Der Junge mit den schwarzen Haaren
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Der Junge mit den schwarzen Haaren

Michael Becker
Ein Beitrag von Michael Becker, Evangelischer Pfarrer, Kassel

für jürgen drommershausen

Vom Sinn des Lebens möchte ich Ihnen noch eben erzählen. Eine Geschichte aus dem Film „Gottes Werk und Teufels Beitrag“. Der spielt in einem Kinderheim der USA während des Zweiten Weltkriegs. Dort leben Jungen, die aus Not abgegeben wurden oder nie gewollt waren. Kluge Kinder, vorwitzige Kinder, traurige oder kranke Kinder. Die im Heim angestellten Frauen und Männer sorgen für eine Art Zuhause. Am meisten der Leiter des Heims, ein Arzt. Er gibt sich Mühe, für die Kinder ein liebevoller Vater zu sein. Am Abend kommt er zum Vorlesen in den Schlafsaal. Die Jungen hören gespannt zu, bis sie müde sind. Bevor der Leiter das Licht im Saal ausmacht, sagt er voller Achtung: „Gute Nacht, ihr Prinzen.“ Weil er eine Welt kaum aushält, die Kinder weggibt oder vergisst, legt er sich dann auf sein Bett und atmet etwas Berauschendes ein. Nur so findet er Schlaf.

Manchmal kommen kinderlose Ehepaare ins Heim und suchen ein Kind, dem sie ein Zuhause schenken können. Gespannt warten die Jungen auf solche Tage. Viele möchten mitgenommen werden. Auch der schwarzhaarige, gewitzte Junge, der viel hustet. Er ahnt aber, dass er kaum eine Chance hat. Darum hofft er noch mehr. Manchmal scheint er zu betteln, als wolle er den Paaren sagen: Bitte, nehmt mich. Heute ist es wieder so weit, erzählt der Film. Ein junges Paar kommt und schaut sich um. Alle zeigen sich von ihrer besten Seite. Auch der kranke Junge mit den schwarzen Haaren. Das Paar geht langsam durch den Saal, schaut umher und entscheidet sich für einen blonden Jungen, der schon etwas älter ist. Der Junge mit den schwarzen Haaren rutscht auf seinem Stuhl umher, als wolle er sich gleich auf den Boden stürzen. Fast alle im Kino müssen weinen. Ich auch. Weil von einem Augenblick zum anderen klar wird, was allein Sinn des Lebens ist: nicht übersehen, nicht vergessen zu werden.

Jemand soll uns ansehen und zu sich nehmen, weil er uns liebt.

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