Entschleunigung tut gut
Vielleicht erinnern Sie sich noch daran, wie das Briefeschreiben früher war. Wenn ich vor 30 Jahren einen Liebesbrief geschrieben habe, dann verbrachte ich schon mal einen Tag mit der richtigen Formulierung. Wort für Wort schreibe ich fein säuberlich mit Füller. Dann lege ich den Brief in einen Umschlag und bringe ihn zum Briefkasten. Ab jetzt ist klar, dass es zwei drei Tage dauert, bis die Empfängerin die Post bekommt. Danach ging das Ganze umgedreht seinen Weg: Lesen, Schreiben, Einkuvertieren, Briefkasten, Postweg. Zwischen dem ersten Brief und der Antwort konnte eine Woche vergehen. Und heute? Meine Schülerinnen und Schüler nutzen SMS oder Whatsapp als Nachrichtendienste. Für das Schreiben brauchen sie wenige Sekunden. Oder sie diktieren den Text gleich als Sprachnachricht. In Sekundenschnelle ist die Botschaft auf dem Gerät des Empfängers. Der Schreiber kann sogar sehen, ob es anbekommen ist und wann es gelesen wurde. Ist der Nachrichteneingang angezeigt, beginnt das Warten auf die Antwort. War es früher völlig normal, dass die Antwort auf einen Brief Tage dauerte, empfinden heutige Nachrichtenschreiber die Dauer von drei, vier Minuten als unendlich lang. Meine Schülerinnen und Schüler berichten mir, wie nervös es sie macht, auf eine Frage nicht sofort eine Antwort zu bekommen. Die Verunsicherung wird sofort greifbar: „Mag er mich nicht mehr?“ „Keine Antwort ist bestimmt ein nein“.
Ich finde, dass die schnellen Medien unserer Zeit viele Vorteile haben. In Notsituationen kann ich Hilfe holen. Ich kann die Verspätung bei einer Verabredung ankündigen. Aber gerade deshalb darf die Schnelligkeit nicht zum Stress ausarten. Denn: Der ständige Blick aufs Handy und immerwährende Erreichbarkeit macht Stress. Der Sonntag ist so eine Möglichkeit der Auszeit. In der biblischen Schöpfungsgeschichte steht, dass Gott nach sechs Tagen Schöpfungswerk ruhte. Diese Aufforderung und Möglichkeit der Ruhe und Entschleunigung ist ganz aktuell. Auch für meine Schülerinnen und Schüler. Mit denen rede ich oft darüber, wie sie mehr Gelassenheit im Umgang mit dem Handy lernen können. Wir tauschen uns aus, wie viel Konsum und Erwartungshaltung auf schnelle Reaktion gut tut. Ja, sogar eine handyfreie Woche gab es schon an meiner Schule. Am Ende kann Schülern und Erwachsenen gut tun, den freien Sonntag auch zum Anlass zu nehmen, sich einmal die Woche vom Diktat der Digitalisierung, vom Diktat der schnellen Handykommunikation zu befreien. Auch dafür kann der Sonntag da sein.