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„Zürnt ihr, so sündigt nicht.“ – Vom Fluchen und Schimpfen
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„Zürnt ihr, so sündigt nicht.“ – Vom Fluchen und Schimpfen

Doris Joachim
Ein Beitrag von Doris Joachim, Evangelische Pfarrerin, Referentin für Gottesdienst im Zentrum Verkündigung, Frankfurt

Fluchen verboten? So was macht man nicht. Denken viele jedenfalls. Dabei fluchen wir dauernd. Und dazu steht uns eine mehr oder weniger große Palette an Schimpfwörtern zur Verfügung. Die zähle ich jetzt nicht auf. Aber ich sage mal provokant: Wir brauchen Worte für unseren Zorn. Wir brauchen sie, damit unser Zorn nicht zur Tat wird. Als unsere Tochter in der ersten Klasse war, wusste sie manchmal nicht, wie sie sich wehren sollte. Sie kannte zu wenige Schimpfwörter. Das war schwierig. Sie konnte ihren Zorn nicht ausdrücken und wurde zum Opfer der Tiraden anderer Kinder. Also übten wir mit ihr Schimpfwörter. Das war ganz lustig, weil wir plötzlich auch absurde Sachen erfanden. Du Badewanne! Du Kochtopf! Du Marmorkuchen! Damit verblüffte sie ihre Gegner. Und mancher Streit endete im Gelächter.

Das funktioniert bei Jugendlichen und Erwachsenen leider nicht so einfach. Weil Worte uns so verletzen können, dass uns nichts anderes als verbale Gegengewalt einfällt. Weil Schimpfworte Menschen so aufwiegeln können, dass sie sich gegenseitig an die Gurgel gehen und aus Worten böse Taten werden. Also doch: Fluchen verboten? „Zürnt ihr, so sündigt nicht“, steht in der Bibel, sogar zwei Mal (Psalm 4,5, und Epheser 4,26). Aha, zornig sein ist also erlaubt. Aber sündigen nicht. Und wie unterscheidet man das? Ich finde das durchaus schwierig. Schließlich will ich nicht an meinem Zorn ersticken, sondern ihm auch Luft machen. Ich versuche mal ein paar Unterscheidungen.

Während meines Studiums gab es einen Professor, über den ich mich oft geärgert habe. Ich fand ihn arrogant, kleinkariert und ungerecht. Natürlich konnte ich meinem Zorn nicht Luft machen, jedenfalls nicht öffentlich. Das hätte mir geschadet. Ich fand eine andere Möglichkeit. Ein Pizza-Hefeteig. Sorgfältig habe ich eine Kugel geformt, eher ein Ei, der Kopfform des Professors möglichst ähnlich. Ein Gesicht hineingeritzt und dann mit der Faust hineingeschlagen. Dabei habe ich geschimpft wie ein Rohrspatz. Das hat geholfen. Damals wusste ich noch nicht, dass das in manchen körperorientierten Psychotherapien auch so gemacht wird. Dann nicht mit einem Hefeteig. Sondern zum Beispiel mit einem Schaumstoffklotz und Baseballschläger. Neuere Traumatherapie  arbeitet mit Imaginationen. Das sind innere Vorstellungen, in denen alles möglich ist, auch Gewalt. So kann man angestauten Zorn abreagieren, ohne sich selbst oder anderen zu schaden. Da kann man fluchen, was das Zeug hält. Das wirkt. Das entlastet. Das befreit. Fluchen und schimpfen ist ein therapeutischer Weg, um die Erregung abzubauen. „Zürnt ihr, so sündigt nicht.“ Es ist utopisch zu meinen, wir könnten ohne Zorn leben. Wut ist eine vitale Kraft. Wir brauchen sie, um zu leben und um uns zu wehren. Die Frage ist nur, wie wir sie ausdrücken.

„Zürnt ihr, so sündigt nicht.“ Wie kann das gehen? Wichtig ist: Der Zorn braucht einen Halt, eine Art Zaun, der ihn begrenzt. Ungezügelter Zorn kann überwältigen. So wie die Frau, die als Kind von ihren beiden Eltern jahrelang misshandelt wurde. Jetzt ist sie Mitte Vierzig und steckengeblieben in ihrem Zorn. Den richtet sie oft auch gegen sich selbst. Früher hat sie sich die Arme mit einer Rasierklinge aufgeschnitten, heute trinkt sie zu viel Alkohol. Sie ist impulsiv und gerät leicht außer sich. Dann lässt sie ihren Zorn an allen aus, die ihr grad in die Quere kommen. Auch an ihren Kindern. Der Zorn hält sie fest. Und auf jede neue Ungerechtigkeit reagiert sie mit übertriebenen Wutausbrüchen. Jetzt übt sie kontrollierten Zorn. Im geschützten Rahmen einer Psychotherapie. Da ist ihr reicher Wortschatz an Schimpfwörtern durchaus eine Hilfe. Halt findet sie in der Person der Therapeutin, vorübergehend, sozusagen als Übergang. Irgendwann wird sie hoffentlich einen Halt in sich selbst finden. Nämlich dann, wenn sie sich selbst für einen wertvollen Menschen hält, wenn sie sich selbst liebt.

