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Am Vierertisch im Zug ist Raum zum Beten

Am Vierertisch im Zug ist Raum zum Beten

Christoph Wildfang
Ein Beitrag von Christoph Wildfang, Evangelischer Pfarrer, Arnoldshain

Ich sitze im ICE an einem Vierertisch. Der Zug ist voll. Ich muss schon aufpassen, wo ich meine Beine hinstrecke. Zu viert teilen wir uns den Tisch, zwei Steckdosen, ein Fenster. Es ist leise. Der Zug zischt so dahin. Ab und zu mal ein Tunnel, dann ist es für einen Moment etwas lauter und dunkler. Die Frau mir gegenüber sagt auf einmal leise: „Mein Arzt hat mir heute gesagt, dass ich Parkinson habe.“ Sie sagt es nicht so richtig leise. Jeder von uns am Tisch hat‘s gehört.

Ich hebe meine Augen von meinem Magazin und schaue sie an. Die Frau hält ihre Hand einen Zentimeter über den Tisch. Die Hand zittert. Ich schaue auf die Hand. Die bebt und wackelt. Sie sagt ohne Emotion: „Deshalb fahre ich mit diesem Zug. Autofahren geht nicht mehr. Hat der Arzt gesagt.“ Ich schaue auf ihre zitternde Hand über dem Tisch. Um nicht in ihre Augen zu schauen. Dann tue ich‘s doch. Sie schaut aus dem Fenster ohne wirklich rauszugucken. Ich möchte schon etwas Gutes sagen. Etwas, das hilft.

Ich kenne sie ja gar nicht. Und die beiden anderen Reisenden am Tisch? Sie starren in ihre Laptops, ohne zu tippen. Die Frau schaut weg von ihrer schwebenden Hand über dem Tisch. Als ob diese zitternde Hand nicht zu ihr gehören sollte. Dann legt sie ihre Hand leise ab. „Was soll ich tun?“ sagt sie tonlos. Ich sage leiser und ein bisschen heiser: „Beten ist gut. Ich kann für Sie beten. Mir hilft Beten.“ Die Anderen gucken jetzt mich an. Ich falte meine Hände auf dem Tisch. „Wie heißen Sie denn,“ frage ich und sie sagt leise „Monika“.

Ich denke an ein Gebet von Dietrich Bonhoeffer und spreche es für meine Tischnachbarin im Zug: „Herr, in Monika ist es finster, aber bei dir ist das Licht. Sie ist einsam, aber du verlässt sie nicht. Sie ist kleinmütig, aber bei dir ist Hilfe. Sie ist unruhig, aber bei dir ist der Friede. Heute versteht sie deine Wege nicht, aber du weißt den Weg für sie. Amen.“ Die beiden anderen Mitfahrer nicken irgendwie erleichtert und lächeln die Frau aufmunternd an. Bis Monika auch ein ganz klein bisschen lächelt.

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