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Hoffnung braucht Nahrung – Warum die Schokolade aus dem Adventskalender die beste ist
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Hoffnung braucht Nahrung – Warum die Schokolade aus dem Adventskalender die beste ist

Doris Joachim
Ein Beitrag von Doris Joachim, Evangelische Pfarrerin, Referentin für Gottesdienst im Zentrum Verkündigung, Frankfurt

„Die Schokolade aus dem Adventskalender ist die beste.“ Das sagt ein Schüler der 13. Klasse. Ich muss lachen. Es gibt bessere Schokolade. Und außerdem: Adventskalender für einen Neunzehnjährigen! Ich frage die anderen im Religionskurs. Ja, fast alle haben einen. Diese erwachsenen jungen Leute bestehen auf ihren Adventskalender. Die Eltern sollen ihn kaufen oder basteln. Wie auch immer. Adventskalender muss sein. Der gehört dazu. Sonst ist nicht Advent. Denn Advent heißt für sie Geruch von Weihnachtsplätzchen, Adventskranz und Kerzenlicht. Auch der Rummel ums Geschenke-Kaufen ist okay, in Maßen jedenfalls. Übertreibungen mögen sie nicht. Auch nicht zu viel Kitsch. Aber doch Adventskalender.

Ich staune. Diesen Jugendlichen ist die Vorbereitung auf Weihnachten wichtig. Und dass ausgerechnet an Nikolaus eine wichtige Kursarbeit geschrieben wird, finden sie rücksichtslos.  Wenn ich sie frage, warum ihnen das so wichtig ist, geben sie keine direkten Antworten. „Es ist einfach schön und heimelig“, sagen sie. „Die Spannung und das Warten auf Weihnachten, die Geheimnistuerei und das Schenken – das gehört irgendwie dazu.“

Ich glaube, die jungen Leute spüren es genau: Advent ist nicht nur die Zeit, in der wir aufs  süße Christkind warten. Da geht es um mehr. Um Sinn und Geschmack für das, was wir nicht kaufen können. Um eine Sehnsucht nach Geborgenheit, die größer ist als Kerzenschein und Weihnachtsbaum. Nein, sie geben die Hoffnung auf eine bessere Welt nicht auf.  Und Hoffnung braucht Nahrung. Die kommt auch aus dem Adventskalender.  Darum ist diese Schokolade die beste.

Der Schokolade wird ja nachgesagt, dass sie glücklich und optimistisch macht. Und zwar deswegen, weil da Stoffe drin sind, die Glückshormone produzieren. Nun – das stimmt teilweise. Allerdings müsste man Schokolade kiloweise essen, damit genug Hormone zusammenkommen. Das macht dann leider nicht glücklich, sondern dick. In Fisch ist übrigens mehr von den Glückshormonen drin. Aber wer tut schon Fisch in den Adventskalender? Hoffnung muss süß schmecken. So scheint es. Jedenfalls für viele. Und gute Stimmung macht Schokolade, wenn wir sie mit Genuss essen. Das Genießen macht glücklich. Dazu dieses Ritual. Türen öffnen, nicht alle auf einmal, sondern eine nach der anderen. Abwarten können. Und sich freuen auf das, was kommt. Das passt zum Advent. Dieses Warten. Denn Advent heißt ja eigentlich „Ankunft“. Aber was ist das eigentlich, auf das wir im Advent warten?

Hoffnung braucht Nahrung. Und Schokolade versüßt das Warten. Dabei war die Adventszeit früher eine Fastenzeit. Zwar ging es schon im Mittelalter darum, sich auf die Feier der Geburt Christi vorzubereiten. Und man zählte voller Freude die Tage bis zum großen Fest. Aber gleichzeitig hat man in dieser Zeit daran gedacht, dass Christus gesagt hat, er würde bald wiederkommen. Dann aber nicht als kleines Kind in der Krippe, sondern machtvoll als Erlöser der ganzen Welt. Leider haben sich viele Christen das Wiederkommen von Christus eher wie einen apokalyptischen Weltuntergang vorgestellt und den Menschen Angst gemacht. Darum also die Buß- und Fastenrituale.

Das hat sich aber nicht durchgehalten. Gott sei Dank! Seit 1917 wird das Adventsfasten nicht mehr verlangt. Und um 1920 herum gab es die ersten Adventskalender mit Schokolade drin. Ich weiß zwar nicht, ob es da einen Zusammenhang gibt. Aber ich bin froh, dass wir die Ankunft Gottes nicht fürchten müssen, sondern voller Hoffnung erwarten können. Es kann ja nicht sein, dass der Gott, der am Ende aller Tage wiederkommt, so ganz anders ist, als der Gott, der an Weihnachten in einem Kind Mensch geworden ist.

