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Was finde ich gut an der anderen Kirche?
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Was finde ich gut an der anderen Kirche?

Stefan Claaß
Ein Beitrag von Stefan Claaß, Evangelischer Pfarrer und Professor, Theologisches Seminar Herborn
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"Evangelisch - katholisch: Was sie trennt und verbindet"

Reihe zum Ökumenischen Kirchentag - Teil 4: Was finde ich gut an der anderen Kirche?

Ökumenische Sonntagsgedanken von Beate Hirt, Frankfurt, und Prof. Stefan Claaß, Herborn

 

I  Offene Kirchen

Beate Hirt:
Heute geht in Frankfurt der Ökumenische Kirchentag zu Ende – und wir beide sprechen deswegen heute im ökumenischen Duo in den hr1 Sonntagsgedanken. Wir stellen uns die Frage: Was find ich gut an der anderen Kirche? Was schätz ich als Katholikin an der evangelischen Kirche? Was schätzt mein evangelischer Kollege an der katholischen Kirche?

"Offene Türen helfen mir, mein Lebensgefühl zu öffnen"

Stefan Claaß:
Mir fallen da Erfahrungen aus den letzten Monaten ein. Ich war viel wandern in Corona-Zeiten. Und habe genossen, dass eure katholischen Kirchen viel häufiger offen sind als die evangelischen. Eine Kirche zu betreten ist für mich immer eine Unterbrechung der üblichen Gedanken und Gefühle. Offene Türen helfen mir, mein Lebensgefühl zu öffnen.

Eine offene Kirche im übertragenen Sinn

Beate Hirt:
Ich find offene Kirchen auch klasse! Aber mich fasziniert an eurer evangelischen Kirche auch noch eine andere Art von Offenheit, eine offene Kirche im übertragenen Sinn: Ich finde, sie ist offener für die Lebenswirklichkeit der Menschen heute! Zum Beispiel: offen für Menschen, die in ihrer Ehe gescheitert sind; offen für Menschen, die schwul oder lesbisch leben. Ihr habt ja nach längerem Ringen und genauerem Blick in die Bibel mit der Zeit eine neue Offenheit entwickelt – das finde ich gut! Ich hoffe und bete, dass wir das ähnlich hinbekommen, möglichst bald. Und als Frau in der katholischen Kirche erhoffe ich mir natürlich auch eine Öffnung der Ämter für Frauen.

Haltungen, Überzeugungen und Glaubenspraxis verändern sich

Stefan Claaß:
Das kann ich gut verstehen. Genau dabei helfen mir offene Kirchenräume. Besonders alte Kirchen zeigen etwas von der langen Geschichte Gottes mit uns. Menschen vor uns haben geglaubt. Menschen nach uns werden mit Gott ihren Weg gehen. Offene Kirchen zeugen für mich vom Vertrauen, dass diese Beziehung über alle Zeiten bleibt. Aber Haltungen, Überzeugungen und Glaubenspraxis verändern sich. Und das ist gut so. Wenn historische Entwicklungen wie zum Beispiel der Zölibat für allzeit gültig gehalten werden, stört mich das.

Kirchen müssen offen bleiben für Menschen und für Neues

Beate Hirt:
Ja, das geht mir auch so! Aber historisch gewachsene Dingen loszulassen, das fällt unseren beiden Kirchen manchmal schwer, hab ich den Eindruck. Wenn ich zum Beispiel an eure schwarzen Talare denke - da ist mir manch modernes, buntes Messgewand bei uns lieber. Ich glaube, wir sind uns einig: Die Kirchen müssen offen bleiben für die Menschen und für Neues.

MUSIK

II  Berührungen

Stefan Claaß:
Ich bin in der Grundschulzeit immer mit einem katholischen Nachbarsjungen morgens losgezogen. Wenn ich ihn abgeholt habe, hat seine Mutter ihm die Hand auf den Kopf gelegt und „pfüat di!“ gesagt. Das war in der Nürnberger Gegend. Ich habe um Übersetzung gebeten, weil wir zugezogen waren. „Gott behüte dich!“ sagte seine Mutter auf Hochdeutsch. Aber es war eigentlich die Geste, die mir gefiel. In der katholischen Tradition gibt es viele kleine Riten, die den Alltag kostbar machen. Weihwasser in der Kirche, mit dem ich das Kreuz schlagen kann. Das Bekreuzigen ist eine lebendige Verbindung mit der Leidensgeschichte Christi, so kann ich das als Evangelischer für mich deuten.

