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Die Liebe kann den Tod besiegen
Bild: pixabay

Die Liebe kann den Tod besiegen

Dr. Paul Lang
Ein Beitrag von Dr. Paul Lang, Diakon und Lehrer für Latein, Musik und Religion in Amöneburg
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November: Das Leben vergeht, Kälte und Dunkelheit bestimmen das Bild.

November. Die Herbstwinde haben inzwischen das meiste Laub von den Bäumen geweht. Die Sonne steht tief am Horizont. Vorausgesetzt, sie schafft es, sich gegen Nebel und Regenwolken durchzusetzen. Dann aber strahlt alles in einem merkwürdigen, besonderen Licht. Die letzten Blätter in den Bäumen, auf den Wiesen und der Straße zaubern eine unerwartete, fast unwirkliche Farbenfülle herbei.

November. Bei allen farbigen Überraschungen stehen die Zeichen der Natur auf Tod. Ein eher trübes Gesamtbild. Der Weg zum Friedhof passt zu diesem Monat. Mit Allerheiligen und Allerseelen hat er begonnen. Heute ist Volkstrauertag. Auf den Gräbern stehen winterharte Eriken und Moose. Am Abend flackern rote Grablichte. Friedhof und Gräber. Was Menschen über das Sterben und den Tod denken, spiegelt sich wieder in den Bestattungsformen und der Grabgestaltung. Beides wandelt sich.

Von den frühen Christen berichten Quellen, dass sie eifrig bemüht waren, allen - auch Nichtchristen - ein angemessenes Begräbnis zu vermitteln. In der Erwartung der bald bevorstehenden Rückkehr Christi war für sie die Erdbestattung bevorzugte Begräbnisart. In einer Metropole von der Größe Roms wurden dazu großflächige unterirdischen Grabstätten angelegt. Katakomben nennen wir diese unterirdischen Friedhöfe. Sie erstrecken sich vor den Toren Roms in meist mehreren Ebenen über etliche Kilometer. Allein 20 Kilometer messen etwa die Gänge der "Catacombe di San Callisto" an der Via Appia, der berühmtesten der insgesamt mehr als 60 Katakomben in Rom.

Im Mittelalter und lange Zeit darüber hinaus waren in unserem Raum Kirchen und an sie angrenzende Kreuzgänge die bevorzugten Begräbnisorte. Aufwändig gestaltete Grabplatten zeugen heute noch davon. Sie sind oft an den Seiten aufgerichtet. Über etliche gehen auch die Füße, wenn sie am ursprünglichen Ort verblieben oder später dorthin verlegt worden sind. Wenn eine Grablege an so prominenter Stelle nicht möglich war, bestattete man auf dem unmittelbar an das Gotteshaus angrenzenden Friedhof.

Später gaben hygienische Gründe den Ausschlag, diese Begräbnisorte aufzugeben. Aus der Mitte der Städte und Dörfer wurden Friedhöfe an die Ränder der Siedlungen oder wenigstens in dünn besiedelte Bereiche verlegt. Die Lage der Gräber am Rand hat mit der Zeit auch den Blick auf das Sterben und den Tod aus dem Zentrum der Wahrnehmung gerückt und verändert.

Heute gibt es neben den Friedhöfen etliche andere Bestattungsformen. Bei einem Urnenbegräbnis liegt oft einige Zeit zwischen dem Sterben und der Trauerfeier. Die Sorge um den Aufwand der Grabpflege spielt eine Rolle, wenn anonyme Bestattungen gewünscht werden oder eine Grabstätte in einem Friedwald. Über alle Veränderungen hinweg verbindet Gräber, Friedhöfe und Bestattungsformen der Wunsch, mit dem toten Körper eines Menschen sorgsam umzugehen.

"Unsere Heimat ist im Himmel", schreibt der Apostel Paulus im Brief an die Philipper. "Von dorther erwarten wir auch Jesus Christus, den Herrn, als Retter, der unseren armseligen Leib verwandeln wird in die Gestalt seines verherrlichten Leibes." Wandlung, Metamorphose. Daran glauben Christen.

Musik: Richard Strauss - Metamorphosen - Berliner Philharmoniker unter Leitung von Herbert von Karajan

Gibt es Leben nach dem Tod, Auferstehung?