Auch die Bibel zeigt Wege, wie man Zorn ausdrücken kann, ohne zu sündigen. In den Psalmen zum Beispiel. Das sind Gebete und Lieder, in die Menschen im Alten Testament alle ihre Gefühle hineingelegt haben, eben auch den Zorn. Da wird eine Menge geflucht und geschimpft. Es sind fast immer Menschen, die in Not sind. Die unterdrückt werden, verleumdet oder auch nur belästigt. Sie machen ihrem Zorn Luft. Und sie sind nicht zimperlich. So wie ich mit meinem Hefeteig. Aber eben nur so. Die Flucher wenden sich an Gott. In ihm finden sie Halt und einen geschützten Rahmen. Sie lassen Dampf ab. Aber sie schreiten nicht zur Tat. Das haben manche, die sich auf die Bibel berufen, leider vergessen. Wenn sie zum Beispiel vom heiligen Zorn sprechen. Der berechtigt sie angeblich, ihre vermeintlichen Gegner auch mit Gewalt zu bekämpfen. Aber: „Zürnt ihr, so sündigt nicht.“ Der Zorn brauchte Worte, innere Bilder oder Ersatzhandlungen wie das Schlagen auf einen Hefeteig oder einen Schaumstoffklotz. Auch das Gebet ist solch ein Zaun. Es begrenzt den Zorn und hält uns davon ab, anderen oder uns selbst zu schaden. Dann kann sich das Gemüt beruhigen und der Verstand wieder einsetzen. Doch: wie zeige ich den Zorn denen, die ihn verursacht haben?

„Zürnt ihr, so sündigt nicht.“ Zorn ist wichtig, um sich gegen Ungerechtigkeit zu wehren. Aber wie wehrt man sich in der direkten Auseinandersetzung mit anderen? Am leichtesten geht das sicher unter Freunden oder in einer funktionierenden Partnerschaft. Aber am Arbeitsplatz oder in der Politik? Wenn zum Beispiel eine Frau mit sexistischen Sprüchen belästigt wird? Und zwar von Männern, die mächtiger sind als sie. Welcher Frau ist das noch nicht passiert! Mir auch. Ich erinnere mich an eine Begebenheit, wo ich einfach nur sprachlos war. Alle Schlagfertigkeit war futsch. Mir fiel nichts ein, um mich zu wehren. Und ich wollte auf keinen Fall meine Gefühle zeigen. Das war falsch, würde ich heute sagen.

Es ändert sich nichts, wenn Menschen, die sexuell belästigt oder auch gemobbt werden, immer schweigen. Wie also können sie sich wehren? Da gibt es keine Patentrezepte. Die Menschen sind verschieden, und jeder Fall ist anders. Im Internet und in Beratungsstellen gibt es dazu viele Tipps. Ich will jetzt nur vier Dinge nennen, die mir besonders wichtig sind:

1. Den Zorn spüren und ihn willkommen heißen. Das Problem ist ja oft, dass Opfer von Belästigung und Mobbing ihren Zorn gar nicht richtig wahrnehmen. Viele haben Angst vor dem Vulkan, der in ihnen tobt. Oder sie schämen sich. Oder sie suchen die Schuld bei sich selbst. Aber dann brodelt der Zorn im Untergrund weiter. Das macht krank. Oder der Zorn sucht sich andere Kanäle und richtet sich gegen Unschuldige. Manchen Menschen muss man sagen: „Zürnt, damit ihr nicht sündigt.“ Es ist gut den Zorn zu spüren. Er ist eine vitale Kraft. Die brauchen wir, um uns gegen die Richtigen zu wehren.

2. Den Zorn begrenzen. Eine unkontrollierte Explosion in der Öffentlichkeit könnte unklug sein. Die schlimmen Schimpfworte kann ich anschließend meiner Zimmerpflanze sagen oder besser noch: In Gegenwart einer vertrauten Person. In der Situation, wo man von jemandem belästigt oder gemobbt wird, ist es gut, eher kontrolliert zu explodieren. Das heißt: Mit ruhigen Worten das Verhalten des anderen ansprechen. Aber das sehr deutlich. Und am besten so laut, dass es andere mithören können. Das klappt vielleicht nicht immer beim ersten Mal. Darum ist es

3. gut, sich Verbündete zu suchen. Da erfährt man vielleicht, dass es anderen ähnlich geht. Und außerdem ist es wichtig, mit seinem Zorn nicht allein zu bleiben. Das gute Wort einer Freundin ist eine weitere Quelle von Kraft. Sie hilft dem eigenen Selbstbewusstsein auf, wenn es am Boden liegt. Und damit komme ich zu:

4. Sich selbst für einen wertvollen Menschen halten. Das ist vielleicht der wichtigste Aspekt überhaupt. Selbstliebe ist der Rahmen, der den Zorn zugleich ermöglicht und begrenzt. Wer sich selbst für wertvoll hält, wird dieses wertvolle Gut auch schützen wollen. Und Selbstliebe hilft dazu, dass der Zorn auch wieder verraucht.

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