Viele kleine Riten, die den Alltag kostbar machen

Beate Hirt:
So ein kleines Ritual kenn ich auch von zuhause: Meine Mutter hat uns, wenn wir als Kinder aus dem Haus gegangen sind, mit Weihwasser ein Kreuz auf die Stirn gezeichnet und uns noch mal kräftig umarmt, das war ein Segen und Schutz für den Tag. Es ist für mich bis heute eine starke Erinnerung und wirkt irgendwie immer noch als Segen.

Jesus hat die Menschen immer wieder berührt

Solche Rituale haben für mich tatsächlich auch eine Verbindung zu Jesus Christus. Er hat die Menschen ja auch immer wieder berührt, Gesten waren ihm ganz wichtig, das erzählt die Bibel oft.

Die Bibel kritisch lesen

Überhaupt, die Bibel! Das fasziniert mich auch an der evangelischen Kirche: eure Verbindung zu Bibel! Ich bin immer wieder beeindruckt bis beschämt, wie gut ihr euch mit der Bibel auskennt. Ich bin froh, dass wir da von euch gelernt haben. Auch, wie wir die Bibel kritisch zu lesen haben, in ihren Entstehungszusammenhängen.

Stefan Claaß:
Das stimmt, die Bibel ist lange der Mittelpunkt im evangelischen Leben gewesen. Ich hoffe, sie bleibt es. Es gibt einfach wahnsinnig viel Interessantes darin zu entdecken, in dem sich auch unser eigenes Leben spiegelt.

Alte Zeichen neu entdeckt

In evangelischen Gottesdiensten haben wir in den letzten Jahrzehnten dafür viele Zeichen wiederentdeckt, die bei uns lange vergessen waren. Taufkerzen zum Beispiel. Die Kerze begleitet mich als sichtbares Zeichen. Taufe ist jeden Tag für mich eine Rückendeckung: Gott ist präsent in unserer oft bedrohten und schwierigen Welt. Ich gehöre zu Gottes großer Geschichte, das macht mich frei von vielen anderen Ansprüchen.

Die Taufe ist das erste und wichtigste Sakrament

Beate Hirt:
Die Taufe macht frei! Das sind auch gute Stichworte für das, was ich an eurer evangelischen Kirche schätze. Erst mal: die Bedeutung der Taufe! Ich hab den Eindruck, dass bei uns die Taufe noch etwas wichtiger genommen werden könnte. Auch als Grundlage für die Gleichheit aller Gläubigen. Die Taufe ist das erste und wichtigste Sakrament – das find ich, kommt bei euch noch stärker raus.

Die Freiheit des Christenmenschen, die Freiheit des Gewissens

Und dann ist da natürlich: die Freiheit! Die hat ja Luther damals vor 500 Jahren besonders hervorgehoben, die Freiheit des Christenmenschen, die Freiheit des Gewissens – und das hat auch was zu tun mit Befreiung von Autoritäten und von Bevormundung.

MUSIK

III  Menschen

Stefan Claaß:
Was bewundere ich an der katholischen Kirche? So hieß unsere Frage. Da muss ich jetzt unbedingt auf die für mich stärkste Antwort kommen: Es sind die konkreten Menschen, mit denen ich zu tun hatte. Ich war im Gymnasium im katholischen Religionsunterricht. Der Priester war einfach überzeugend und interessant.

Gemeindefeste ökumenisch feiern - ein Gewinn für die Menschen

Als ich selber Gemeindepfarrer war, hatte ich im Lauf der Zeit drei ganz großartige Kollegen, ausnahmslos. Sie waren geprägt von den Aufbrüchen des II Vatikanischen Konzils. Wir haben angefangen, unsere Gemeindefeste ökumenisch zu feiern. Das gab zwar auch Widerstände, aber die Kollegen waren überzeugt vom Gewinn in der Ökumene.