Seit Urzeiten stellen Menschen Fragen, die über sie selbst hinausweisen. Sie fragen nach dem Woher, dem Wohin und Wozu ihres Daseins. Wenn Menschen Verstorbene bestatten, geben sie damit dem Tod eine Deutung.

In Rom wird gerade das monumentale Mausoleum von Kaiser Augustus saniert. Es diente als Vorbild für viele andere Grabanlagen - etwa die römische Engelsburg. Die Engelsburg ist ursprünglich das Grabmal des Kaisers Hadrian und seiner Familie gewesen. In den riesigen zylindrischen Innenräumen befanden sich in Nischen die Urnen der Verstorbenen.

In der Wetterau haben Archäologen in einem riesigen Grabhügel am Glauberg vor etwa 25 Jahren die Bestattung eines keltischen Fürsten entdeckt. Zweieinhalb Jahrtausende ist sie alt. Hügelgräber als Begräbnisorte vergangener Kulturkreise kennen Heimatforscher und Archäologen in unserem Raum sicherlich Tausende.

Ägyptische Pyramiden erzählen eindrucksvoll, welche hohen Erwartungen an ein künftiges Leben in der anderen Welt die Menschen am Nil hatten. Wie die Form der Pyramide sich als Fingerzeig nach oben, zum Himmel lesen lässt, so ist die runde Form von Grabanlagen ein Bekenntnis zum Kreislauf des Lebens. Sie stellt den Bezug her zur Form der Sonne, dem Lauf der Gestirne. Damit wird menschliches Leben eingeordnet in kosmische Bezüge.

Römer und Griechen setzten Grabanlagen und Grabdenkmale gerne an die Ausfallstraßen ihrer Städte und Siedlungen. So konnten sie sicherstellen, dass die Verstorbenen nicht vergessen wurden.

Der Glaube an Auferstehung ist nicht auf das Christentum beschränkt. In vielen Kulturen verweisen Grabbeigaben in Form von Schmuck, Waffen, aber auch Lebensmitteln deutlich auf Vorstellungen von einem Weiterleben nach dem Tod.

"Ἄνδρες Ἀθηναῖοι! - Männer von Athen! Als ich umherging und mir eure Heiligtümer ansah, sah ich auch einen Altar mit der Aufschrift: EINEM UNBEKANNTEN GOTT. Was ihr verehrt, ohne es zu kennen, das verkünde ich euch." Als Paulus nach Athen kommt, beginnt er so eine Ansprache auf dem Areopag. Das ist der Versammlungsort der Athener Bürger gewesen.

"Einem unbekannten Gott!" Ein Altar mit einer solchen Widmung steht für den Forschergeist und die geistige Weite der antiken Griechen. Da ist es eigentlich konsequent und verständlich, dass die Athener dem christlichen Missionar Paulus aufmerksam folgen, als er weiterspricht. Er stellt ihnen Gott als Schöpfer vor und als den ganz anderen: "Keinem von uns ist er fern. Denn in ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir.“

Dann kommt Paulus auf Jesus Christus zu sprechen. Die Athener reagieren unerwartet: "Als sie von der Auferstehung der Toten hörten", so die Apostelgeschichte, "spotteten einige. Andere sagten: Darüber wollen wir dich ein andermal hören."

Was geschieht nach dem Tod? Auferstehung? Gibt es ewiges Leben? Ausgeschlossen, denken viele. Selbst die Hälfte der Christen, hat eine Umfrage vor wenigen Jahren ergeben, glaubt nicht an eine Auferstehung der Toten. "So ging Paulus aus ihrer Mitte weg. Einige aber schlossen sich ihm an." Das ist die Fortsetzung in Athen. Und bei uns? Was macht den Glauben an Auferstehung selbst Christen so unendlich schwer?

Musik: Gabriel Fauré - Pie Jesu - Aksel Rykkvin mit der Kammerphilharmonie Oslofjord

Diskurs zwischen Kirche und Welt

"Darüber wollen wir dich ein andermal hören …" Die Athener kehren Paulus den Rücken, schulterzuckend und kopfschüttelnd. Über Auferstehung reden? Ein andermal.

Dialog zwischen Kirche und Welt, Diskurs über den Glauben geschieht heute, vielleicht immer schon, bevorzugt in Schulen. Auseinandersetzung. Diskussion. Nirgends sonst stehen so unterschiedliche Fächer, Sachgruppen und Fachleute eng nebeneinander. Mathematik und Naturwissenschaft, Sprachen und Geschichte, Sport und Soziales, Musisches und Religion.

