Ukraine: Singen in der Metro-Station, während die Sirenen heulen
Im Internet kursieren derzeit Videos, die zeigen, wie Menschen in Kiew und Lwiw in die U-Bahn-Stationen geflüchtet sind. Die Videos geben einen Eindruck von dieser schweren Situation. Auf einigen sind Menschen zu sehen. Sie singen Lieder und gehen damit gegen die Angst an.
Ein ukrainisches Frühlingslied
Ein Lied, das dabei immer wieder zu hören ist, heißt Вербова дощечка. (Verbova doshchechka), auf Deutsch: Das Weidenholz. Es ist ein altes Volkslied. Früher wurde es in der Ukraine zum Frühlingsfest gesungen. Inhaltlich geht es dabei um die Liebe und um die Hoffnung, die von ihr ausgeht. Im Text heißt es:
"Das Weidenholz bei meiner kleinen Brücke, auf dem Feld liegt es.
Wann wird meine Liebe vorbeikommen? Was wird er mir bringen?"
Ein Liebeslied, während Raketen einschlagen?
Im ersten Moment habe ich mich darüber gewundert: ein Liebeslied, während oben Raketen einschlagen? Würde ich dann nicht eher etwas singen, das die Not ausdrückt? Einen Choral, der Gott um Hilfe und um Frieden bittet?
Aber letztlich bin ich mir nicht sicher, welches Lied ich anstimmen würde, wenn ich in so einer Lage wäre. Vielleicht hilft dann gerade ein Lied, das von der Liebe schwärmt. Das verspricht Zukunft, vermittelt das Gefühl von Geborgenheit und wirkt beruhigend. Es lässt die Hoffnung wachsen.
Beim Singen fühlt man sich nicht mehr als Opfer
Und noch etwas Anderes habe ich bei diesen Videos gemerkt: Das Singen bietet tatsächlich eine Chance zur Rettung der Menschlichkeit. Für die Menschen in den U-Bahn-Stationen von Kiew und Lwiw ist das wichtig: Beim Singen fühlen sie sich nicht mehr als Opfer, es entlastet sie.
Wenn sie von Brücken aus Weidenholz singen, von der Liebe und dem Frühling, kann wenigstens für einen Moment die Angst vertrieben werden. In der Musik wird Menschlichkeit spürbar und die Hoffnung auf eine normale Zukunft.
