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Singen Engel? Und wenn, was?

Singen Engel? Und wenn, was?

Ein Beitrag von Helwig Wegner-Nord, Evangelischer Pfarrer, Frankfurt

„Jedes Jahr ist ein kleiner Engel dazu gekommen“, erzählt mir die Frau. „Immer zu Weihnachten haben meine Eltern den Chor und das Orchester auf der Anrichte vergrößert.“ Wir stehen vor einer stattlichen Sammlung kleiner Holzengel aus dem Erzgebirge. Sie sind etwa 6 Zentimeter hoch und haben kugelrunde Köpfe. Die meisten haben Instrumente in der Hand, Harfen und Tamburine, manche auch Notenblätter, aus denen sie singen. In der Adventszeit werden sie ausgepackt und aufgestellt, Mitte Januar verschwinden sie wieder.

Woher stammt eigentlich die weit verbreitete Idee, dass Engel Musik machen? In der Weihnachtsgeschichte ist von der „Menge der himmlischen Heerscharen“ in Bethlehem die Rede. Aber ob die gesungen haben? In der Bibel heißt es: die lobten Gott und sprachen „Ehre sei Gott in der Höhe“. (Lukas 2,13 f.) Sie loben, sie rufen, sie sprechen – nur: dass Engel singen oder ein Instrument spielen, das steht an keiner Stelle.

In Hamburg gibt es einen Professor, der erforscht allerdings die Musik der Engel. Oliver Huck ist als Musikwissenschaftler spezialisiert auf alte Musik. Bei seinen Forschungen ist er irgendwann über die Musik gestolpert, über die es kaum seriöse Literatur gibt: eben die Musik der Engel.

Er findet bei seiner Recherche zwar keine Noten in der Bibel. Aber Huck erkennt, dass im Mittelalter eine Musik komponiert und gesungen wurde, die mit den Engeln zu tun hat. Da ist einmal das „Gloria“ aus der Weihnachtsgeschichte, das ‚Ehre sei Gott‘. Und dann das „Sanctus“, das dreimalige ‚Heilig‘. Das taucht im Gottesdienst auf, weil in der Bibel steht, dass die Engel einander zugerufen haben : „Heilig, heilig, heilig ist der HERR Zebaoth!“ (Jesaja 6,3) Und nun – sagt der Musikprofessor aus Hamburg – hat man versucht, das nachzubilden. Wie klingt das, wenn Engel einander lauthals ein ‚Heilig, heilig‘ zurufen, die einen von links, andere von rechts?

Die Komponisten des Mittelalters haben sich alle für den Kanon entschieden. Beim Kanon singen ja alle zeitversetzt dieselbe Melodie, wodurch es zu einem Gesang in Endlosschleife kommt – so wie man es den Engeln nachsagt: sie singen ohne Unterlass. Wie man sich das im Mittelalter vorgestellt hat, wissen wir jetzt. Aber wie es wirklich ist?

Mitte Januar sind in den meisten Wohnungen die kleinen Holzengel wieder verschwunden. Sechs Wochen lang haben sie – schweigend – daran erinnert, dass anderswo Gott sehr laut gepriesen wird. Und ob die Engel einen Kanon anstimmen oder ihr Lob im Sprechchor skandieren, das wird sich noch zeigen.

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