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Der Geist weht, wo er will
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Der Geist weht, wo er will

Dr. Ursula Schoen
Ein Beitrag von Dr. Ursula Schoen, Prodekanin, Evangelisches Stadtdekanat Frankfurt
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Der Geist weht, wo er will. Dieser Satz ist sprichwörtlich geworden. Wenn Dinge nicht so laufen wie geplant, sage ich eher genervt: „Naja, der Geist weht halt, wo er will.“ Oder ich verwende den Satz mit einem kleinen Lächeln, wenn etwas überraschend gut gegangen ist oder es eine positive Wende gab, die ich nicht erwartet habe: „Der Geist weht zum Glück, wo er will!“

Im Moment ist vieles nicht planbar...

Ich habe diesen Satz in den vergangenen Wochen oft im Kopf. Vieles ist zurzeit einfach nicht planbar: Manchmal gibt es nur noch ein Stopp. Geht nicht wie geplant, abgesagt… Und dann wieder gibt es überraschend eine Wendung zum Guten.  

Lockdown nach der Himmelfahrt Jesu

Der Geist weht, wo er will! Der Satz stammt aus der Bibel. Im Neuen Testament, in der Apostelgeschichte wird über die ersten Christen berichtet. Nachdem Jesus vom Tod auferstanden und in den Himmel aufgefahren war, trauten sie sich überhaupt nicht mehr auf die Straße. Ohne ihn fühlen sich seine Jüngerinnen und Jünger erneut allein, zurückgelassen. Sie wissen nicht, wie es weitergehen soll. Sie fühlen sich vom Leben abgeschnitten. In der Bibel wird das eindrücklich beschrieben. Die Jünger haben sich verbarrikadiert, alle in einem Haus hinter geschlossenen Fenstern und Türen. Lockdown. Stillstand.

Der Geist Gottes weht

Da erfasst sie plötzlich Gottes Geist, so beschreibt es die Bibel. Er setzt sich wie Flammen auf ihre Köpfe. Der Funke springt über. Sie sind erleuchtet, begeistert. Und können auf einmal nicht anders als raus aus dem Haus, unter die Leute. Sie erzählen allen von Jesus, von Gottes Liebe, die stärker ist als der Tod.

Jeder versteht Jeden

In der Stadt Jerusalem sind damals Menschen aus verschiedenen Ländern, weil ein großes jüdisches Fest gefeiert wird. Man hört in den Straßen ein Sprachgewirr aus aller Welt. Die Jüngerinnen und Jünger beginnen zu reden  über das, was sie mit Jesus erlebt haben. Nun versteht sie auf einmal jeder so, als würden sie in seiner Sprache sprechen. Aus der Angst und Isolation am Anfang der Geschichte entsteht eine große Verbundenheit unter allen Menschen. Bewirkt vom Geist Gottes, der weht, wo er will. Zum Glück. Zum Glück ist Gottes Geistkraft stärker als jede Trennung voneinander.

Wenn der Funke zwischen Menschen überspring, weht der Geist Gottes

Für mich weht Gottes Geist, wenn der Funke zwischen anderen und mir plötzlich überspringt, wir uns mögen, verstehen oder einfach nur für einen kleinen Augenblick in die Augen schauen. Wenn eine Verbindung zwischen uns entsteht. Ich erlebe das besonders jetzt, wo wir auf Abstand, auf Distanz zu anderen leben müssen.

Von der anderen Straßenseite ruft mir eine Frau zu: „Sie strahlen ja richtig in Ihrem roten Kleid!“ Vom Balkon eines Altersheimes winkt ein Herr, als ich an dem Haus vorbeikomme. Ich kenne ihn nicht, aber ich freue mich und winke zurück.

Nähe über Distanz hinweg - welche Möglichkeiten gibt es?

Für mich sind das Momente, in denen der Geist Gottes weht, weil die Verbindung unter uns spürbar wird. Solche Momente helfen mir, mit der Ausnahmesituation klar zu kommen. Und sie machen mich neugierig: Welche Spielarten der Nähe über Distanz hinweg sind noch denkbar? Welche Möglichkeiten liegen noch in mir – in anderen?

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