Das Blumen-Fahrrad
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Das Blumen-Fahrrad

Charlotte von Winterfeld
Ein Beitrag von Charlotte von Winterfeld, Evangelische Pfarrerin, Frankfurt

Mitten in dem Blumenbeet im Vorgarten steht ein altes Herrenfahrrad. Schon etwas verrostet, die Farbe geht ab. Verwundert schaue ich näher hin. Statt des Fahrradkorbs ist ein kleiner Blumenkübel hinten auf dem Gepäckträger, mit roten Geranien. Und vorn am Lenkrad hängt eine rankende Topfpflanze. Drumherum die Sommerblumen des Gartens. Manche wachsen durch die Speichen hindurch. Es ist ganz offensichtlich: Dieses Fahrrad ist nicht mehr in Gebrauch. Es steht da zur Zierde.

Da kommt die Besitzerin des Gartens heraus und sieht mein Staunen. „Tja“, erklärt sie, „das ist meine private Erinnerungsstätte für meinen Mann. Er ist vor einem Jahr an Krebs gestorben. Und der Friedhof, das war irgendwie für mich kein guter Ort für Erinnerungen. Da kam ich auf die Idee mit dem Fahrrad. Fahrräder waren seine große Leidenschaft. Er hat Fahrräder repariert und umgebaut, nicht nur für sich, sondern auch für die ganze Nachbarschaft. Und er ist gern selbst Fahrrad gefahren, sogar längere Strecken. Einige Wochen vor seinem Tod ist er noch bis ins Bahnhofsviertel gefahren, ohne aus der Puste zu kommen. Das sind ungefähr 16 Kilometer hin und zurück. Und mein Mann mochte Gärten und Gartenarbeit. Den Himmel hat sich er sich vorgestellt wie einen Garten, nur ohne Grasmilben und Unkraut.“

Wir kommen weiter ins Gespräch. Sie erzählt davon, dass es nicht immer leicht war mit ihrem Mann. Aber gerade in den letzten Jahren haben sie nochmal besonders zueinandergefunden. Sie spricht auch davon, wie anstrengend die Endphase der Krebserkrankung war, wie schlimm es war, zusehen zu müssen, wie jemand Nahes so leiden muss, nicht mehr richtig essen und schlucken kann. Und trotzdem wirkt die Frau nicht erbittert oder niedergeschmettert. Sie sagt: „Ich habe meine Bilder von meinem Mann im Kopf, davon, was er jetzt vielleicht da oben im Himmel macht. Dazu gehört das alte rostige Fahrrad.“

Zu kindlich und naiv, diese Vorstellung? Ich finde nicht. Diese Bilder haben eine große Kraft und helfen gegen die Leere und gegen die Traurigkeit, die der Tod in uns auslösen kann. Für die Beerdigung hatte sie einen Bibelvers vom Propheten Jesaja ausgesucht (Jes.40, 31): „Die auf GOTT vertrauen, bekommen immer wieder neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler. Sie gehen und werden nicht müde, sie laufen und brechen nicht zusammen.“

Irgendwie ist sie selbst ein Beispiel dafür geworden, wie man unter einer großen Last nicht zusammenbricht, sondern neue Kraft bekommt. Wie man schwere Zeiten im Leben annehmen kann. Die Frau erzählt: Jetzt arbeitet sie ehrenamtlich in einer Trauergruppe im Krankenhaus mit. Dort gibt sie ihre Erfahrung an andere Witwen und Witwer weiter, die ganz frisch jemanden verloren haben. Und dort zeigt sie manchmal auch Fotos von ihrem Blumen-Fahrrad.

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