Ihr Suchbegriff
Toleranz üben üben
Bildquelle Pixabay

Toleranz üben üben

Doris Joachim
Ein Beitrag von Doris Joachim, Evangelische Pfarrerin, Referentin für Gottesdienst im Zentrum Verkündigung, Frankfurt

Es ist eine bunte Gesellschaft, die Jesus um sich versammelt hat. Da sitzen einfache Fischer neben gebildeten Gelehrten am Esstisch und korrupte Zolleintreiber neben Prostituierten. Die haben es nicht leicht miteinander. Oft streiten sie. Und Jesus zeigt ihnen, was Toleranz ist. Nämlich: die anderen akzeptieren, so wie sie sind. Er tut das einfach. Und manchmal gelingt es: Menschen ändern ihre Meinung und ihr Leben. Ohne Druck. Ohne Zwang. Weil sie geliebt werden.

So wie in dem Film Pretty Woman. Da treffen ein skrupelloser Finanzhai und eine Prostituierte aufeinander. Dargestellt von Richard Gere und Julia Roberts. Zuerst haben die beiden eine „Geschäftsbeziehung“. Aber dann wird Liebe daraus. Wie das kommt? Sie streiten sich. Und: Beide ändern ihr Leben. Sie bleiben nicht, wie sie sind, weil sie so akzeptiert werden, wie sie sind. Das ist paradox. Aber das ist Toleranz. Und manchmal – wie in diesem wunderbaren Film – wird Liebe daraus.

Was bei Jesus und in Hollywoodfilmen passiert, ist im normalen Leben leider nicht immer so einfach. Aber ich sehe an diesen Beispielen, worauf es ankommt: Toleranz üben. Den anderen akzeptieren, auch wenn er oder sie anders ist als ich. Und weil das nicht immer von selbst passiert, sollte man das Toleranz-Üben üben. Also lernen und trainieren. Das ist Arbeit und kostet  Nerven.  Das bedeutet auch streiten und verunsichert sein. Aber es ist absolut notwendig für ein friedliches Miteinander.

Toleranz-Üben üben. Dazu will die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau in diesen Wochen besonders anregen. Mit Briefen, Artikeln und Plakaten bringt sie das Thema ins Bewusstsein. Dabei geht es immer wieder um die Frage: Was ist das eigentlich – Toleranz?  Was soll ich alles tolerieren? Und wo hört Toleranz auf? Ich merke: Das ist schwierig. Die Menschen sind eben verschieden. Das ist jetzt nicht gerade neu. Aber ich staune immer wieder darüber, wie verschieden sie sind. Dabei rede ich noch gar nicht von verschiedenen Ländern oder Hautfarben. Sondern von den ganz normalen Leuten, denen ich so begegne. Die junge Verkäuferin bei meiner Bäckerei zum Beispiel. Die hat ein paar Ringe in der Nase und an den Augenbrauen. Ich kann nicht verstehen, wie man sich ein so hübsches Gesicht freiwillig verschandeln kann.  Aber ich bin ja tolerant. Bei der Bäckereiverkäuferin geht das noch leicht. Aber vor einiger Zeit hatte ich einen heftigen Streit mit einem, der sich furchtbar darüber aufgeregt hat, dass die evangelische Kirche gleichgeschlechtliche Paare segnet und das wie eine Trauung von heterosexuellen Paaren handhabt. Er findet: Das ist Sünde. Und ich finde: Es ist wunderbar, wenn schwule oder lesbische Paare vor Gott einander die Treue versprechen, bis der Tod sie trennt. Ich habe mir den Mund fusselig geredet. Es hat nichts genutzt. Ich fand ihn intolerant und dachte: Da hört meine Toleranz auf, oder?

Wo hört Toleranz auf? Manche sagen: „Keine Toleranz für Intoleranz.“ Das stimmt irgendwie. Denn wir können ja nicht zulassen, dass Menschen anderen Menschen Leid zufügen oder gar Verbrechen begehen. Wer zu Rassismus aufruft, dem muss das verboten werden. Wer gewalttätig wird, muss ins Gefängnis. Das hat eigentlich nichts mit Toleranz zu tun, sondern mit Strafverfolgung. Es gibt aber viele Beispiele, wo Menschen keine Straftaten begehen, sondern einfach komische Meinungen haben oder Sitten  und religiöse Überzeugungen, mit denen ich nicht einverstanden bin. Ich, zum Beispiel, will eigentlich nicht, dass muslimische Frauen verschleiert durch die Gegend laufen. Ich bin überzeugt, dass das Kopftuch und erst recht die komplette Verhüllung des Gesichts ein Akt der Unterdrückung der Frauen ist. Aber jetzt kommen junge selbstbewusste muslimische Frauen daher und sagen: „Das sehen wir anders. Für uns ist das Ausdruck unseres Glaubens. Und das gehört zu unserer Kultur.“ Das verunsichert mich. Also: Wir müssen diskutieren. Und zwar  so, dass wir die Andersartigkeit der anderen respektieren. Wir müssen streiten. Auch mit muslimischen Männern, auch wenn manche uns für ungläubig und intolerant halten.

