcenknappheit, alles das deutet eher darauf hin, dass wir eine neue Schöpfungstheologie brauchen. Ein neues Verständnis für die Geschichte von der Entstehung der Welt, die die Verantwortung übernimmt für das, was wir Menschen aus der Schöpfung Gottes gemacht haben.

Musik: J. S. Bach: Recitativo Kantate BWV 18 „Gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt“  

Schon Martin Luther hat sich über die Sorglosigkeit mancher Zeitgenossen empört

Die Kritik an der Art und Weise, wie wir Menschen mit unserer Umwelt umgehen, ist gar nicht so neu. Auch die Kirche hat sie wiederholt formuliert. Schon Martin Luther hat sich über die Sorglosigkeit empört, mit der manche seiner Zeitgenossen mit der Schöpfung Gottes umgingen. Sie hätten sich so an die Natur gewöhnt wie ein altes Haus an den stinkenden Rauch, schreibt Luther, und führt dann wörtlich aus:

Sie „gebrauchen sie und wühlen darin wie eine Sau im Hafersack. … Ist‘s nicht ein verdrießlich Ding um die verfluchte Undankbarkeit und Blindheit der Menschen, die Gott mit so reichen großen Wundertaten überschüttet? Sie aber sehen derselben keine an noch danken sie dafür, viel weniger verwundern und freuen sie sich derselben.“[ii]

Martin Luther war aber noch lange kein Umweltaktivist

Der Reformator Martin Luther findet hier - wie gewohnt - recht derbe Worte. Er war deswegen noch lange kein Umweltaktivist. Zwar empörte er sich über die Macht der Gewohnheit, die jeden Respekt über das Wunder der Schöpfung beiseite fegt. Aber er machte sich keine Sorgen um die Zukunft der Natur, nicht darüber, dass sie einmal als Grundfeste gefährdet sein könnte. Das war im 16. Jahrhundert noch nicht absehbar. Und auch eine grundsätzliche Kritik an der biblischen Schöpfungslehre mit ihrem Auftrag, sich die Erde untertan zu machen, hatte er nicht im Blick. Für Luther stand es fest: Gott hat die Menschen als Krone der Schöpfung geschaffen. Luther verlangte allenfalls, dass die Krone pfleglich mit Untertanen umgehen muss.

Ist der biblische Schöpfungstext vielleicht selbst für die ökologische Krise verantwortlich?

Bei dieser Kritik an der Auslegung der Schöpfungsgeschichte ist es lange geblieben. Erst in jüngster Zeit kam die Frage auf, ob der biblische Schöpfungstext nicht selbst für die ökologische Krise verantwortlich sein könnte.

Zwar werden dort auch die Tiere von Gott gesegnet, und auch sie sollen sich vermehren und die Erde füllen. Aber nur der Mensch ist als Ebenbild Gottes geschaffen. Nur er soll über das walten, was ihn umgibt. Und wenn die biblische Geschichte ihn ausdrücklich zum Herrscher ernennt, kann man ihr zumindest eine Mitverantwortung an der Entwicklung in die ökologische Krise nicht absprechen. Dann müsste die Schöpfungsgeschichte selbst als Problem betrachtet werden und nicht nur ihre Auslegung.

Der deutsche Schriftsteller und Umweltaktivist Carl Amery kritisierte schon vor 50 Jahren die Kirche und den Umgang mit der Schöpfung

Vor 50 Jahren hat der deutsche Schriftsteller und Umweltaktivist Carl Amery die Kirche kritisiert. Er meinte, die Kirche mit ihrer Theologie habe zur Umweltzerstörung beigetragen. Die biblische Schöpfungsgeschichte sei sozusagen die Urquelle dafür, dass die Natur zu einer Sache degradiert worden ist, die wir nach Belieben benutzen. Damals, 1972, sahen nur wenige die Probleme heraufkommen, die wir heute mit der Erderwärmung, mit der Verknappung der Ressourcen und der Zerstörung des Klimas haben. Aber Carl Amery, der mit bürgerlichen Namen Christian Mayer heißt, gehörte zu den weitsichtigen Warnern. Er schrieb damals:

