Ihr Suchbegriff
Unterwegs in Sachen Glück
Bildquelle Pixabay

Unterwegs in Sachen Glück

Hermann Trusheim
Ein Beitrag von Hermann Trusheim, Evangelischer Schulpfarrer, Hanau

Der Vorhang geht auf. Ich trete vom Dunkeln ins helle Licht, bin geblendet. Laute Musik, großer Auftritt. Applaus im Studio bei der Ansage: ‚Und hier kommt ihr Glücksjoker!’ Das bin ich. Das ist meine Rolle heute Abend in einer Quiz-Show der ARD. Ziemlich unsicher bewege ich mich zum Podest, auf dem der Kandidat hinter einem Pult steht, gegenüber der Quizmaster Kai Pflaume. Etwas im Hintergrund Vater und Großmutter des Kandidaten, es ist ein Familienquiz. Es geht darum, durch die Auswahl richtiger Antworten etwas zu gewinnen, vielleicht sogar viel. Zum Show- Konzept gehört es, dass die Kandidaten nicht wissen, wer aus ihrem Umfeld als Glücksjoker gewählt wurde, das geschah heimlich.

Jetzt ist das Geheimnis gelüftet. Und die Familie ist überrascht: ‚Mensch, Hermann!’ – Das ist ja der Pfarrer!’. Der Moderator stellt mich dem Publikum im Studio und an den Fernsehern vor: Der Pfarrer als Glücksjoker, mal schauen, was diese Kombination bringt. Wir können uns kurz begrüßen, Hände schütteln, Schulterklopfen, in den Arm nehmen. Dann wird’s ernst mit dem Spiel. Ich glaube, ich habe das erst in diesem Moment gespürt: ‚Jetzt kommt’s auf dich an, ob etwas gewonnen wird.

Klar, so ganz entscheidend war ich nicht. Sollte ich daneben liegen, fiele nur eine Antwort weg und der Kandidat dürfte weiter raten. Aber ich würde so gern zum Gewinn beitragen und, naja, die Angst vorm Blamieren war natürlich auch da. Jetzt würde ich gerne meiner Rolle gerecht werden: Glücksjoker sein.

Endlich die Frage: ‚Was ist ‚blended Whiskey?’ Oje, das gehört nun überhaupt nicht zu meiner Allgemeinbildung, das musste ich auch Kai Pflaume gegenüber zugeben. Aber es half nichts, ab jetzt ging’s wirklich nur noch ums Glück, ich musste raten. Das habe ich dann auch getan. Dann stieg die Spannung – Glück gehabt? Glück gebracht? Natürlich noch eine Unterbrechung für die Werbung. Dann kam Auflösung – Ich lag daneben! Zurück ins Publikum, noch mal Applaus – wofür eigentlich? War ich vom Glücksjoker zum Unglücksbringer geworden?

Musik

Was ist das überhaupt: ‚Glück’? ‚Glück und Glas – wie leicht bricht das!’ diese Volksweisheit fällt mir ein: zerbrechliches Glück. Und: ’Jeder ist seines Glückes Schmied’. In die amerikanische Unabhängigkeitserklärung ist das Recht auf Glück jedes einzelnen aufgenommen. Gilt es, mein Glück selbst zu machen? Bin ich für mein Glück verantwortlich, und auch für mein Unglück? Ist Glück Zufall, Schicksal oder Wille?

Menschen sind lebenslange Glückssucher. Manche suchen den ‚perfekten Moment’, andere sind als Glücksritter unterwegs. Es gibt zahllose Bücher und Veranstaltungen, die mir helfen sollen, ‚mein Glück zu machen’. Um wessen Glück geht’s überhaupt? Glück für mich, ist das auch Glück für andere? Das Internet- Lexikon Wikipedia betont die Vielschichtigkeit des Begriffs: Glück gilt als Erfüllung menschlichen Strebens überhaupt; es reicht vom momentanen Glücksgefühl bis zur anhaltenden ‚Glückseligkeit’. Das scheint eine wichtige Unterscheidung zu sein: Glück und Glückseligkeit. Unter dieser Bezeichnung machte das Glück in der Philosophie Geschichte. Glückseligkeit galt und gilt als erstrebenswerter Wunschzustand. Aber wie er erreicht wird, das wurde und wird schon immer ganz unterschiedlich gesehen.