Mit Humor geht das Leben und die Ökumene noch besser

Beate Hirt:
Mir geht’s auch so: Es sind vor allem die Menschen, die mich an der andren Kirche faszinieren! Die mir auch guttun – gerade jetzt in Pandemie-Zeiten! Wir arbeiten im Moment in der Rundfunkarbeit noch enger ökumenisch zusammen als vorher ohnehin schon. Und das macht richtig Spaß! Wir lernen voneinander, wir nehmen uns auch mal auf den Arm wegen unserer unterschiedlichen Traditionen – mit Humor geht das Leben und die Ökumene noch besser! Mich bringt ein evangelischer Kollege immer wieder zum Lachen und zum Lächeln! Er hat eine tolle positive und gelassene Art – und das hat übrigens, glaub ich, auch wieder damit zu tun, dass ihm die Bibel Kraft gibt und dass seine Kirche in vielem offener und gelassener ist als meine katholische.

Stefan Claaß:
Ich war lange Pfarrer in Mainz. Da ist es selbstverständliche Theologie, dass Glaube ohne Humor dem Leben wenig dient.

Vorbilder und Heilige

Beate Hirt:
Für mich als Katholikin gibt’s übrigens auch evangelische Christen aus früheren Zeiten, die für mich fast so was wie Heilige sind: Dietrich Bonhoeffer z.B. Sein Buch „Widerstand und Ergebung" hab ich zum ersten Mal in einer Klosterauszeit gelesen und es hat mich tief beeindruckt, natürlich v.a. auch der Mensch dahinter!

Vom Glauben erzählen - eine gemeinsame Aufgabe

Stefan Claaß:
Ich glaube, es ist wichtig, dass wir persönlich eintreten für unseren Glauben.
Wir stehen gemeinsam vor der Herausforderung, vom Glauben zu erzählen und wie er dem Leben dient. Gut, dass wir davon unterschiedliche Geschichten erzählen.  Aber wir arbeiten an der gemeinsamen Aufgabe.

"... wir sind auch längst zusammen auf einem Weg"

Beate Hirt:
Wenn ich in der Öffentlichkeit von meinem Glauben erzähle, hat das ja ganz viel damit zu tun, woher ich komme. Und zugleich merke ich in Gesprächen wie unserem hier: Bei allen Unterschieden sind wir uns in vielem auch völlig einig. Wir können noch viel voneinander lernen, aber gleichzeitig wir sind auch längst zusammen auf einem Weg …

Stefan Claaß:
Es gibt dazu ein großartiges Lied des Mainzer Dichters Manfred Siebald.
Der Refrain heißt:
„Gut, dass wir einander haben,
gut, dass wir einander sehn,
Sorgen, Freuden, Kräfte teilen
Und auf einem Wege gehn.
Gut, dass wir nicht uns nur haben,
Dass der Kreis sich niemals schließt
Und dass Gott, von dem wir reden,
Hier in unsrer Mitte ist.“
 

Teil 1 bis 3 der Reihe zum Ökumenischen Kirchentag:

hr1 Sonntagsgedanken am Sonntag, 02.05.2021, von Stephanie Rieth, (kath.) Pastoralreferentin, Mainz-Kastel, und
Martin Vorländer, (evang.) Pfarrer, Frankfurt: Gemeinsam am Tisch Gottes

hr1 Sonntagsgedanken am Sonntag, 09.05.2021, von Anke Jarzina, (kath.) Pastoralreferentin, Wiesbaden und
Pia Baumann, Pfarrerin, Frankfurt: Mit Gott über Mauern springen – Frauen in der Kirche

hr1 Feiertagsgedanken am Donnerstag (Christi Himmelfahrt), 13.05.2021, von Claudia Rudolff, (evang.) Pfarrerin, Kassel, und Stefan Herok, (kath.) Pastoralreferent, Wiesbaden: Als Paar die Liebe Gottes sichtbar machen! Ehe und Partnerschaft aus katholischer und evangelischer Sicht

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