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Die Hochglanz-Lüge – Kratzer gehören dazu
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Die Hochglanz-Lüge – Kratzer gehören dazu

Dr. Joachim Schmidt
Ein Beitrag von Dr. Joachim Schmidt, Evangelischer Pfarrer, Darmstadt

Hochglanz ist sowas von in! Man muss nur mal in die Küchen-Werbeprospekte schauen, die jede Woche den Briefkasten verstopfen. Da spiegeln sich tausend Lichter in den glänzenden Hängeschrank-Türen. Artischocken und Hummer sind malerisch dekoriert. Alles ist tipptopp aufgeräumt, und die makellos schlanken, perfekt frisierten Küchenfeen mit den lackierten Fingernägeln strahlen mit der blitzblanken Oberfläche ihrer Töpfe um die Wette. Hochglanz ist sowas von dreckig gelogen!
Eigentlich weiß das ja jeder, und trotzdem funktioniert die Verkaufsmasche mit dem Hochglanz bestens. Sonst würden wir mit solchen Bildern nicht immer und immer wieder zugeschüttet. Ich glaube, das hat mit der uralten Sehnsucht zu tun, die in jedem drinsteckt: Dem Traum von der Vollkommenheit. Alles soll perfekt sein, eben Hochglanz. Der sieht irgendwie unangreifbar aus. Da prallt alles ab.
Dumm nur: Das Gegenteil ist richtig. Nichts ist perfekt, nicht einmal Hochglanz. Hochglanzlack zum Beispiel ist superempfindlich. Nie mit einem Mikrofasertuch abwischen! Der Lack ist hin, die Kratzer sind für die Ewigkeit. Und wer seine Welt und sich mit aller Gewalt auf Hochglanz trimmen will, der wird sich vor bösen, deutlich sichtbaren Kratzern nicht mehr retten können.
Denn die Wahrheit ist: Hochglanz, Perfektion, Vollkommenheit, das ist genau so selten wie eine makellos aufgeräumte Küche. Oder wie ein fehlerfreier Mensch. Kratzer und Fehler sind im Alltag ja die Regel, nicht die Ausnahme. Alles andere ist Wunschdenken zur Verkaufsförderung. Da lobe ich mir doch den guten, alten christlichen Glauben an den einen Gott, der von niemandem Hochglanz verlangt, der alle Kratzer der Welt kennt und die Menschen dennoch liebt.

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