Besser in Ruhe
Ein merkwürdiger Traum, neulich morgens beim Wachwerden hängt er mir noch nach. Diese deutliche Körpererfahrung: Ich will gehen, bin aber wie gelähmt. Die Füße kleben am Boden fest. Ich lege mich nach vorn, stemme mich gegen diese Zähigkeit in mir, aber die Beine kommen nicht mit. Erst recht wird es schwierig, wenn ich schnell nach vorne will, wenn ich mich richtig ins Zeug lege, dann fange ich an, mich rückwärts zu bewegen. Zum Glück ist es in Wirklichkeit anders, als ich aufwache. Ich bin ganz erleichtert, bewege mich aus dem Bett, alles Schwere fällt ab, beschwingt gehe ich ins Bad, frühstücke und dann an die Arbeit.
Es gibt eine Menge zu tun an diesem Tag. E-Mails beantworten, manche wollen gut überlegt sein, dafür muss ich etwas nachschauen, Briefe schreiben, dazwischen das Telefon, ein Gespräch dann am späten Vormittag, das dauert länger als erwartet, ich muss es etwas unelegant auf den Punkt bringen. Am Nachmittag eine Sitzung. Und abends noch einen Impuls vorbereiten für den nächsten Tag. Zum Glück habe ich eine Idee. Es ist ein gutes Gefühl. Wenn man viel muss, kann man viel schaffen. So steht es ja auch in der Bibel: Seid nicht träge in dem, was ihr tun sollt.
Aber der Traum sitzt tiefer als gedacht. Vor allem diese Erfahrung, dass es mich umso mehr nach hinten zieht, je stärker ich vorankommen will. Eine unbequeme, verstörende Botschaft. Was will sie mir sagen? Das abgekürzte Gespräch am Vormittag habe ich zwar auf den Punkt gebracht, aber hat mein Drängen nicht etwas abgedrängt, das eigentlich zum Ausdruck kommen wollte? Schnell, schnell kann auch mal schnell danebengehen. Ich lasse mich hineinziehen in die allgemeine Beschleunigung, in das immer flinker werden müssen bei der Arbeit, in die Verdichtung. Und turne selbst mit in diesem Hamsterrad. Bin stolz auf die Bilanz – und übersehe, dass nicht alles, was ich nach vorne pusche, auch wirklich vorankommt. Mit Menschen zu arbeiten braucht Zeit. Andere einbeziehen heißt auf sie eingehen, ihnen Raum geben. Ihre Ideen erkennen, sehen, was sie brauchen, ihnen Fehler erlauben und nicht nur ihnen - auch mir selbst.
Nach vorn zu drängen kann schwer nach hinten losgehen. Auch in den Zwischenräumen, in den Pausen, wenn ich eigentlich langsam werden und Atem holen will. Ich sollte langsamer mit dem Rad in die Stadt fahren, nur die Bücher kaufen, die ich auch lesen werde. Den Freunden am Telefon nicht nur schnell sagen: Wir seh‘n uns, sondern ein Treffen vereinbaren. Wie heißt es in der Bibel: Besser eine Handvoll mit Ruhe – als beide Fäuste voll mit Anstrengung und Vergeblichkeit.