„Der Mensch ist sicher, das heißt, er ist von Gott versichert … Er braucht keine Furcht zu haben, dass die Ressourcen, die der Schöpfer ihm alleine zur Verfügung stellt, sich erschöpfen könnten. Seiner Arbeit, das heißt der Ausbeutung der Biosphäre zugunsten einer einzigen Spezies, sind lediglich die Grenzen des eigenen Vermögens gesetzt ... Niemals wird es an Ackerland mangeln, nie wird sich der Boden erschöpfen, irgendwo in der Biosphäre wartet der jungfräuliche Krume, Saat und Ernte werden weitergehen.“[iii] 

Die Schöpfungsgeschichte ein Freibrief für die Ausbeutung von Natur und Umwelt?

Die Kritik Amerys ist nicht einfach von der Hand zu weisen. Tatsächlich hat das Bewusstsein, der Mensch dürfe sich als Krone der Schöpfung über die Natur erheben, zur Ausbeutung der Umwelt geführt. Was mir untertan ist, darüber kann ich bestimmen. Diese Mentalität wurde zum Antrieb des technischen Fortschritts. Und der wiederum ist mitverantwortlich dafür, dass Pflanzen, Tiere, Bodenschätze, ja sogar Wasser und Luft wie Sachen behandelt werden, die ausschließlich zu unserem Wohlergehen da sind.

Wenn der biblische Schöpfungsbericht so verstanden wird, dann trägt das zum zerstörerischen Verhalten gegen die Natur bei. Dann brauchen wir tatsächlich eine neue Formulierung der Schöpfungstheologie.

Musik: Die Prinzen, „Krone der Schöpfung“ (1. Strophe) 

Der Ökumenische Rat der Kirchen hat in einer Erklärung die Verknüpfung von Schuld und Verantwortung hervorgehoben

Wir brauchen eine neue Schöpfungstheologie. Nicht nur wegen der Kritik, wie sie unter anderen vom Carl Amery formuliert worden ist. Auch die Kirchen selbst haben inzwischen ihre ökologische Schuld bekundet. So hat der Ökumenische Rat der Kirchen in einer Erklärung die Verknüpfung von Schuld und Verantwortung hervorgehoben.[iv]

Allerdings wird darin vor allem jene Schuld ausgesprochen, die durch ungerechte Verteilung der Ressourcen entstanden ist und durch den gewaltigen Energiebedarf der Industrienationen. Die Frage, inwieweit die biblische Theologie selbst den Grundstein für die neuzeitlichen Krisen gelegt hat, bleibt dabei weitgehend offen. Und ganz so eindeutig ist die Lage dabei auch nicht.

In der Bibel steht aber auch, dass der Mensch pfleglich mit der Natur umgehen soll

Denn in der Bibel gibt es einige Hinweise, dass die Menschen pfleglich mit der Natur umgehen sollen. Wenn man sich den Text der Schöpfungsgeschichte genau anschaut, fällt auf, wie sensibel dort der Umgang mit der Natur geschildert wird. Wörtlich heißt es zum Beispiel über die Nahrung für die Menschen:

„Und Gott sprach: Sehet da, ich habe euch gegeben alle Pflanzen, die Samen bringen, auf der ganzen Erde, und alle Bäume mit Früchten, die Samen bringen, zu eurer Speise.“

Das ist die eine Seite: Kein Wort über Tiere als Nahrungsmittel und erst recht kein Hinweis, der zu Massentierhaltung, zu Artensterben und Klimavergiftung führt. Auf der anderen Seite hat die Formulierung der Schöpfungsgeschichte doch dazu beigetragen, dass die Menschen die Schöpfung eben nicht wie eine Gemeinschaft von Mitgeschöpfen behandeln, sondern wie ein Warenlager. Ein Warenlager, in dem Tiere zu Konsumgütern werden, Pflanzen zu Dingen und Luft wie Erde als Rohstoffe benutzt werden.