Junge Menschen stellen Fragen und suchen Antworten. Engagiert und ungeduldig oft. Sie fragen nach, sie geben sich nicht vorschnell zufrieden und auch nicht mit voreiligen Antworten.

Was ist die Botschaft des Christentums? Im Religionsunterricht formuliere ich: Ein Kerngedanke ist die Überzeugung von der Einmaligkeit jedes einzelnen Menschen. Einzigartig, liebenswert, mit Würde ausgestattet. Und zwar über den Tod hinaus! Die Auferstehung Christi ist Mitte christlichen Glaubens: Leben erschöpft sich nicht im Hier, im Jetzt. Es hat wie diese Welt eine Dimension mehr …

Die Griechen gehen kopfschüttelnd davon, als Paulus davon sprechen will. Ich kann mir vorstellen, dass Menschen heute ähnlich reagieren. Glauben an Auferstehung in Worte zu fassen, scheint mir kaum möglich. Glaube braucht Erfahrungen, den Blick hinter die Dinge, Erlebnisräume, die die Sinne schärfen und andere Zugänge zur Welt eröffnen.

In der Schule, in der ich als Schulseelsorger arbeite, haben wir in der vergangenen Woche einen "Weg-mit-den-Tränen" gestaltet. Aus der Not der Pandemie ist die Idee geboren worden. Denn Gottesdienste mit großen Gruppen sind und waren kaum möglich. Den "Tränenweg", so haben wir ihn genannt, können kleine Gruppen, Klassen und Kurse, zeitversetzt für sich gehen.

Über QR-Codes werden 5 Stationen entlang eines eineinhalb Kilometer langen Weges erschlossen. Auf dem Friedhof können zu Beginn Kerzen angesteckt werden. Dann ist Musik zu hören, später ein Text aus der Heiligen Schrift zu lesen. Eine Audiodatei lädt im Anschluss ein, bewusst auf das gefallene Laub zu achten, ein Laubblatt aufzuheben und anzuschauen. Zum abschließenden Vaterunser bringen alle dieses Blatt, ihr Blatt in die Kirche.

Das Blatt in meinen Händen ist einzigartig. Selbst jetzt, ohne das Grün des Frühlings und Sommers, faszinieren seine Adern, das Farbenspiel: Von Orange bis Rot und Braun enthält jedes etliche Facetten. Ein Wunder in meinen Händen. Riten machen Auferstehung erfahrbar: das Anzünden einer Kerze. Feuer, das das Wachs zum Schmelzen bringt und so Licht und Wärme entstehen lässt. Ein Popsong, dessen Text zum Nachdenken anregt, vor allem aber Musik: etwas Schönes, Ästhetik, die hinüberschwingen lässt in Transzendenz.

Schließlich das Gehen eines Weges selbst: Ein Bild für das menschliche Leben. Der Weg berührt Stationen, umfasst Begegnungen, unterschiedliche Phasen und Schwerpunkte. Aber er ist nicht unendlich, kein Irrweg, er führt an ein Ziel.

Ein Hymnus, ein Lobgesang aus dem Nachtgebet der Kirche, enthält eine Deutung, die zum Laubblatt passt.

Tod und Vergehen / waltet in allem, / steht über Menschen, / Pflanzen und Tieren, / Sternbild und Zeit. // Du hast ins Leben / alles gerufen, / Herr, deine Schöpfung / neigt sich zum Tode: / Hole sie heim. // Schenke im Ende / auch die Vollendung. / Nicht in die Leere / falle die Vielfalt / irdischen Seins. // Herr, deine Pläne / bleiben uns dunkel. / - Doch singen Lob wir / dir, dem dreieinen, / ewigen Gott.

Musik: Gabriel Fauré - „Sanctus“ (aus: Requiem, Op. 48 Nr. 3) - Orchestre du Capitole de Toulouse

Fra Angelicos Tür auf dem Tod - Orpheus, der liebende Sänger

In den Herbstferien war ich zu einem Besuch in Florenz. Beim Erkunden der Stadt und ihren Sehenswürdigkeiten hatte ich Glück: Am Kloster San Marco gab es keine Warteschlangen. Neugierig trat ich ein. Fast alle der ehemaligen Mönchszellen sind mit Gemälden ausgeschmückt. Ein Fresko je Raum. Bei einem war ich zunächst irritiert. Dann musste ich schmunzeln.