Nun ist es nicht leicht, miteinander ins Gespräch zu kommen. Manchmal brauchen wir Anstöße von außen. So wie die interkulturellen Wochen, die gerade stattfinden. Da gibt es eine Fülle von Veranstaltungen.  Zum Beispiel den Tag der offenen Moschee am 3. Oktober. Da laden Muslime zum Dialog ein.  Das tun sie schon seit 1997. Hier können wir einander besser kennenlernen, auch wenn wir die Meinung des jeweils anderen nicht immer teilen. Ich denke: Nur das Gespräch, nur leidenschaftliches Diskutieren kann dazu führen, dass Meinungen sich bewegen. Und auch hier gilt: Wer sich als Person so akzeptiert fühlt, wie er ist, kann sich verändern. Ohne Druck. Ohne Zwang. Solange wir miteinander diskutieren, bleiben wir im Kontakt. Das ist wichtig.

Ich bleibe in der Frage der Kopftücher und Verschleierung zwar skeptisch. Aber wenn es eine Bewegung in unserem Land gäbe, die Frauen mit Kopftuch oder Verschleierung systematisch bedrängt oder sogar mit Gewalt bedroht – dann würde ich mir ein Kopftuch umbinden und mit anderen dagegen auf die Straße gehen.

Dem französischen Philosophen und Aufklärer des 18. Jahrhunderts Francois-Marie Voltaire wird folgendes in den Mund gelegt:  „Ich verachte Ihre Meinung, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie sie sagen dürfen." Nun, mein Leben gäbe ich nicht so leicht. Aber es muss möglich sein, dass andere ihre Meinung sagen dürfen, auch wenn sie mir nicht gefällt. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt: Eine Gesellschaft, die Verschiedenheit nicht zulässt, mündet immer in Gewalt. Und irgendwie bin ich doch dafür, dass der Mensch, der die kirchliche Segnung von homosexuellen Partnerschaften ablehnt, seine Meinung sagen darf. Ich muss aber zugeben: Bei manchen Themen tue ich mich schwer, tolerant zu sein. Wie also übe ich das Toleranz-Üben?

Um Toleranz einzuüben brauche ich Stärkung. Es muss ein paar Menschen geben, die mich tolerieren, die mir sagen: Ich sehe manches zwar anders als du. Aber es ist okay, dass du denkst, wie du denkst oder dass du fühlst, wie du fühlst. Toleranz fängt im engsten Umfeld an. Das geht eben nur in kleinen Schritten. Ganz am Anfang steht die Einübung, sich selbst okay zu finden und zu tolerieren. Das hat nichts mit Egoismus zu tun. Nur wer sich selbst liebt, kann andere lieben. Nur wer bei sich ist und in sich ruht, kann offen auf andere zugehen. Das ist die Grundvoraussetzung für Toleranz.

Oft geht Toleranz, so wie die Liebe, durch den Magen. Das sieht man in diesen Tagen bei den interkulturellen Wochen. Da wird nicht nur diskutiert, sondern auch gegessen. Speisen aus vielen Nationen. Wie bei Jesus versammeln sich bunte Gesellschaften an den Esstischen bei internationalen und interreligiösen Festen, auf Plätzen, in Kirchen, in Moscheen. Da wächst zusammen, was auf den ersten Blick nicht zusammengehört. Das Motto der interkulturellen Woche dieses Jahr heißt: „Wer offen ist, kann mehr erleben.“ Es kann auch einfach Spaß machen, die Verschiedenheit der Menschen zu erleben. Und lecker noch dazu.

Toleranz heißt, andere so sein zu lassen, wie sie sind, und gleichzeitig mit ihnen im Gespräch zu bleiben. Mir gelingt das nicht immer. Manchmal rege ich mich so auf, dass mir nichts mehr einfällt, weder ein gutes Argument noch etwas Witziges, das die Lage entspannen könnte. In solchen Fällen greife ich dann doch auf eine alte hessische Weisheit zurück: „Bevor isch misch uffreesch, isses mir lieber egal.“ Das schont die Nerven. Nun ist das jetzt nicht die beste Variante von Toleranz, sondern eher so etwas wie eine Notbremse. Aber das hilft mir, den anderen nicht anzubrüllen, ihn abzuwerten oder ihm etwas Unüberlegtes an den Kopf zu werfen.

Wirkliche Toleranz kann nicht heißen: Mir ist der andere Mensch egal. Sondern: Die anderen akzeptieren, ihnen das Recht auf ihre Meinung und ihren Glauben zu lassen. Dazu gehört: Leidenschaftlich in der Diskussion bleiben und nicht das Gespräch verweigern. So wie bei Jesus und seinen Gästen am Esstisch, so wie bei Pretty Woman. Dann wird Achtung daraus und manchmal sogar Liebe.

Weitere ThemenDas könnte Sie auch interessieren