Aber wie sollen wir uns das vorstellen, dass Gott wiederkommt? Das ist schwieriger, als sich die Geburt Jesu in einem Stall vorzustellen. Ich sag’s gleich: Ich habe keine Ahnung. Aber allen Geschichten aus der Bibel ist eines gemeinsam: Christen warten darauf, dass das Leiden aufhört. Wir warten darauf, dass irgendwann kein Kind mehr hungrig zu Bett gehen muss und kein Flüchtling in Deutschland unter Brücken schlafen muss. Wir warten darauf, dass kein Mensch mehr vor Schmerzen weinen muss und dass niemand des Lebens so müde wird, dass er lieber sterben als leben will. Wir warten darauf, dass Menschen vergessen, wie das geht, Kriege zu führen, und mit leeren Händen einander gegenüberstehen und lachen.

Das sind Utopien. Manche belächeln das. Oder halten uns für naiv und weltfern. Aber Christen leben von dieser Hoffnung. Ich auch. Ich wüsste sonst nicht, wie ich es aushalten sollte, dass Menschen leiden müssen.  Ich wüsste auch nicht, woher ich die Kraft nehmen sollte, mich für eine bessere Welt einzusetzen. So gut wie ich es eben kann. Advent heißt: Die Sehnsucht wachhalten. Die Sehnsucht nach Glück und Frieden. Und darauf warten, dass Christus dieses Glück vollkommen macht. Für das Warten brauchen wir Hilfe. Damit wir durchhalten und nicht mutlos werden. Wie kann das gehen?

Die Adventszeit mit ihren Bräuchen hält die Hoffnung auf Glück und Frieden wach. Eine kleine Geschichte dazu: Das kleine Mädchen ist gern bei den Großeltern. Manchmal macht sie dort sogar Ferien. Vor allem wenn beide Eltern gleichzeitig auf Dienstreisen sind. Beim ersten Mal fragt sie: „Wann kommt ihr wieder?“ Sie hat noch keine richtige Vorstellung davon, wie lange sieben Tage sind. „Wir kommen bald wieder“, sagen die Eltern. Aber was heißt für ein kleines Mädchen „bald“?  Die Zeit wird ihr zwischendurch wie eine Ewigkeit vorkommen. Und manchmal wird sie Heimweh haben. Andererseits wird sie bei den Großeltern verwöhnt. Und sie wird die Zeit auch genießen.

Die Eltern schicken ihr Durchhaltebriefe. Damit ihr das Warten leicht fällt. Und damit sie die Verbindung zwischen ihnen spürt. Jeden Tag bekommt sie Post. Immer ist auch ein kleines Geschenk dabei. Und so hofft sie zwar darauf, dass ihre Eltern bald wiederkommen. Bis dahin richtet sie es sich aber gemütlich bei den Großeltern ein und genießt das Leben.

Durchhaltebriefe. – Ich glaube, Gott schreibt uns auch Durchhaltebriefe. Damit wir die Verbindung mit ihm spüren. Diese Erinnerungen daran: Wir sind nicht allein. Gott ist da. In unserem Leben. Viele Adventsbräuche sind solche Durchhaltebriefe. Für mich ist die Adventsmusik ein besonderer Durchhaltebrief Gottes. Aber auch ein liebevoller Mensch, der mir sagt: Alles wird gut. Auch wenn ich weiß, dass noch nicht alles gut ist.

Aber die Adventszeit ist so eine Art Vorgeschmack des Paradieses. So wie den Schülern des Religionskurses geht es ja vielen Menschen. In dieser Zeit sind wir besonders empfindsam. Irgendwie berührter als sonst. Das liegt an dieser Vorstellung von dem Kind in der Krippe. Diese Liebeserklärung Gottes an uns. Dieses zarte Kommen Gottes in unser Leben. Mit unseren Adventsbräuchen kultivieren wir das. Manche nennen das rührselig. Und ja, manchmal sind wir nah dran am Kitsch. Aber alles, was wir da tun, hält unsere Sehnsucht nach einer heilen Welt wach, nach Geborgenheit, nach Liebe und Gemeinschaft mit anderen. Es ist diese Sehnsucht, es ist diese Hoffnung, die uns hilft Türen zu öffnen. Nicht nur die vom Adventskalender. Sondern auch die Türen unserer Herzen. Und manchmal die realen Türen für Menschen, die in Not sind. Darum ist heute am ersten Advent auch die Eröffnung der Aktion „Brot für die Welt“.

Hoffnung braucht Nahrung. Symbolisch als Schokolade aus dem Adventskalender.  Aber eben auch ganz real als Brot zum Leben. Denn schenken – so haben es die Schüler auch gesagt – schenken gehört zum Advent dazu.

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