Musik: Die Prinzen, Krone der Schöpfung (2. Strophe)

Die These vom Menschen als Krone der Schöpfung hat sich verselbstständigt

Schon früh hat sich die These vom Menschen als Krone der Schöpfung verselbstständigt. Herausgekommen ist dabei eine Gegenüberstellung von Natur und Kultur, von Mensch und Tier, bei der es eindeutig scheint, wer herrscht und wer beherrscht wird. Der biblische Text von der Schöpfung besagt nicht, Gott selbst habe angeordnet, dass die Menschen die Natur ausbeuten sollen. Aber Menschen haben das lange so verstanden. Es ist also weniger der biblische Schöpfungsbericht als vielmehr seine Wirkungsgeschichte, deren Folgen wir heute auszubaden haben.

Das anthropozentrische Weltbild muss sich ändern

Zwei Aspekte stehen dabei im Vordergrund, die in einer Korrektur der Schöpfungslehre bedacht werden müssten. Zum einen das anthropozentrische Weltbild, also die Vorstellung, alles drehe sich um den Menschen. Zum anderen die Instrumentalisierung der Vernunft.

Das anthropozentrische Weltbild folgt der These, der Mensch sei als Ebenbild Gottes geschaffen und stellt ihn damit über das Netzwerk der Natur. Damit wird verdeckt, wie sehr alles Leben auf Erden nur in gegenseitiger Abhängigkeit bestehen kann. Das Überleben der Menschheit hängt eben auch vom Wohlergehen der Tiere und Pflanzen ab und davon, wie wir miteinander statt gegeneinander existieren.

Die Kirchen sind zu Verbündeten bei der Industrialisierung der Welt geworden

Nicht weniger problematisch ist die Instrumentalisierung der Vernunft. Weil die Kirchen in der Zeit nach der Aufklärung vor allem im Sinn hatten, die Vereinbarkeit des Glaubens mit den damals neuen Naturwissenschaften zu beweisen, haben sie unmerklich ein Weltbild mitgeformt, das technisch ausgerichtet ist. Die Kirchen sind zu Verbündeten bei der Industrialisierung der Welt geworden.

Die Würde der anderen Lebewesen, die Würde der ganzen Schöpfung muss wieder hergestellt werden

Beides, die Stellung der Menschen als Krone der Schöpfung und das technisierte Weltbild sind dafür verantwortlich, dass die anderen Geschöpfe Gottes immer weiter an den Rand gedrängt wurden. Zu oft ignorieren Menschen, dass ihre Würde eben auch die Würde der anderen Lebewesen, ja die Würde der ganzen Schöpfung voraussetzt. Das fängt bei dem an, was ich esse, und geht bis zu der Luft, die ich atme. Wir brauchen tatsächlich eine Korrektur der Schöpfungslehre. Wir brauchen eine Schöpfungslehre, die auf Wertschätzung aufbaut und allem, was auf Erden lebt, mit gleichem Respekt begegnet.

Musik: Edward Grieg, Varen (Last Spring)

Wir brauchen ein neues Verständnis dafür, was die Bibel mit Schöpfung meint

Ich meine: Wir brauchen ein neues Verständnis dafür, was die Bibel mit Schöpfung meint. Wie kann das aussehen? Und was bedeutet das für mich und mein Verhalten? Im Alten Testament gibt es eine Geschichte, die dabei helfen kann, diese Fragen zu beantworten. Sie steht im 4. Buch Mose und erzählt von Bileam, einem Propheten.

