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Aufbruch: Cat Stevens - Father and Son
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Aufbruch: Cat Stevens - Father and Son

Doris Joachim
Ein Beitrag von Doris Joachim, Evangelische Pfarrerin, Referentin für Gottesdienst im Zentrum Verkündigung, Frankfurt

Cat Stevens - 22 Jahre alt war er, als er diesen Song schrieb. 1970. 22 – so alt wie meine Tochter heute. Ein junger gutaussehender Mann mit wilder schwarzer Mähne und Bart. Sitzt da auf einem Hocker mit seiner Gitarre. Wiegt sich hin und her. Und singt dieses Gespräch zwischen Vater und Sohn. Nein, kein wirkliches Gespräch. Eher ein Aneinander-Vorbeireden. Er meint es ja so gut – der Vater.

Es ist nicht der Zeitpunkt, alles zu ändern.
Entspann dich, nimm es leicht,
du bist noch jung, das ist dein Problem.
Da ist noch so viel, das du wissen musst.
Finde ein Mädchen, lass dich nieder.
Wenn du willst, kannst du heiraten.
Sieh mich an: ich bin alt, aber ich bin glücklich.


Und dann dieses ultimative Argument, das – ich muss es zugeben – auch mir heute manchmal rausrutscht:

Ich war einmal wie du jetzt,
und ich weiß, dass es nicht einfach ist,
ruhig zu bleiben, wenn du etwas Aufregendes gefunden hast.
Aber nimm dir Zeit, denk nach, denk an alles, was du hast.
Denn du wirst morgen immer noch da sein,
aber deine Träume vielleicht nicht.


So ist es doch: Wir Eltern meinen es gut mit unseren Kindern. Wir wollen doch nur ihr Bestes. Möchten sie an uns binden. Was ist so falsch an unserem Lebensstil? Warum können die nicht so leben wie wir? Der Sohn will aber nicht. Er nimmt’s nicht leicht. Und Cat Stevens singt den Sohn. Acht Töne höher. Eine ganze Oktave. Das ist seine Tonlage. Seine Stimme kippt manchmal vor Leidenschaft. I was ordered to listen. Es wurde mir immer befohlen zuzuhören. Fast aggressiv presst der Sänger mit der sanften Stimme dieses Wort listen heraus.

Wie soll ich es nur erklären?
Denn wenn ich es versuche, wendet er sich ab.
Es ist immer das Gleiche, die gleiche alte Geschichte.
Von dem Moment an, da ich sprechen konnte,
wurde mir befohlen zuzuhören.
Jetzt sehe ich einen Weg, und ich weiß, dass ich weggehen muss.
Ich weiß, ich muss gehen.


Der Vater möchte seinen Sohn festhalten. Aber der ist innerlich schon weg. Hat sich abgewandt. So wie sein Vater sich immer von ihm abgewandt hat. So ist das manchmal: Eltern merken nicht immer, was ihre Kinder wirklich brauchen. Eine stabile Bindung und offene Hände, die ein Kind gehen lassen können. Der Vater in diesem Lied scheint zu meinen: „Das sind ja nur die typischen Flausen im Kopf eines Heranwachsenden. Das vergeht wieder.“ Er merkt nicht, wie tief die Verletzungen sind, die er seinem Sohn zugefügt hat. Seine Ignoranz, seine Bevormundung, neben der der Sohn kaum atmen kann. Jetzt kriegt er die Retourkutsche.

Es ist schwer, das eigene Kind gehen zu lassen. Das wissen alle, die die Umzugskisten in die erste eigene Wohnung ihres Kindes geschleppt haben. Interessanterweise fällt es denen leichter, die eine stabile Bindung zu ihrem erwachsenen Kind haben. Oder anders ausgedrückt: Liebe klammert nicht. So wie in dem Gleichnis vom verlorenen Sohn. Jesus hat es erzählt. Da will ein Sohn seine eigenen Wege geht. Er lässt sich vom Vater sein Erbe auszahlen. Und der Vater lässt ihn gehen. Keine Besserwisserei, keine Vorwürfe, kein Jammern. Liebe öffnet dem Vater die Hände – für  das Erbe und für das Loslassen. Es ist eine unaufdringliche Liebe, die den Vater auf den Sohn warten lässt. Darauf, dass er irgendwann zurückkommt.

Von Zurückkommen ist in dem Lied Father and son nicht die Rede. Die beiden haben sich nichts mehr zu sagen. Cat Stevens – 1970. Hier ist er ganz Sohn. Man merkt es an der Stimme. Die tiefen Töne des Vaters zu singen, das fällt ihm schwer.

