Der Garten und die Geduld
Von meiner Mansardenwohnung aus schaue ich in den großen Garten des Nachbarhauses. Viele Wochen im Frühling ist dort ein Ehepaar dabei gewesen, den Boden zu bereiten, zu säen, Beete anzulegen. Sie haben auf den Knien gewerkelt, mit gekrümmtem Rücken, ihre Hände waren oft ganz schön übel zugerichtet. Aber: Obwohl sie schon seit vielen Wochen eifrig bei der Sache gewesen sind, blieb es lange karg. Für mich als Zuschauerin ist das Warten mindestens genauso spannend gewesen, wie für die beiden dort unten.
Zeit geben, damit etwas Schönes, Gutes reifen kann
So ein Garten spannt ganz schön auf die Folter. Anders gesagt: So ein Garten lehrt uns Geduld, lehrt uns das Warten, bringt nicht sofort Erfolg nach erster Mühe. Wir sind es heute gewohnt, auf Knopfdruck, über das Internet uns alles sofort besorgen zu können, ganz schnell das zu bekommen, was man sucht. Wir haben das Warten fast schon verlernt. Haben verlernt, reifen zu lassen, Zeit zu geben, damit etwas Schönes, Gutes, Sinnvolles werden kann.
Geduld wird belohnt
Wer im Garten sät, der wartet lange noch auf Belohnung. Aber er kann auch Vorfreude und Staunen auskosten. Das Leben ist nicht an ihm vorbei gehuscht; in ihm reift ein Gefühl für Werden und Vergehen, auch für das Großartige des Lebens überhaupt.
Die kleinen bunten Wunder dort unten
Mittlerweile jedenfalls hat Warten und Hoffen ein Ende: Ich schaue von meinem Mansardenfenster hinunter und staune: es grünt! Die Farben rot, gelb und orange leuchten zu mir herauf. Ich freue mich über die kleinen bunten Wunder dort unten. Und denke mit einem alten Psalmwort: „Ja, Gott, staunenswert sind deine Werke. Mit Weisheit hast du sie alle gemacht.“ (Psalm 104) – und ich setze hinzu: „mit viel Geduld!“