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Die Magie der Dankbarkeit - Wie Dankbarkeit alles verwandeln kann
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Die Magie der Dankbarkeit - Wie Dankbarkeit alles verwandeln kann

Dr. Willi Temme
Ein Beitrag von Dr. Willi Temme, Evangelischer Pfarrer, Martinskirche Kassel

Kaum war das Fußballspiel abgepfiffen und kaum waren sich die überglücklichen Sieger in die Arme gefallen, da konnte man da unten in der Arena etwas erleben, was wirklich neu war. Für mich jedenfalls. Denn so etwas hatte ich auf einem Fußballfeld zuvor noch nie gesehen:
Einige der brasilianischen Spieler rannten schon bald nach Spielschluss an den Spielfeldrand. Dort zogen sie ihr Trikot beziehungsweise ihr T-Shirt glatt, und ein anderer schrieb ihnen etwas darauf mit fettem Stift und in großen Buchstaben.
Bei dem einen Spieler waren es die Namen seiner Frau und seines Kindes, und bei dem anderen Spieler war es die Auskunft 100% Jesus.

Im Augenblick ihres großen persönlichen Triumphs demonstrierten beide ihre Verbundenheit – ja vielleicht sogar ihre Abhängigkeit – von Menschen und Mächten jenseits des Fußballfelds. Sie zeigten den Millionen von Zuschauern: der Erfolg geht nicht allein auf mein eigenes Konto, sondern da waren noch andere mit beteiligt.
Und diese beiden Spieler waren nicht die einzigen, die so empfunden haben. Ein anderer, der Torschützenkönig, bedankte sich bei seinem Arzt. Und die ganze Mannschaft sah man noch vor der Siegerehrung im Kreis versammelt und mit geneigtem Haupt. Es hatte den Anschein: Gemeinsam sagen sie danke nach oben hin.

Um Dankbarkeit soll es auch gehen in dieser Morgenfeier. Und ich möchte Sie einladen, gemeinsam mit mir eine biblische Geschichte zu betrachten, die dem Phänomen Dankbarkeit auf den Grund geht und die mich fragen lässt:
Was hat es auf sich mit der Dankbarkeit? Wie wichtig ist sie? Und kann man sie vielleicht lernen? Lassen Sie uns diesen Fragen heute Morgen einmal gemeinsam nachgehen.

Dass es in der folgenden Geschichte wesentlich um die Dankbarkeit geht und darum, was Dankbarkeit bewirken kann – das wird Ihnen vielleicht gar nicht von Anfang an auffallen. Denn erst einmal wird da von einem Wunder erzählt: Jesus heilt eine Gruppe von schwerstkranken Menschen. Und was sollte es wohl an Wichtigkeit mit einer solchen Wundertat aufnehmen können? Etwa die Dankbarkeit? Aber hören sie selbst. Die Geschichte steht im Lukasevangelium im 17. Kapitel.
11 Und es begab sich, als Jesus nach Jerusalem wanderte, dass er durch das Gebiet zwischen Samarien und Galiläa zog.
12 Und als er in ein Dorf kam, begegneten ihm zehn aussätzige Männer; die standen von ferne 13 und erhoben ihre Stimme und sprachen: Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser!
14 Und da er sie sah, sprach er zu ihnen: Geht hin und zeigt euch den Priestern! Und es geschah, als sie hingingen, da wurden sie rein.
15 Einer aber unter ihnen, als er sah, dass er gesund geworden war, kehrte er um und pries Gott mit lauter Stimme 16 und fiel nieder auf sein Angesicht zu Jesu Füßen und dankte ihm. Und das war ein Samariter.
17 Jesus aber antwortete und sprach: Sind nicht die zehn rein geworden? Wo sind aber die neun? 18 Hat sich sonst keiner gefunden, der wieder umkehrte, um Gott die Ehre zu geben, als nur dieser Fremde?
19 Und er sprach zu ihm: Steh auf, geh hin; dein Glaube hat dir geholfen.

Soweit die Geschichte von der Heilung der zehn Aussätzigen. Ich möchte sie mit Ihnen einmal genauer betrachten und dem Verlauf der Geschichte folgen.
Das Hauptthema der Geschichte – sie stimmen mir sicher zu – heißt doch erst einmal Krankheit und Heilung. Es geht um zehn leprakranke Männer, die Jesus gesund macht.
Und wenn es um das Thema Krankheit und Gesundwerden geht, dann gibt es da bei uns wohl niemanden, der da nicht ein Wort mitreden könnte.
Es gibt keinen Menschen, der nicht mal krank war. Krankheit gehört zu jedem Leben dazu. Bei dem einen mehr bei dem anderen weniger. Ja, dieses Leben scheint es nur so zu geben: Als ein Leben durchwirkt mit Schmerzen und mit Krankheit, als ein Leben, das immer wieder der Heilung bedarf. Der Heilung an Körper, Geist und Seele.