Fast 40 Jahre später ist er wieder auf der Bühne. Immer noch gutaussehend. Graue Haare, grauer Bart. Sitzt da auf einem Hocker mit seiner Gitarre. Wiegt sich hin und her und singt dasselbe Lied. Cat Stevens heißt inzwischen Yusuf Islam. 1978 war er Muslim geworden. Seine Enkeltochter ist mit im Konzertsaal. Noch kein Jahr alt. Bevor er anfängt zu singen, hört man einen Juchzer von ihr. Er lächelt und erklärt dem Publikum, wer das Kind ist. Dem fast 60jährigen Cat Stevens, der nun Yusuf Islam heißt, liegen die tiefen Töne des Vaters in dem Lied. Seine Stimme ist voller geworden, reifer. Fast zärtlich singt er denselben Text wie 1970. Aber da ist eine andere Stimmung. Milder, sanfter. Yusuf Islam ist ganz Vater. Der Vater, der das Beste für seinen Sohn will. Er singt mit geschlossenen Augen. Dabei wirkt er fast verlegen. Nein, ein Vater wie in dem Lied will er nicht sein. Keiner, der seinen Sohn weinen lässt und der ihm seinen Lebensstil aufzwingen will. Dann singt er: Sieh mich an. Ich bin alt, aber ich bin glücklich. Er öffnet die Augen und lächelt. Und ich denke: Ja, ich glaub’s ihm.

Yusuf Islam, der einmal Cat Stevens war, hat inzwischen geheiratet. Und er hat fünf Kinder. Darunter einen Sohn, der seit einigen Jahren selbst Popsongs singt. Zur Gitarre. Dabei hat Yusuf Islam nach seiner Konversion zum Islam erst einmal die Gitarre an den Nagel gehängt. Sich beim Singen mit einem Instrument zu begleiten – das war für ihn unislamisch. Und er wollte mit dem Eifer des Konvertiten ganz Muslim sein. Das war damals wohl nicht leicht für den Vater von Cat Stevens. Der war griechischer Zypriot und hatte seine Probleme mit einem Sohn, der ausgerechnet Muslim wird. In einem Interview vor einigen Jahren hat Yusuf Islam davon erzählt. Es habe etwas gedauert, bis sein Vater den Weg des Sohnes akzeptieren konnte. Aber er konnte es. Er hat ihn gehen lassen.

Der Sohn hat es ihm und auch seinen Fans nicht leicht gemacht. In seiner Anfangszeit als Muslim war er befremdlich konservativ. Er hat sich von einigen Entscheidungen iranischer Mullahs nicht eindeutig distanziert. Inzwischen ist er milder geworden. Nach dem 11. September 2001 hat er sich aktiv für die Versöhnung der Religionen eingesetzt. Heute versteht er sich als Botschafter eines friedlichen Islam.

Er ist einen anderen Weg gegangen als der verlorene Sohn in dem Gleichnis der Bibel. Der hatte sein Leben in Saus und Braus verbracht und sein Erbe auf den Kopf gehauen. Als er ganz unten war, ist er zu seinem Vater zurückgekehrt. Voller Reue und Verzweiflung. Und der Vater hat ihn ohne viele Worte einfach in die Arme genommen. Weil er liebt.

Yusuf Islam musste auch gehen, um wieder zurückzukommen. Auf die Bühne und zu sich selbst. Man sieht dem inzwischen über 60Jährigen diese Gelassenheit an, obwohl er nicht öffentlich sagt: Ja, was ich zu Anfang meiner Zeit als Muslim gesagt habe, war falsch. „Ich gehe meinen Weg weiter“, sagt er in dem Interview. „Und der ist noch nicht zu Ende.“ Sein Sohn hat ihn dazu gebracht, wieder zur Gitarre zu greifen. Das war vor etwa 10 Jahren. Yusuf Islam ist scheinbar bereit, immer wieder neu aufzubrechen und sich zu verändern. Und das heißt bei ihm auch, einige der radikalen Ansichten des Islam aufzugeben, ohne seinen Glauben zu leugnen.

Nun sitzt der auf der Bühne und singt diesen alten Song Father and Son. Während der letzten Strophe des Vaters hört man leise im Hintergrund von einem Sänger die Worte des Sohnes: „Weg, weg, weg. Ich muss diese Entscheidung allein treffen.“ Und während der letzten Strophe des Sohnes, hört man leise die Worte des Vaters: „Bleib, bleib, bleib. Warum musst du diese Entscheidung allein treffen?“ Bei einem Live-Auftritt vor acht Jahren im Duett mit dem jungen Sänger Ronan Keating weicht Yusuf Islam von seinem ursprünglichen Text ab. Während Ronan Keating als  Sohn am Schluss singt: „Ich weiß, ich muss gehen“, singt Yusuf Islam als Vater gleichzeitig: „Ich weiß, er muss gehen“. Und nach dem Lied umarmen sich die beiden Sänger, als wollten sie sagen: Es geht auch anders zwischen Vater und Sohn.

Ja, es geht auch anders. Aber wie kriegt man das hin, sein Kind gehen zu lassen? Ich möchte zu meiner Tochter auch manchmal leise sagen: Bleib, bleib. Du musst deine Entscheidungen doch nicht allein treffen. Ich könnte dir helfen. Aber es gibt einen Zeitpunkt, da müssen Söhne und Töchter gehen. Und ich denke dann: Meine Tochter geht nicht allein, nicht wirklich. Sie ist in Gottes Hand. Und ich bitte Gott, dass er auf sie aufpasst.

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