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Das Gelassenheitsgebet
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Das Gelassenheitsgebet

Ein Beitrag von Gisela Brackert, Journalistin und Autorin im Ruhestand, evangelisch, Frankfurt

„Gott gib uns die Gnade, mit Gelassenheit Dinge hinzunehmen, die sich nicht verändern lassen. Den Mut, Dinge zu ändern, die verändert werden sollten, und die Weisheit, das eine vom andern zu unterscheiden“. Ein kluges Gebet. Ein realitätsbezogenes Gebet. Es gehört zu den Goldenen Worten, die in den unterschiedlichsten Zusammenhängen neu aufpoliert werden können.

Doch aus welcher religiösen Quelle es kommt, das hätte ich bis vor kurzem nicht sagen können. Vielleicht hätte ich es der Heiligen Therese von Avila zugeschrieben. Oder irischen Mönchen. Oder dem schwäbischen Pietismus. Jedenfalls schien es in seiner lakonischen Kürze ein altes Gebet zu sein, Gebete von heute sind meist wortreicher. Doch das Gebet ist nicht Hunderte von Jahren alt.

Es wurde im Sommer 1943 im Rahmen eines Gottesdienstes in einer Dorfkirche in  Massachusetts von dem protestantischen Theologen Reinhold Niebuhr formuliert. Er verbrachte dort mit seiner Familie die großen Ferien und übernahm gelegentlich den Gottesdienst.

Die sieben Zeilen gefielen den Zuhörern. Man fragte nach, schrieb es sich ab, und ohne dass es groß aufgefallen wäre, begann der kleine Text seine Reise um die Welt. Die Anonymen Alkoholiker wurden darauf aufmerksam und baten Niebuhr, es in ihrer Arbeit benutzen zu dürfen. 1944 wurde es in das Andachtsbuch für die amerikanische Armee aufgenommen  und zwar nicht nur in der ursprünglichen, also englischen Fassung, sondern auch gleich noch in deutscher Übersetzung. Wie vorausschauend!

Doch als dieses Gebet nach dem Krieg tatsächlich den Weg nach Deutschland fand, begann es, sich dort eine ganz eigene Geschichte zu zulegen. Da gab es im Norden einen Pädagogen namens Theodor Wilhelm, der sich während des Dritten Reiches für nationalsozialistische Erziehungsideale eingesetzt und die Judenverfolgung als europäische Aufgabe bezeichnet hatte. 1951 dann, schrieb er, unter dem Pseudonym F.C. Oetinger, ein Buch, in dem er zu neuen Erziehungsidealen aufrief. In dieses Buch hat er als ein angeblich altes Gebet die sieben Zeilen aufgenommen und ihnen den Namen Gelassenheitsgebet gegeben.

Einen F.C.Oetinger gab es aber nun wirklich: das war ein württembergischer Prälat des 18. Jahrhunderts gewesen und ein Repräsentant des schwäbischen Pietismus. Unter dieser Flagge also wurde das kluge Gebet eines links-liberalen amerikanischen Theologieprofessors in Nachkriegsdeutschland eingeführt und kam zu großer Bekanntheit. Was Reinhold Niebuhr wohl zu diesem Verwirrspiel gesagt hätte? Vielleicht hätte es ihn amüsiert, jedes Gebet – auch dieses -  zehrt von einem geistlichen Erbe.

Die Tochter Niebuhrs jedoch nahm Anstoß an dem merkwürdigen Deckmantel, der dem Gebet ihres Vaters bei uns umgeworfen wurde. „Es war“, schreibt sie, „das Gebet eines ehemaligen Marxisten und eines leidenschaftlichen Antifaschisten… eines Lehrers und Pastors, der Jahrzehnte damit verbracht hatte, seine Stimme im Kampf gegen Hitler und die stillschweigende Hinnahme seines Regimes…zu erheben…“

Sollte man der Tochter Niebuhrs mehr Gelassenheit wünschen? Doch den Kern ihres Protestes kann ich verstehen: Es macht einen Unterschied, ob ich mir als Impuls zu diesem Gebet Engagement für eine gerechte Welt vorstelle oder frommes Warten auf ein besseres Jenseits. Das hatte Niebuhr nicht gemeint.

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