In unserer Geschichte sind es leprakranke Männer, von denen die Rede ist. Ein anderer Name für diese Krankheit ist Aussatz. Das ist eine Krankheit, von der man sagen könnte: Schlimmer kann es einen nicht treffen. Zumal in der Zeit Jesu, wo Heilung so gut wie ausgeschlossen war.
Die Leprakrankheit, die es leider auch heute noch gibt (vorwiegend in armen, unterentwickelten Ländern), die Leprakrankheit bedeutet einen Befall der Haut und des Nervensystems, und sie führt dazu, dass der ganze Körper verunstaltet wird.
Ja, ein Leprakranker kann sehr entstellt aussehen. Und viele Menschen gibt es, die sich vor so einem Anblick geradezu fürchten. Vielleicht hat das damit zu tun, dass man im Bild eines solchen Kranken das Bild der eigenen körperlichen Angreifbarkeit erkennt, das Bild der eigenen Verletzlichkeit und Vergänglichkeit.
Und weil zudem auch noch tatsächlich die Leprakrankheit eine ansteckende Krankheit ist, deswegen mussten leprakranke Menschen zu allen Zeiten auch noch ertragen, dass man sie ausschloss und aus der menschlichen Gemeinschaft heraus stieß.
Und so wurde denn ihre Krankheit zum Aussatz: Denn nun waren sie Ausgesetzte und Alleingelassene. Menschen ohne Trost und Hoffnung.
Doch für unsere zehn leprakranken Männer sollte sich ihre Leidensgeschichte in überraschender Weise zum Guten wenden.

Ich glaube, wir können es uns sehr gut vorstellen, was in diesen zehn Ausgestoßenen vor sich ging, als sie hörten: Jesus kommt hier vorbei. Jesus, von dem man schon so viel Wunderbares gehört hatte.
Denn wenn auch die Krankheiten, mit denen wir zu tun haben – bei uns selber und bei Menschen, die wir lieben – wenn auch unsere Krankheiten nicht so furchterregend aussehen mögen wie der Aussatz, so kennen wir doch gleichwohl diese starke Sehnsucht nach Heilung. Wir kennen diesen tiefen Wunsch: Möge es da doch ein Mittel geben oder eine Behandlungsweise, die uns wieder gesund werden lässt! Und wenn die Zehn da rufen „Jesus, Meister, erbarm dich unser!“ – dann wissen wir genau, wovon die Rede ist.
Und wahrscheinlich sind alle die Krankheiten und Behinderungen die allerschlimmsten, in denen uns die Hoffnung verloren gegangen ist. Die Hoffnung darauf, dass es noch einmal gut werden könnte mit unserem Leben. Die Hoffnung, dass noch einmal das ganze große Leben uns ergreifen könnte und uns mit sich risse: Heraus aus unserer eigenen Dunkelheit, dahin wo es hell ist.

Hoffnung lässt nicht zuschanden werden – heißt es in der Bibel. Und in der Tat ist die Hoffnung auf einen neuen starken Lebensimpuls schon der Beginn für ein neues, besseres Leben.
Und für die Zehn aus unserer Geschichte wird aus der Hoffnung Erfüllung.
Jesus geht vorbei. Und da nun aber schnell die Stimmen erhoben und nicht nur zaghaft, sondern laut und deutlich gerufen: Jesus, Meister, erbarm dich unser!
Und wir haben’s gehört, wie es dann weiterging. Jesus sagt: Macht euch auf den Weg zu den Priestern, die sollen euch für gesund erklären.
Denn so entsprach es den religiösen Vorschriften: Wenn tatsächlich einmal der ganz unwahrscheinliche Fall eintreten sollte, dass ein Leprakranker gesund wurde, dann musste das ein Priester gewissermaßen amtlich beglaubigen. Und erst dann durfte der ehemals Kranke wieder in seine Familie und sein Dorf zurückkehren.
Und wie es Jesus will, so geschieht es auch: Als Kranke gehen sie los. Aber durch die Begegnung mit Jesus und weil sie nun Kranke mit Hoffnung sind, werden sie tatsächlich alle auf dem Weg der Hoffnung gesund.
Und eigentlich, sollte man denken, ist die Geschichte hier zu Ende. Die Kranken sind gesund geworden. Das ganz Unwahrscheinliche ist passiert. Und jetzt könnte doch auch Schluss sein. Ist es aber nicht. Sondern die Geschichte hat eine Fortsetzung. Und erst in der Fortsetzung liegt der ganz besondere Clou.

Das ist das Besondere und Merkwürdige an genau dieser Heilungsgeschichte, und darin unterscheidet sie sich auch von nahezu allen anderen, die von Jesus erzählt werden, da es da noch diese Fortsetzung gibt. Das Heilungswunder ist geschehen, aber der Clou der Geschichte steht noch aus. Und so ist das, was jetzt noch kommt, eine richtige Fortsetzung und nicht nur ein Anhängsel an eine Geschichte, die schon längst zu Ende ist.

Hören wir uns diese Fortsetzung noch einmal im biblischen Wortlaut an:
Doch einer von den Zehn, wie er sah, dass er geheilt war, lief er, laut Gott preisend, zurück, fiel Jesus zu Füßen und dankte ihm – und das war ein Samariter.
Da sprach Jesus zu ihm: „Waren es nicht zehn, die von der Lepra rein geworden sind? Wo sind die übrigen neun? Haben sich keine anderen gefunden, die zurückkehrten, um Gott die Ehre zu geben, als nur dieser Fremde?“
Und Jesus sagte zu ihm: „Steh auf und geh! Dein Glaube hat dich gerettet“.