Die Stoiker versuchten es durch die Abkehr von allen Leidenschaften und Gefühlen, die ‚stoische Ruhe’. Die Jünger Epikurs dagegen suchten Glückseligkeit im Genuss – manchmal auch hemmungslos. Sokrates entdeckt Glückseligkeit im Hier und Jetzt in vernunftbegründeter, tugendhafter Lebensführung. Häufig aber wird dieser Zustand erst nach diesem Leben erwartet. Viele unserer heutigen Entwürfe sind Erben der Antike. Prägend für die Neuzeit war vor allem Immanuel Kant, für den Glückseligkeit bedeutet, nach dem Kategorischen Imperativ zu leben; vielen als ‚goldene Regel’ bekannt: ‚Was du nicht willst, was man dir tu, das füg’ auch keinem andern zu.’ Natürlich ist Kant nicht so naiv, Glück als Folge tugendhaften Lebens zu erwarten. Dass der Ehrliche oft der Dumme ist, gehört auch zu seinen Lebenserfahrungen. Um überhaupt Glückseligkeit mit der eigenen Lebenswirklichkeit verbinden zu können, muss für Kant etwas Wesentliches dazu kommen – Religion, Glaube.

Glück und Religion? Das Alte Testament hält erst einmal fest, dass Glück nicht in der Verfügung des Menschen steht, es kommt von Gott – woher kommt aber dann das Unglück? Die Unglücksgestalt des Alten Testaments, Hiob, klagt vor Gott, klagt ihn an für den Verlust seines Glücks, obwohl er doch nach seinem Willen lebte. Hiob bekommt keine echte Antwort. Nur die deutliche Klarstellung, dass er der Mensch und Gott eben Gott ist. Darauf kann er sich verlassen. Zum Glück geht die Geschichte gut aus, wird aber oft als Glaubensprüfung zu kurz gedeutet. Denn dass Glaube direkt mit Glück belohnt wird – die Rechnung geht nicht auf.

Das Neue Testament bleibt stumm, wenn es um den Begriff Glück geht. Dafür gibt es ein anderes Wort: Seligkeit. Seligkeit verbindet Jesus am Anfang der Bergpredigt ausgerechnet mit Verhältnissen und Situationen, die alles andere als glücklich sind! Für mich ist das der revolutionäre und befreiende Gedanke, Seligkeit unabhängig vom sogenannten Glück erfahren zu können. Das ist für mich einzigartig an Jesus und trifft den Kern seiner Botschaft vom Reich Gottes, dass angebrochen ist und vollendet werden wird. Wunderbar daran ist: ich kann schon dabei sein – im Hier und Jetzt und dann für immer.

Vor allem Jesu Gleichnisse sind Türen zum Reich Gottes, wenn ich hineingehe in die Wirklichkeit Gottes – dass er da ist, dass er für mich da ist, dass er mich annimmt wie ich bin. Dann bin ich hier nicht weg, aber schon da: im Reich Gottes. Meine Lebenswelt wird sich nicht gleich ändern, meine Lebenswirklichkeit schon. Das stimmt, das gibt es wirklich: Seligkeit unabhängig vom Glück, Seligkeit bei Gott.

Ich weiß, wie schwer das zu glauben ist auf der Unfallstation, am Sterbebett, wenn das Leben zerbricht. Das Gefühl der Gottverlassenheit kennt der Gekreuzigte auch. Oft erkenne ich erst nach überstandenem Leid, was mir im Leid selbst Seligkeit gegeben hat unabhängig vom Glück. Nämlich das, was die Bibel mit Gott gleichsetzt, was sogar stärker ist als der Tod – Liebe, Freundschaft, Gemeinschaft, Versöhnung.

Musik

Natürlich war ich von solchen Gedanken weit entfernt auf meinem Platz im Publikum, der Glücksjoker, der keinen Stich gemacht hat. Was würden die anderen jetzt von mir denken? Sind sie so wie ich enttäuscht, verärgert über mich? Nach der Aufzeichnung wurde noch zum gemütlichen Beisammensein eingeladen. Alle waren da: Gewinner, die, die nichts gewonnen hatten, das Studioteam und der Moderator. Obwohl eben erst vorbei erzählten alle noch mal ihre Geschichte vom Glück oder warum sie kein Glück hatten. Kai Pflaume ist nach der Sendung genauso nett wie während der Show. Es wurde viel geredet, aber noch mehr gelacht. Ich erkannte: Das Spiel wurde ernst genommen, aber eben im Unterhaltungsprogramm!

Ein Gewinn ist wirklich auch die Erfahrung, mal dabei zu sein und es selbst zu erleben, statt es vor dem Fernseher besser zu wissen als die Kandidaten. Mit meiner Kandidatenfamilie bin ich dann gemeinsam nach Hause gefahren in sehr entspannter Atmosphäre – Freundschaft ist eben eine Seligkeit, unabhängig vom Glück!

Nach der Sendung habe ich auch Emails von Zuschauern bekommen, eine lautete: ‚Irgendwie ganz gut, dass ein Pfarrer keine Ahnung von Schnaps hat’ – dem stimme ich zu; mein Lieblingsgetränk ist nun mal Rhabarbersaft, und wenn’s da zur Quizfrage kommt, weiß ich Bescheid: Rhabarber ist kein Obst, sondern Gemüse, und man darf ihn zu jeder Kirchenjahreszeit trinken.

Weitere ThemenDas könnte Sie auch interessieren