In einer Felsenhöhle stehen dicht gedrängt Menschen mit Heiligenscheinen. Sie tragen lange, altertümliche Gewänder. Alle streben sie dem Ausgang der Höhle zu, einer Türöffnung in der rechten Bildhälfte. Von dort kommt ihnen der auferstandene Christus entgegen; eingehüllt in einen Strahlenkranz und mit österlicher Fahne. Am Boden vor ihm aber liegt, aus den Angeln gerissen, ein Türblatt. Es stört die sonst so lichtvolle, helle Szenerie. Vor allem aber erkennt man unter der Tür eine unansehnliche Gestalt. Sie ist vom Herausreißen des Türblattes offenbar zu Boden geschmettert worden: Die wenigen Teile, die zu erkennen sind, zeigen Unansehnliches, Bedrohliches. Die Gestalt ist der Tod.

Ich stelle mir vor, wie der Maler Fra Angelico, seine Künstlerkollegen und Schüler im 15. Jahrhundert hier gewetteifert haben: Wie stellt man Szenen der christlichen Heilsgeschichte eindrücklich und anschaulich dar? Verkündigung, Kreuzigung, Grablegung. Bei der Auferstehung hat dann einer zum ersten Mal diese innovative Idee gehabt: Statt eines schweren Steines vor der Grabhöhle eine herausgerissene Tür - darunter der zerschmetterte Tod.

So recht gefallen will mir die Darstellung nicht. Irgendwie wirkt sie unbeholfen. Orthodoxe Ikonen legen ein Kreuz auf den Boden und machen es zu einer Brücke zwischen Tod und Grab und dem Leben.

Auferstehung ist anders als in San Marco, denke ich. Die Zehn Gebote mahnen nicht ohne Grund: "Du sollst dir kein Gottesbild machen und keine Darstellung von irgendetwas am Himmel, auf der Erde oder im Wasser."

Vom Ort der ersten großen christlichen Friedhöfe, den Katakomben Roms, kenne ich ein viel älteres, ganz anderes Fresco. Es versucht, Gott und Christus nicht abzubilden - und doch ins Bild zu bringen, was so schwer vorzustellen ist. In der Marcellinus-Petrus-Katakombe gibt es an prominenter Stelle die Darstellung eines jungen Mannes inmitten von Bäumen, Tieren und Pflanzen. In seiner linken Hand trägt er eine Fackel, in der rechten eine Lyra, ein antikes Saiteninstrument. Es ist Orpheus. Die antike Sage kennt ihn als großartigen Musiker: Mit seiner Musik betört er Menschen, Pflanzen und Tiere. Selbst Steine bringt er zum Erweichen, erzählt der Mythos. Da aber kommt seine Geliebte Eurydike ums Leben. Orpheus‘ Liebe zu ihr ist so groß, dass er in die Unterwelt hinabsteigt. Mit seiner von maßloser Liebe inspirierten Musik bewegt er die Herrscher des Todes, Eurydike frei zu geben.

Das ist Christus: Der, der in die Tiefen menschlicher Existenz hinabsteigt bis in den Tod. Das glauben Christen. Die Kraft, die ihn dazu bewegt, ist Liebe. Seine Liebe zu den Menschen ist so groß, dass sie den Tod überwindet. "Stark wie der Tod ist die Liebe. Ihre Gluten sind Feuergluten, gewaltige Flammen. Mächtige Wasser können die Liebe nicht löschen, Ströme schwemmen sie nicht weg." Das Hohelied der Liebe Salomos, ein biblischer Text, formuliert so. Das ist Auferstehung: Liebe, stärker als der Tod. Liebe, die keine Gräber zulässt, die die Türen zur anderen Welt aus den Angeln hebt.

Am Ende des Mythos scheitert Orpheus. Ganz anders Christus. Er ist die Liebe. Wo er ist, ist kein Tod. Auch nicht im November. Er besiegt den Tod für immer.

Musik: What a wonderful world  - George David Weiss - eingespielt von Jannis Patten (Klavier) und Leo Fischer (Saxophon), beide Universität Marburg

Musikauswahl: Schul- und Kirchenmusiker Dr. Paul Lang, Amöneburg

 

 

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