Bileam und die Eselin

Bileam befindet sich auf einem Weg, den Gott nicht gutheißen kann. Er ist unterwegs auf seiner Eselin. Während er so auf dem Weg durch die Wildnis dahintrabt, stockt das Tier plötzlich, gleich dreimal, und es weigert sich strikt weiterzugehen. In der Bibel steht: Die Eselin sieht den Engel Gottes, der den Weg versperrt. Der Prophet ist blind dafür, er erkennt die göttlichen Zeichen nicht. Er begreift nicht, dass er sich auf dem falschen Weg befindet. Stattdessen schlägt er die Eselin, um sie weiter dahin zu treiben, wo er hin will. Beim dritten Mal lässt Gott die Eselin sprechen. „Was habe ich dir getan, dass du mich schon dreimal geschlagen hast?“, fragt das Tier empört. Erst das öffnet dem erschrockenen Propheten die Augen. Erst als das Tier zu sprechen beginnt, korrigiert er endlich die Richtung. (4. Mose 22,21-34)

Eine Geschichte gegen Tierquälerei

In der jüdischen Tradition dient die Erzählung von Bileam dazu, jede Art der Tierquälerei zu verurteilen. Der Dialog des Propheten mit der sprechenden Eselin zeigt aber auch, wie blind ein Mensch sein kann, wenn er sich über seine Umwelt erhebt und alles seinem Willen untertan machen will. Der Prophet erscheint arrogant, weil er die Zeichen der Natur nicht versteht und keinerlei Bereitschaft zeigt, einen Dialog mit seinen Mitgeschöpfen zu führen.

Vertauschte Rollen

In dieser Geschichte der Bibel bekommt das Tier eine eigene Stimme. Und die Rollen sind vertauscht. Die Eselin ist hellsichtig, der Prophet ist störrisch. Die Eselin erinnert ihren Reiter: „Ich trage dich schon seit vielen Jahren. Wir gehören doch zusammen.“ Mensch und Tier, nicht als dualistische Gegenüberstellung. Hier der Mensch, der herrscht, und dort die Lebewesen, die benutzt werden als Nahrungsquelle oder Arbeitskraft. Sondern: Beide sind aufeinander angewiesen. Und der Mensch ist gut beraten, auf sein Mitgeschöpf zu hören, aufmerksam zu sein auf die Zeichen der Lebewesen um ihn herum.

Eine neue Interpretation der Schöpfungsgeschichte ist wichtig

Wenn ich bereit bin, so mit der Natur zu kommunizieren wie Bileam mit seiner Eselin, gewinne ich eine Perspektive, die Krisen unserer gegenwärtigen Welt zu verstehen und anzugehen, wo ich es kann. Eine neue Interpretation der Schöpfungsgeschichte ist wichtig, eine Erzählung, die von dem Respekt vor allem Lebendigen geprägt ist. Ein Verständnis der Schöpfung, das jede Untertänigkeit vermeidet, das keine kategorische Spaltung zwischen den Menschen hier und der Natur dort zulässt. Ein Verständnis von der Schöpfung, das nicht allein den Menschen im Mittelpunkt sieht. Immerhin heißt es am Ende der Schöpfungsgeschichte: „Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Und siehe, es war sehr gut!“ Damit ist nicht nur der Mensch gemeint, sondern die ganze Natur in ihrer Schönheit.

Musik: Johann Sebastian Bach: Sinfonia Kantate BWV 18, „Gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt“

 


[i] Universität Kiel: Prähistorische Demographie
  (https://www.uni-kiel.de/de/universitaet/detailansicht/news/002- praehistorische-
   demographie).

[ii] Erwin Mühlhaupt, Luthers Psalmenauslegung. Drei Band III Göttingen 1959, S.270.

[iii] Carl Amery, Das Ende der Vorsehung. Rowohlt Taschenbuch Verlag Hamburg 1972, S. 20.

[iv]archived.oikoumene.org/de/press-centre/news/erklaerung-zu-oeko-gerechtigkeit-und-oekologischer-schuld

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