Menschen an Gottes Stelle
Bildquelle Pixabay

Menschen an Gottes Stelle

Michael Becker
Ein Beitrag von Michael Becker, Evangelischer Pfarrer, Kassel

Die Männer wollen nicht glauben, was ihre Augen sehen. Gerade haben sie den Stacheldraht aufgeschnitten und die Baracken erreicht, da sehen sie Menschen ohne Seele und Körper fast ohne Kleider. Sie sehen einfach - die Hölle.

Heute vor 69 Jahren wurde das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau befreit. Das, was nach der Vernichtung noch übrig war: Ein paar Hundert Gefangene, viele Öfen und Berge von Schuhen. Alles andere hatten die Nationalsozialisten weggeschafft. Sie wollten nicht, dass man sieht, was doch zu sehen war: Die Hölle, von Menschen gemacht. Die russischen Soldaten können nicht glauben, was ihre Augen sehen. Darum machen sie Bilder, damit andere ihnen glauben. Damit die Welt glauben kann, was hier geschehen war: Das Morden in einer Fabrik. Vornehm hieß Auschwitz „Konzentrationslager“. In Wahrheit wurden alle ermordet, die nicht ins Weltbild der Nationalsozialisten passten: Juden, Homosexuelle, Sinti und Roma - einfach alle. Auschwitz war millionenfacher Mord. Es war noch mehr. Auschwitz war die Hölle auf Erden. Also das, was Menschen schaffen, die sich an Gottes Stelle setzen.

Wir denken heute daran, 69 Jahre später. So lange ist das noch nicht her.

Erst allmählich kamen damals die Nachrichten nach Deutschland. Etliche hatten etwas geahnt, manche auch davon gewusst. Da, im Osten, in Auschwitz im besetzten Polen, geschieht Ungeheuerliches. Viele machten lieber Augen und Ohren zu. Ungeheuerliches will man nicht glauben und schon gar nicht sehen. Dann sieht man erste Bilder, hört und liest, was Überlebende erzählen. Je mehr bekannt wird, desto sicherer wurde man: Ja, es war die Hölle. Von Menschen gemacht, die sich an Gottes Stelle setzen. Und nur gehorchen, statt selber zu denken.

Ob Gott das je verzeihen kann? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass wir das nie vergessen dürfen. Uns nie an Gottes Stelle setzen dürfen. Damit uns Menschen, jeder einzelne Mensch, so heilig bleibt, wie er bei Gott ist.

Weitere ThemenDas könnte Sie auch interessieren