So wie ich diesen Schluss verstehe, geht es hier um die verwandelnde Kraft der Dankbarkeit. Nur dieser eine Mann, der zudem auch noch ein Fremder ist, nur Einer von Zehn ist ganz erfüllt von Dankbarkeit. Er läuft nicht geradewegs in sein altes Leben zurück, zurück zu seiner Familie und seinen Verwandten. Das kommt vielleicht später. Jetzt aber ist erst einmal Danken und Jubeln angesagt und Zurücklaufen zu Jesus, der ihm dieses neue Leben erst ermöglicht hat.
Und nur diesem dankenden Mann sagt Jesus den Satz, den er sonst so oft schon nach vollzogener Heilung den Gesundeten gesagt hat: Dein Glaube hat dich gerettet.
Und in meinem Verständnis der Geschichte könnte es an diesem Punkt genauso gut heißen: Deine Dankbarkeit hat dich gerettet.
Denn so verhält es sich mit unserer Geschichte: Zehn Menschen wurden hier von einer Krankheit geheilt. Aber nur bei einem von den Zehn ist auch das Leben als Ganzes geheilt worden.
Neun leben jetzt ohne die schwere Krankheit. Aber nur einer lebt jetzt mit Gott.

Nur einer von den Zehn wird durch die Heilung ergriffen von der ganzen Größe und Unfassbarkeit des Lebens. Nur einer ist randvoll erfüllt von Dankbarkeit, nur einer kehrt um und gibt – wie es da heißt – Gott die Ehre!

Und die Geschichte sagt uns: Das erst ist die eigentliche Heilung, dass wir das Verbundensein mit Gott wieder lebendig erleben. Und es gibt keinen besseren Weg, uns mit Gott zu verbinden, als dankbar zu sein. Dankbarkeit ist es, die unser Leben verwandeln kann. Dankbarkeit bringt uns näher zu Gott.

Schauen wir zum Schluss noch einmal hinein in die Fußballarena. Das war ein hart erkämpfter Sieg, den die Brasilianer da errungen hatten. Aber am Ende schrieben die Spieler es sich nicht selber zu, was sie da geleistet hatten. Der eine bedankte sich bei seinen Lieben zuhause, der andere bei seinem Arzt und wieder ein anderer sagte Danke nach oben hin.
Allen drei Männern war klar: Ich bin verbunden mit anderen Menschen und Mächten. Und aus dieser Verbindung ziehe ich meine Kraft. Ohne diese Verbindung wäre der Sieg nicht gelungen. Und darum sagen sie von Herzen „Danke“.

Dankbarkeit stellt eine Verbindung her. Und diese Verbindung ist es, die unser Leben verwandeln kann.
Ich glaube wirklich, dass Dankbarkeit der entscheidende Schlüssel zu einem erfüllten Leben ist. Ein Schlüssel, so meine ich, der aber nicht nur passt in Situationen der Freude und des Überschwangs. Sondern Dankbarkeit – so merkwürdig einem das auch vorkommen mag – ist auch ein Schlüssel zum Leben an dunklen Tagen. Auch Menschen mit Kummer können dankbar sein. Auch Verlierer können Dankbarkeit empfinden. Vielleicht gehört zu einer solchen positiven Lebenshaltung einige Übung. Aber niemand hindert uns daran, damit zu beginnen.

Für viele Menschen ist es eine schöne Gewohnheit, nach dem Aufwachen und vor dem Schlafengehen Danke zu sagen. Danke für die Nacht – wie auch immer sie gewesen ist. Und Danke für den neuen Tag. Und am Abend dann: Danke für alles was, was dieser Tag mir gegeben hat. Manches war schön und manches war schwer. Ja, es gibt tatsächlich Menschen, die können für beides Danke sagen: für das Schöne und für das Schwere. Und aus dieser Dankbarkeit ziehen sie täglich neue Kraft.

In einem Buch mit Ratschlägen für ein gutes Leben ist mir einmal der Satz begegnet: Zwingen Sie sich zur Dankbarkeit! Sagen Sie so lange danke, bis Sie es meinen.

Als ich das vor einigen Jahren las, war ich empört. Zur Dankbarkeit zwingen – was für ein Unsinn! So dachte ich damals. Mittlerweile ist für mich der Satz Zwingen Sie sich zur Dankbarkeit eine herrlich positive Verrücktheit und Herausforderung geworden. Und manchmal hat’s auch schon geklappt. Wahrscheinlich ist da tatsächlich immer etwas zu finden und aufzuspüren, wofür man Danke sagen kann, ohne sich zu verbiegen. Vielleicht probieren Sie es auch einmal!

Fest steht für mich auf jeden Fall: das Leben ist nicht einfach wie es ist. Es kann sich verwandeln. Es kann einen neuen Sinn bekommen. Und Dankbarkeit spielt dabei eine große Rolle.

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