Das Kind in der Krippe
Der Besuch ist weg. Die Geschenke sind ausgepackt, der Weihnachtsbaum ist aus. Schön wars. Heute früh werfe ich in aller Ruhe einen Blick auf meine Krippe. Jetzt ist Zeit dafür. In meinem Wohnzimmer lasse ich meine Augen auf der bekannten Bethlehem – Szene ruhen: Stall, davor Könige, Hirten mit Schafen, Maria und Josef – und das Kind. Ich schaue mir von der Couch aus die Holzfiguren der Krippe genauer an. Immer wieder das Kind. Jesus. Gott – ein Kind. Gott da unten: schläft, schreit, will an Marias Brust.
Dass Gott so klein und bedürftig sein soll. Ich finde das nicht so einfach. Mit Gott verbinde ich eigentlich Anderes: Gott – allmächtig, gewaltig, stark. Schutz und Schirm. Begleitung für mich. Dieses Kind, Jesus, hier in der Krippe, strahlt das jedenfalls nicht aus. Ich nehme die Krippenfigur vom kleinen Jesus vorsichtig in die Hand. Drehe sie bedächtig zwischen drei Fingern, betrachte sie eigentlich zum ersten Mal mit Muße. Ich weiß von all den Weihnachten, dass Gott auch in der weiteren Lebensgeschichte von diesem Kind Jesus dabei ist. Hier in dem Stall von Bethlehem ist das Kind für kurze Zeit sicher. Aber schnell wird es mit den Eltern flüchten müssen. Jahre später wird der erwachsene Jesus dann einen dramatischen Weg nach Jerusalem gehen. Und dort sterben.
Ich schaue mir die Figur in meiner Hand an. Dieses Kind erinnert mich auch an andere Kinder. Und ich habe die Hoffnung, dass Gott auch bei denen mit im Spiel bleibt. Mit der Krippenfigur in Hand denke ich an Kinderfotos aus den Medien: Aylan Kurdi, drei, liegt tot auf dem Strand der Türkei. Ertrunken. Omran, fünf, sitzt nach einem Bombenangriff geschockt voller Blut und Staub in einem syrischen Krankenwagen. Ich denke an einen Brief aus dem Kinderhospiz. An den kleinen Jan, fünf. Den seine Mutter immer wieder liebevoll mit einem wohl riechenden Lavendelöl streichelt.
Ich hoffe, dass Gott bei ihm bleibt, auch wenn ich mir kaum vorstellen kann, wie Gott ein Kind wurde. Damals in Bethlehem. Ich glaube, er wird es noch heute. Gott: klein, bedürftig, schreiend nach der Brust seiner Mutter. Nach Nähe. Gott bleibt dabei. Auch da wo ich manchmal weggucken möchte.